Karl Jaspers - E. B. Ashton 529
547 Karl Jaspers an E. B. Ashton
Typoskript; Durchschlag: DLA, A: /aspers
Basel, den 8. Juni 1961
Lieber Herr Ashton!
Ich bin glücklich, von Ihnen zu hören, dass Sie die Übersetzung meines Buches »Die
Zukunft des Menschen« gern gemacht haben, weil Ihnen die Sache, für die es wirken
möchte, am Herzen liegt.
Nun sind Sie so tief resigniert wegen des kartenhausartigen Zusammenbruchs Ih-
rer Hoffnung. Diese Hoffnung haben wir mit Ihnen geteilt. Die Enttäuschung über
Kuba war gross. Trotzdem kann ich mich nicht entschliessen, über Kennedy schon
den Stab zu brechen und den neuen Vertrauensschwund gegenüber den Vereinig-
ten Staaten für so katastrophal und endgültig zu halten, wie Sie es tun.1244 Kennedys
Reden und erstea Handlungen waren so überraschend, so klar, einfach, seine Gebär-
den dabei so natürlich und überzeugend, dass das Vertrauen bei Ihnen wie bei uns
wuchs. Das, so scheint mir, kann nicht einfach eine Täuschung gewesen sein. Ken-
nedys Irrtum war gross. Er hat die Verantwortung nicht von sich abgewälzt. Aber er
war in der Tat irregeführt worden. Das ist sehr schlimm. Doch Kennedys Idee und
sein Wille stehen aufrecht. Man darf, denke ich, ihn nun nicht durch Misstrauen
gegen ihn schon innerlich verlassen. Scharfe Kritik, die man sich nicht verschlei-
ert, aber öffentlich nicht laut werden lässt, schliesst nicht aus, ihm nach amerikani-
scher Art weiter eine Chance zu geben, die ja unser aller Schicksal ist. Dass er selbst
bei diesem ersten grossen Unglück kein Zeichen von Erschütterung zeigte und, so-
viel ich sehe, auch nicht log, hebt meine Achtung vor ihm. Er scheint doch ein Mann
zu sein, der nicht täuscht.
Man muss, meine ich, zweierlei unterscheiden: den Irrtum über die Chance und
die angewandten Mittel. Mir scheint der politische Grundgedanke nicht unrichtig ge-
wesen zu sein. Wäre die Sache geglückt - ausgeführt ausschliesslich von Kubanern mit
allen technischen und materiellen Mitteln unterstützt von den USA -, so würde der Er-
folg grossartig gewesen sein. Völkerrechtliche Legitimität hätte diesen Gewaltakt ge-
gen die Gewalt bei aller Welt, auch bei der, die den Akt verdammt hätte, das Vertrauen
zu Amerika ausserordentlich gesteigert, denn heute noch macht tatsächlich den Völ-
kern nur die Gewalt Eindruck, auch wenn sie es leugnen. Die Neigung, Amerika zu
folgen und seiner Macht zu vertrauen, wäreb gewachsen. Es ist wohl auf andere Weise,
wie es bei der Suez-Affäre war.1245 Damals scheiterte die Sache an dem Mangel soldati-
scher Bereitschaft, unter jedem Lebensrisiko die Besetzung Ägyptens in 1-2 Tagen zu
a statt erste im Typoskript ersten
b statt wäre im Typoskript wär en
547 Karl Jaspers an E. B. Ashton
Typoskript; Durchschlag: DLA, A: /aspers
Basel, den 8. Juni 1961
Lieber Herr Ashton!
Ich bin glücklich, von Ihnen zu hören, dass Sie die Übersetzung meines Buches »Die
Zukunft des Menschen« gern gemacht haben, weil Ihnen die Sache, für die es wirken
möchte, am Herzen liegt.
Nun sind Sie so tief resigniert wegen des kartenhausartigen Zusammenbruchs Ih-
rer Hoffnung. Diese Hoffnung haben wir mit Ihnen geteilt. Die Enttäuschung über
Kuba war gross. Trotzdem kann ich mich nicht entschliessen, über Kennedy schon
den Stab zu brechen und den neuen Vertrauensschwund gegenüber den Vereinig-
ten Staaten für so katastrophal und endgültig zu halten, wie Sie es tun.1244 Kennedys
Reden und erstea Handlungen waren so überraschend, so klar, einfach, seine Gebär-
den dabei so natürlich und überzeugend, dass das Vertrauen bei Ihnen wie bei uns
wuchs. Das, so scheint mir, kann nicht einfach eine Täuschung gewesen sein. Ken-
nedys Irrtum war gross. Er hat die Verantwortung nicht von sich abgewälzt. Aber er
war in der Tat irregeführt worden. Das ist sehr schlimm. Doch Kennedys Idee und
sein Wille stehen aufrecht. Man darf, denke ich, ihn nun nicht durch Misstrauen
gegen ihn schon innerlich verlassen. Scharfe Kritik, die man sich nicht verschlei-
ert, aber öffentlich nicht laut werden lässt, schliesst nicht aus, ihm nach amerikani-
scher Art weiter eine Chance zu geben, die ja unser aller Schicksal ist. Dass er selbst
bei diesem ersten grossen Unglück kein Zeichen von Erschütterung zeigte und, so-
viel ich sehe, auch nicht log, hebt meine Achtung vor ihm. Er scheint doch ein Mann
zu sein, der nicht täuscht.
Man muss, meine ich, zweierlei unterscheiden: den Irrtum über die Chance und
die angewandten Mittel. Mir scheint der politische Grundgedanke nicht unrichtig ge-
wesen zu sein. Wäre die Sache geglückt - ausgeführt ausschliesslich von Kubanern mit
allen technischen und materiellen Mitteln unterstützt von den USA -, so würde der Er-
folg grossartig gewesen sein. Völkerrechtliche Legitimität hätte diesen Gewaltakt ge-
gen die Gewalt bei aller Welt, auch bei der, die den Akt verdammt hätte, das Vertrauen
zu Amerika ausserordentlich gesteigert, denn heute noch macht tatsächlich den Völ-
kern nur die Gewalt Eindruck, auch wenn sie es leugnen. Die Neigung, Amerika zu
folgen und seiner Macht zu vertrauen, wäreb gewachsen. Es ist wohl auf andere Weise,
wie es bei der Suez-Affäre war.1245 Damals scheiterte die Sache an dem Mangel soldati-
scher Bereitschaft, unter jedem Lebensrisiko die Besetzung Ägyptens in 1-2 Tagen zu
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