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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0383
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38o

Grundsätze des Philosophierens

des polar Geschiedenen. Wie wird die Verbindung von Willkür und Gehorsam, von
Freiheit und Autorität aufgefasst?
Eine Reihe von Auffassungen des Sinns sind derart, dass darin eigentliche Autori-
tät garnicht erreicht wird:
Erstens: Autorität wird im Dasein ergriffen, um Sicherheit des Daseins durch den
Gehorsam gegen die Autorität des Staates, etwa den König, zu gewinnen. Gehorsam
soll nur ein Mittel der Selbstbehauptung sein. Solche Autorität ist jedoch keine eigent-
liche mehr, denn sie gilt nur unter der Bedingung, dass der Gehorsam auch meine Si-
cherheit und Selbstbehauptung im Dasein zur Folge hat; dem Staat oder dem König,
dessen Macht mich nicht mehr schützen kann, schulde ich nicht mehr Treue noch
Gehorsam.
Zweitens: Man sagt: der Mensch solle sich mit Freiheit seine Autorität wählen (also
aus Freiheit auf seine Freiheit verzichten). Aber Autorität, die ich wähle unter mehre-
ren bereitliegenden, ist keine Autorität mehr. Autorität ist für mich da oder nicht da;
sie wird übernommen, nicht unter mehreren gewählt; sie ist eine oder ist garnicht.
Drittens: Man sagt: die Pole des Befreiungs- und Unterwerfungsdrangs sollen sich
steigern zu immer reicheren Hervorbringungen. Das ist[,] als ob es sich um ein vitales
Geschehen handle, das abläuft, statt um einen geistig-existentiellen Process, der der
Freiheit des Menschen angehört, die sich im Umgreifenden findet, in dessen Subjekt-
Objekt-Spaltung sie der Autorität verbunden ist.
Diesen irrenden Auffassungen gegenüber ist festzuhalten, dass der Mensch in der
Polarität, nicht ausserhalb ihrer und ihr gegenüber steht. Die Verbindung des Polaren
geschieht nicht durch einen beiden Polen überlegenen klugen Willen. Wie der Sinn
in der Polarität zu fassen sei, ist nicht in einem Begriff zu bestimmen, sondern im Den-
ken zu umkreisen.
Stehe ich, wie ich muss, in der Polarität, statt über ihr, so ist der Weg das Leben im
Umgreifenden. Ich werde ich selbst, indem ich der Autorität folge. Ich werde mir selbst
durchsichtig, indem die Autorität sich mir erhellt. Autorität ist objektive Erscheinung
des Unbedingten. Sie ist in der Subjekt-Objekt-Spaltung absolute Wahrheit. Sie ist die
Form, der ich gehorche, ohne mich als Selbstsein preiszugeben, vielmehr um dieses
erst eigentlich zu finden. Die Freiheit ist in der Bindung an Autorität, aus der sie erst
hervorwächst. Es ist die erfüllte Freiheit, die nicht aus dem Nichts in das Leere zergeht,
sondern aus geschichtlichem Grunde heranreift.
Zu solcher Autorität gehört Vertrauen und damit Unterwerfung unter etwas, das
ich selbst nicht bin, wodurch aber auch ich erst ich selbst werde. Dieses Etwas ist das
Absolute, an das ich glaube, ist daher zuletzt nur Gott. Da aber Gott verborgen bleibt,
kommt Autorität in der Welt zu einer jeweiligen Erscheinung, vieldeutig, wandelbar,
geschichtlich.
 
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