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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0384
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Grundsätze des Philosophierens

381

f. Anspruch der Autorität in realen Mächten
Ordnung wird geschaffen durch Gewalt, durch Gesetz, durch menschliche Persönlich-
keiten. Alle drei sind verbunden. Gewalt sucht sich durch Gesetze, durch Institutionen,
Ämter und Bürokratie zu stabilisieren. Gesetze und Ämter herrschen nicht, wenn keine
Zwangsgewalt hinter ihnen steht. Führende Menschen können zwar durch ihre persön-
liche Erscheinung einen ausserordentlichen Einfluss haben. Ihr Charisma wirkt wie ein
Zauber. Aber diese Wirkung ist leicht verletzlich und brüchig, wenn sie nicht in der Ge-
walt, dem Amt und dem Gesetz den Raum ihrer Erscheinung findet.
Diese drei realen Mächte gewinnen durch Autorität einen neuen Sinn, Bestätigung
und Glanz. Sie werden mehr durch etwas über ihnen Liegendes, das in ihnen und mit
ihnen wirkt.
In der Geschichte treten alle drei zunächst mit der Heiligkeit der Autorität auf. In der
Folge werden sie dieser transcendenten Autorität zu entkleiden versucht. Es ist die Frage,
in welchem Sinne ihnen Autorität bleibt und bleiben kann, oder ob sie völlig aufgehen
in den Zusammenhang der freien Planungen, also keinen eigenen, unüberschreitbaren
Grund mehr haben.
Es ist für den gerade erwachenden Verstand gefährlich überzeugend, die objektiven
Autoritäten aufzuheben zugunsten menschlichen Wissens, Planens und Machens. Für
eine Seele ist es nie überzeugend. Das Herz spricht für Autorität als dem Gehalt, durch
den es zu sich kam und lebt. Was es durch Gewalt, Gesetz und führende Menschen er-
fuhr, war nicht nur Zwang.
aa. Gewalt: Wohl ist Verständigung der Grund eigentlicher Gemeinschaft. Aber keine
reale Gemeinschaft besteht ohne Gewalt. Die Gewalt kann hinausgeschoben sein an
eine Grenze, die im Vollzug der Verständigung bei glücklich geordneten Zuständen fast
vergessen wird. Aber sie bleibt nicht nur an der fernen Grenze, sondern sie muss faktisch
jederzeit bereite Macht sein zur Durchsetzung der Ordnung, welche jeweils wirklich ist.
Der Anfang aller Ordnung ist Gewalt. Die Gewalt als solche ist Autorität. Es liegt in
ihr ein Geheimnis, dem sich der Mensch unterwirft. Hier ist ein Ursprung. Es fragt sich,
in welchem Sinn dies Geheimnis ergriffen wird, die Gewalt Autorität hat.
Es ist ein unermüdlicher Antrieb in uns, die Gewalt durch Verständigung zu überwin-
den. Dieser Weg führt zur Ordnung der Gemeinschaft durch Gesetz. Was aber vor allem
Gesetz die blosse Gewalt ist, das bleibt auch in gesetzlichen Zuständen ein undurchdring-
barer, unumgänglicher, unüberwindbarer Grund. Was im kriegerischen Schicksalskampf
unmittelbar physische Entscheidung der Gewalt ist, die im dadurch gegründeten Herr-
schaftswillen fortbesteht, das ist noch in gesetzlich geordneten Zuständen da als die Ir-
rationalität der Entscheidungen in Abstimmungen, als die Folge der Gesetze, als Ent-
schluss der gesetzlich entstandenen Führung. Die Gewalt wird nicht nur durch
Verständigung überwunden, sondern muss in ihrer ursprünglichen Realität anerkannt
werden. Diese Anerkennung legt vor allem Gesetz in die Gewalt als solche eine Autorität.
 
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