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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0382
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Grundsätze des Philosophierens

379

e. Grund der Autorität im Gehorsam
Dass der Mensch gehorche, ist eine Situationsnotwendigkeit seines Daseins in der
Welt. Und es ist zugleich ein Drang dazu in ihm, der so unwiderstehlich wirkt, wie an-
dere Antriebe.
Gehorsam ist unumgänglich. Da der Mensch nicht Gott ist, muss er gehorchen. Er
muss gehorchen, weil er im Ganzen nicht weiss, woher er kommt und wohin er geht,
nicht weiss, was er eigentlich will, den endgültigen Weg nicht kennt, ein Dasein im
Versuchen ist. Notwendig ist der Gehorsam gegen den Grund, durch den er und durch
den alles ist, die Transcendenz. Da aber Gott in der Welt nicht geradezu spricht, ist ein
unmittelbarer Gehorsam gegen Gott als eine Instanz in der Welt nicht möglich. Die
Folge ist, dass der Mensch Menschen gehorchen muss, Kinder den Eltern, Schüler den
Lehrern, Staatsbürger dem Herrscher, Untergebene den Vorgesetzten.
Es ist die Frage, ob Gehorsam gegen Gott sich im Gehorsam gegen Menschen zur
Erscheinung bringt. Gegen niemanden äusser gegen Gott kann uneingeschränkter Ge-
horsam gefordert sein. Aber kann man in der Welt Gott gehorchen äusser in der Form,
dass man Menschen gehorcht? Der uneingeschränkte Gehorsam gegen irgendetwas
in der Welt ist fragwürdig, weil Gott selber nicht da ist. Der reife Mensch findet Gott -
wenn er ihn findet - entscheidend nur in sich selbst, in dem, was in ihm sein Gewis-
sen ist, wenn auch die Stimme des Gewissens nie unmittelbar Gottes Stimme ist. Ge-
horsam gegen Gott ist Gehorsam gegen das, was der Mensch reinen Herzens aus der
Freiheit, in der er sich geschenkt wird, als das Rechte und Wahre erblickt. Dann steht
aller Gehorsam in der Welt unter Bedingungen des Gehorsams gegen Gott.
Aber Gehorsam gegen Gott kann allen im Gewissen gebilligten Gehorsam in der
Welt als wie ein Symbol des eigentlichen Gehorsams gegen Gott vollziehen. Und rei-
nen Herzens kann der Mensch hinnehmen in der Autorität, was er nicht begreift, son-
dern aus dem Umgreifenden undurchschaut billigt im Gehorsam.
Das Zweite ist in der Seele ein Drang zum Gehorsam. Dieser Drang ist psycholo-
gisch in zwei polar entgegengesetzten Antrieben: Ein Drang ist im Menschen, sich zu
befreien, zu tun, was er will, sich bedingungslos im Sosein zu behaupten und zum Ab-
soluten zu machen. Der andere Drang ist, sich zu unterwerfen, bei der Hand genom-
men zu werden und Weisung zu erhalten. Jeder Drang als solcher führt in die Irre. Der
Befreiungsdrang wird zur Willkür, leugnet Autorität schlechthin, entzieht sich der
Härte von Zucht und Disciplin. Der Unterwerfungsdrang erleichtert das Leben durch
blinden Gehorsam, weicht der Helligkeit des Umgreifenden aus, findet Rechtfertigung
für Gedankenlosigkeit und sucht Sicherheit im bequemen Pathos des Gehorchens.
Dieser polare psychische Drang ist unmittelbar. Es ist eine jeweilige Befriedigung
sowohl in der Willkür als solcher wie im Gehorsam als solchem. Menschlich ist der
Drang erst, wenn er mit Sinnbewusstsein erfüllt ist. Der Sinn fordert eine Verbindung
 
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