Metadaten

Carrara, Laura [Hrsg.]; Meier, Mischa [Hrsg.]; Radtki-Jansen, Christine [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Malalas-Studien: Schriften zur Chronik des Johannes Malalas (Band 2): Die Weltchronik des Johannes Malalas: Quellenfragen — Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2017

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51242#0255
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
254

Jonas Borsch, Christine Radtki-Jansen

reotypen Handlungsabläufen nach Erdbeben oder anderen Naturkatastrophen - die
ganz individuelle Tugendhaftigkeit speziell des Kaisers Justinian. Dazu trägt auch das
Engagement Theodoras bei, das die Entstehung eines persönlicheren, zugänglicheren
Bildes des barmherzigen Kaisers unterstützt. Dieses Bild wiederum kam möglicher-
weise nicht von ungefähr und könnte auf einen realpolitischen Hintergrund hinwei-
sen: Es scheint, dass die Passage, wie auch die nachfolgenden Kapitel XVIII 24 und
25, in denen Theodora als Wohltäterin für Prostituierte und in Not geratene Frauen
gezeigt wird, eine Deutung präsentiert, die mit der Absicht gestreut wurde, ein be-
schädigtes Image aufzupolieren - dasjenige der Kaiserin, deren Herkunft nicht selten
als anrüchig eingestuft wurde, oder das des Kaisers selbst, dessen mitunter scharfe
Gesetzgebung häufig Widerstand hervorgerufen haben mag.
Über die angesprochenen Punkte hinaus ist es in diesem Zusammenhang womög-
lich kein Zufall, dass die ungewöhnliche Geschichte gerade in Verbindung mit dem
Thema der Erbschaft steht. Die justinianische Neuregulierung des Rechtssystems betraf
zu einem nicht geringen Teil Erbschaftsregelungen bzw. Regelungen des Geldtransfers
nach dem Tode.79 Man darf daraus schließen, dass dieses Thema zeitgenössisch einige
Virulenz besaß. Eine Äußerung in Prokops Anecdota deutet zudem daraufhin, dass die
persönliche Rolle des Kaisers - und auch der Kaiserin - im Zusammenhang mit Erb-
schaften auch Gegenstand von Kritik war: Prokop nämlich wirft den beiden vor, sich
wiederholt durch gefälschte Testamente in den Besitz von Privaterbschaften gebracht
zu haben.80 Malalas’ Geschichte über die freiwillige Übernahme von Erbschaftswr-
pflichtungen durch das Kaiserpaar liest sich dazu fast wie eine Gegendarstellung.81 Über
welche Wege ein solcher Bericht in die Chronographia geraten sein kann, ist nicht end-
gültig zu entscheiden. Angesichts der geschilderten Eigenmerkmale der Geschichte
lässt sich aber zumindest plausibel machen, dass die Erzählung mündlich in der Be-
völkerung kursierte. Die Vorstellung, dass solche mündlichen Narrative als Ganzes
Aufnahme in ein Geschichtswerk finden konnten, bereitet nach allem, was wir über
folkloristische Elemente in antiken Schriften wissen, keine allzu großen Probleme.82
Es ist nicht einmal völlig undenkbar, dass es sich auch bei Prokops in den 550er Jahren
entstandener Darstellung in den Anecdota um einen Reflex solcher Erzählungen - in
spiegelbildlicher, negativer Verkehrung - handelt. Der Zusammenhang der bei Mala-
las wiedergegebenen Geschichte mit kaiserlichen Gesetzgebungsaktivitäten legt nahe,
dass - soweit die Begebenheit nicht ohnehin frei erfunden ist - ihre ursprüngliche Ver-
breitung maßgeblich aus dem Umfeld des Kaiserhauses befördert wurde.83 Ob Malalas
79 Vgl. die Auflistung von insgesamt 48 direkt oder indirekt mit Erbschaftsfragen befassten justiniani-
schen Novellen bei Scott (1985), S. 102 mit Anm. 38. Zum römischen Erbschaftsrecht auch Kaser (1975),
S. 463-567; vgl. zu justinianischen Neuerungen etwa S. 466; 473-474; 481-482; 484-485; 485-489; 489-
490; 510-512; 5I3_523·
80 Vgl. Procopius, Anecdota XII i-n.
81 Scott (1985), S. 102.
82 Vgl. etwa Luraghi (2013), S. 97 zur Adaption mündlicher Narrative bei Herodot.
83 Die These von Scott (1985), S. 107, dass das Kaiserhaus Gerüchte und Erzählungen über die Zirkusfrak-
tionen streuen ließ, bedürfte weiterer Nachforschungen. Im Falle der Eulalios-Geschichte lassen sich
zumindest textimmanent keine Hinweise auf eine solche Streuung entdecken.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften