Johannes „der Rhetor“: Eine rhetorische Quelle
für die Chronik des Malalas
(zuMalalas, ChronographiaWYV 16)*
Laura Carrara
Abstract This paper gives the first specific source analysis of one of the longest and most inter-
esting chapters of Malalas’ Chronicle ^Chronographia XVII 16 Thurn), devoted to the ruinous
earthquake in Antioch in May 526 AD. Based on a close reading of some stylistically striking
passages, the paper argues that one of the sources used by Malalas to draw up his powerful
description of this event was a rhetorical monody It is suggested that this rhetorical monody
was the one composed by the contemporary Gazan rhetor Procopius to commemorate that
very same earthquake. This monody is now almost completely lost except for a couple of brief
fragments. Finally, some observations on Malalas’level of culture in the light of his use of, and
interest for, such a kind of recherche work are offered.
Die Chronik des Malalas berichtet bekanntlich oft von Erdbeben. Mit auffälliger Re-
gelmäßigkeit und Häufigkeit1 sind diejenigen seismischen Phänomene verzeichnet,
die die (mutmaßliche) Heimatstadt des Chronisten trafen, die syrische Metropole
Antiochia am Fluss Orontes (heute Antakya, in der Türkei).2 Laut Malalas’wertvol-
ler (aber weder systematischer3 noch vollständiger4) nummerierter Auflistung hatten
* Diesem Beitrag liegen Forschungen zugrunde, die ursprünglich im Rahmen des Tübinger SFB 923
„Bedrohte Ordnungen“ aufgenommen wurden und nun im Zuge der Arbeit an meiner Habilitations-
schrift (τύποι σείσμϋλϋγίΚϋί. Die Repräsentation von Erdbeben in der griechisch-römischen Literatur,
Eberhard Karls Universität Tübingen) weitergeführt werden. Eine umfassende Untersuchung der rhe-
torischen Schrift, die hier als Quelle des Malalas vorgeschlagen wird, sowie allgemein der
Erdbebenmonodie als Textgattung bleibt der Habilitationsschrift vorbehalten. Den vielen Kollegen,
die verschiedene mündliche und schriftliche Versionen dieses Beitrags mit ihren Hinweisen und
Kritiken verbessert haben, sei bereits an dieser Stelle herzlich gedankt. Wenn nicht anders angemerkt,
stammen die Übersetzungen der griechischen Texte von mir.
1 Siehe Jeffreys (2003), S. 515: „Note that the numbered earthquake sequence is fullest for Antioch“. Um
eine Vergleichsgröße zu nennen: Für die Stadt Anazarbos im nordöstlichen Kilikien registriert Malalas
lediglich das dritte und das vierte πάθος (Chronographia X 53, S. 202, 32-34 Thurn; XVII 15, S. 345,
69-71 Thurn), ohne das erste und das zweite auch nur kurz zu nennen. Die einzige monographische
Untersuchung zu antiken Erdbeben bleibt die von Waldherr (1997), die jedoch der Malalas-Chronik
nur wenige Hinweise widmet und generell die Spätantike ausklammert.
2 Siehe zur Malalas’ Herkunft Croke (1990a), S. 4, dort weitere Verweise; Jeffreys (2003), S. 501-503.
3 Andere wenige Antiochia-Erdbeben nimmt Malalas nicht in seine nummerierte Auflistung auf, weist
aber trotzdem auf die eine oder andere Weise (in wenig eindeutigen Einträgen) darauf hin. So sind
die von Pompeius in Antiochia laut Chronographia VIII 29 (S. 159, 16-18 Thurn) aufgeführten
Wiederaufbauarbeiten möglicherweise auf ein Beben in der Region um das Jahr 70 v.Chr. zu bezie-
für die Chronik des Malalas
(zuMalalas, ChronographiaWYV 16)*
Laura Carrara
Abstract This paper gives the first specific source analysis of one of the longest and most inter-
esting chapters of Malalas’ Chronicle ^Chronographia XVII 16 Thurn), devoted to the ruinous
earthquake in Antioch in May 526 AD. Based on a close reading of some stylistically striking
passages, the paper argues that one of the sources used by Malalas to draw up his powerful
description of this event was a rhetorical monody It is suggested that this rhetorical monody
was the one composed by the contemporary Gazan rhetor Procopius to commemorate that
very same earthquake. This monody is now almost completely lost except for a couple of brief
fragments. Finally, some observations on Malalas’level of culture in the light of his use of, and
interest for, such a kind of recherche work are offered.
Die Chronik des Malalas berichtet bekanntlich oft von Erdbeben. Mit auffälliger Re-
gelmäßigkeit und Häufigkeit1 sind diejenigen seismischen Phänomene verzeichnet,
die die (mutmaßliche) Heimatstadt des Chronisten trafen, die syrische Metropole
Antiochia am Fluss Orontes (heute Antakya, in der Türkei).2 Laut Malalas’wertvol-
ler (aber weder systematischer3 noch vollständiger4) nummerierter Auflistung hatten
* Diesem Beitrag liegen Forschungen zugrunde, die ursprünglich im Rahmen des Tübinger SFB 923
„Bedrohte Ordnungen“ aufgenommen wurden und nun im Zuge der Arbeit an meiner Habilitations-
schrift (τύποι σείσμϋλϋγίΚϋί. Die Repräsentation von Erdbeben in der griechisch-römischen Literatur,
Eberhard Karls Universität Tübingen) weitergeführt werden. Eine umfassende Untersuchung der rhe-
torischen Schrift, die hier als Quelle des Malalas vorgeschlagen wird, sowie allgemein der
Erdbebenmonodie als Textgattung bleibt der Habilitationsschrift vorbehalten. Den vielen Kollegen,
die verschiedene mündliche und schriftliche Versionen dieses Beitrags mit ihren Hinweisen und
Kritiken verbessert haben, sei bereits an dieser Stelle herzlich gedankt. Wenn nicht anders angemerkt,
stammen die Übersetzungen der griechischen Texte von mir.
1 Siehe Jeffreys (2003), S. 515: „Note that the numbered earthquake sequence is fullest for Antioch“. Um
eine Vergleichsgröße zu nennen: Für die Stadt Anazarbos im nordöstlichen Kilikien registriert Malalas
lediglich das dritte und das vierte πάθος (Chronographia X 53, S. 202, 32-34 Thurn; XVII 15, S. 345,
69-71 Thurn), ohne das erste und das zweite auch nur kurz zu nennen. Die einzige monographische
Untersuchung zu antiken Erdbeben bleibt die von Waldherr (1997), die jedoch der Malalas-Chronik
nur wenige Hinweise widmet und generell die Spätantike ausklammert.
2 Siehe zur Malalas’ Herkunft Croke (1990a), S. 4, dort weitere Verweise; Jeffreys (2003), S. 501-503.
3 Andere wenige Antiochia-Erdbeben nimmt Malalas nicht in seine nummerierte Auflistung auf, weist
aber trotzdem auf die eine oder andere Weise (in wenig eindeutigen Einträgen) darauf hin. So sind
die von Pompeius in Antiochia laut Chronographia VIII 29 (S. 159, 16-18 Thurn) aufgeführten
Wiederaufbauarbeiten möglicherweise auf ein Beben in der Region um das Jahr 70 v.Chr. zu bezie-