Metadaten

Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0247
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
244

Grundsätze des Philosophierens

Grossräume gegen einander. Bei Verfall des menschlichen Lebens und bei verborgener
Anarchie wird nicht mehr, wie bisher jederzeit, das Ganze von aussen bedroht und zum
Aufraffen gezwungen. Das Weltimperium wird einzig, abschliessend, allumfassend, da-
her mit allen früheren Imperien nicht mehr ohne weiteres vergleichbar sein.187
Trotzdem wird es keine Ruhe geben und ein neuer Jubel über eine errungene pax
aeterna wird trügerisch sein. Die umgestaltenden Kräfte werden neue Formen anneh-
men.
Von aussen droht zwar kein Barbarenvolk, aber die Natur. Ihre begrenzten Möglich-
keiten werden schon in kurzer Zeit die ganze Geschichte in neue Situationen bringen.
Bei gegenwärtigem Verbrauch, werden in 1000 Jahren die Kohle, schneller das Erdöl,
schon in 200 Jahren die Eisenlager erschöpft sein, noch schneller der für die landwirt-
schaftliche Produktion unentbehrliche Phosphor.188 Im Einzelnen ist es zwar nicht ge-
nau zu berechnen. Aber die Unbekümmertheit in der Verschwendung dieser begrenz-
ten Stoffe lässt auf alle Fälle ein radikales Ende in absehbarer Zeit voraussagen.
Wie Seele und Geist des Menschen im Weltimperium sich verwandeln, liesse sich
nach Analogie im römischen und im chinesischen Imperium vermuten: eine nie dage-
wesene Nivellierung des Menschseins ist wahrscheinlich, ein Ameisenleben in leerer
Betriebsamkeit, eine Erstarrung und Eintrocknung des Geistes, eine Conservierung
durch geistlos werdende Autorität in Rangordnungen der Macht. Jedoch diese Gefah-
ren können beim Menschen kaum absolute sein. In dem Weltimperium wird es neue
Weisen der Bewegungen geben, Möglichkeiten der Vereinzelung, der Revolution, der
Sprengung des Ganzen zu neuen Teilen, die wieder miteinander in Kampf stehen. Wie
aber das Seinsbewusstsein des Menschen in Religion und Philosophie sich gestalten
wird, ist schlechthin unabsehbar; es voraussehend zu erblicken, wäre schon seine
Schöpfung. An welchen Realitäten sich die Seele wird entzünden können, in welche sie
sich unbedingt einsenken wird, das wird die Geschichtlichkeit auch in der Zukunft aus-
machen. Was der wissenschaftlichen Forschung sich noch zeigen wird, ist vielleicht in
principielle Grenzen eingeschlossen, ebenso wie das technische Können. Ob die Wis-
senschaft, die heute noch in Blüte steht und Frucht trägt, sich einem Abschluss nähert,
wo sie zunächst nicht mehr vorankommt, ob sie später unter neuen Bedingungen noch
einmal wieder einsetzt, oder ob sie die Resultate im grossen und ganzen nur bewahrt
und dann zum Teil auch verliert bis auf einen Automatismus des daseinsnotwendigen
Operierens mit technischen Gebilden und mit conventionellen Denkungsarten, - Vor-
aussicht ist hier überall vergeblich. Man kann nur, wie es seit einem halben Jahrhun-
dert immer wieder geschieht, interessante, in sich consequente Utopien entwerfen.
Wird einmal der Mensch die Enge des Erdballs spüren, vergeblich mit technischen
Mitteln auf ihm herumrasen? gleichsam eine Budenangst des Erddaseins erfahren?
Kein Ausweg, keine Ferne steht ihm mehr offen, er kann sich, was Raum und Materie
angeht, nur noch im Kreise drehen.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften