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Carrara, Laura [Hrsg.]; Meier, Mischa [Hrsg.]; Radtki-Jansen, Christine [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Malalas-Studien: Schriften zur Chronik des Johannes Malalas (Band 2): Die Weltchronik des Johannes Malalas: Quellenfragen — Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.51242#0254
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Diplomaten und Anekdoten

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dem Minimalbestand der Propp’schen Funktionen: Der Situation eines Mangels oder
Schadens, der Lösung des Problems und der Rückkehr in die Normalität bzw. in eine
sogar im positiven Sinne darüber hinausgehende Situation. Darüber hinaus verfügt
die Geschichte des Eulalios über eine typische personelle Dreierkonstellation, sicht-
bar in der Position des Hilfesuchenden (Eulalios), des Wohltäters/Helden (Justinian)
und des Antagonisten (Makedonios). Diese strukturellen Beobachtungen sind neben
dem eklatanten Abweichen der Geschichte vom sonstigen Sprach- und Erzählduk-
tus des Malalas ein weiterer Hinweis auf die Aufnahme eines mündlichen, jedenfalls
märchenhaften Narrativs.
Neben diesen Beobachtungen lassen sich auch noch einige andere Merkmale
nennen, die den Erzählungscharakter der Geschichte unterstreichen. Das zeigt sich
bereits bei der deutlich vom Üblichen abweichenden Einführung des ersten Protago-
nisten. Öffentliche Amtsträger werden bei Malalas bei ihrer ersten Erwähnung typi-
scherweise mit dem bestimmten Artikel 0 eingeführt.76 Eulalios, dem ja immerhin das
Amt des Befehlshabers der kaiserlichen Leibwache {comes domesticorum) zugeschrie-
ben wird, erscheint hingegen ganz unbestimmt mit τις („ein/irgendein“). Man ge-
winnt den Eindruck, es handele sich hier, ganz im Sinne der „Es war einmal“-Formel
des Volksmärchens, um eine nur symbolhaft interessierende Person. Symbolisch sind
überdies die verwendeten Zahlen: Der Dreierkonstellation aus Bittstellendem, Hel-
den und Antagonisten stehen drei Töchter gegenüber, die überdies immer als Gruppe
angesprochen werden und vollständig namenlos bleiben. Die Person des Eulalios
selbst wiederum kennen wir nur aus Malalas, und hier nur durch diese eine Erwäh-
nung.77 Es ist nicht ausgeschlossen, dass er einen fiktiven Charakter darstellt. Dafür
spräche auch sein sprechender Name: „Eulalios“ bezeichnet wörtlich den „Gutredner“.
Es handelt sich mithin um eine Person, die gute Dinge erzählt; ein Handeln, das einer
ganz zentralen Funktion der gesamten Geschichte entspricht: den Kaiser Justinian in
ein positives Licht zu rücken.
Als Indikatoren für den Ursprung der Geschichte in einer (zunächst?) mündlich
tradierten Erzählung ergeben sich in der Gesamtschau also die folgenden: Nicht
identifizierbare Personen empfangen symbolische kaiserliche Gesten in einer über-
aus runden, stringenten, märchenhaft anmutenden Gesamthandlung. Die Botschaft
dieser eingängigen Geschichte bestätigt dabei das oben skizzierte kaiserliche Hand-
lungsmuster: Eulalios gerät durch äußeres, gottgegebenes Unheil in Not, der Kaiser
fängt diese Not auf und leistet umfassende Hilfe. Das zur kollektiven Krisenbewälti-
gung erprobte System funktioniert folglich auch im Einzelfall.78 Die besondere Ge-
staltung der Passage unterstreicht hier aber - gerade im Vergleich zu den eher ste-
76 Vgl. exemplarisch Nennungen von Amtsträgern in unmittelbar umliegenden Kapiteln: ό πατρίκιος
Πρόβος (Malalas, ChronographiaXVIII 22, S. 367, iThurn); ό από δουκών Δαμασκού Κουζτίς ...
καί Προκληιανός ό δούξ Φοινίκης καί Βασίλειος ό κόμης (XVIII 25, S. 368,59—369,1 Thurn).
77 Vgl. ΡΔΤδΕΙΙ, s.n. Eulalius, S. 418.
78 Dass die christliche caritas, gewissermaßen in Nachfolge des Konzepts der liberalitas, auch abseits der
Bewältigung von Naturkatastrophen eine zentrale Herrschertugend für spätantike Kaiser darstellt,
zeigt van Nuffelen (2006).
 
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