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Carrara, Laura [Hrsg.]; Meier, Mischa [Hrsg.]; Radtki-Jansen, Christine [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Malalas-Studien: Schriften zur Chronik des Johannes Malalas (Band 2): Die Weltchronik des Johannes Malalas: Quellenfragen — Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.51242#0253
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Jonas Borsch, Christine Radtki-Jansen

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tion auffällt. Daraus hat Scott auf einen mündlichen Ursprung geschlossen/1 was sich
anhand einer näheren Untersuchung der narratologischen Struktur erhärten lässt.
Bei näherer Betrachtung der Geschichte fällt auf, dass sie einige Merkmale auf-
weist, die auch die Gattung des modernen Märchens kennzeichnen, das seinerseits
seine Ursprünge in mündlichen Quellen begründet. In ihrer systematischen Analyse
der Struktur von (Zauber-)Märchen konnten Vladimir Propp und nach ihm Eleasar
Meletinskij und Max Lüthi bestimmte Handlungsmuster und narrative Elemente he-
rausarbeiten, die dieses literarische Genre ausmachen und den auffälligen strukturellen
Ähnlichkeiten der einzelnen Geschichten zugrunde liegen.71 72 Zu diesen Grundbau-
steinen, mit denen Märchen aller Zeiten und Sprachen operieren, gehören zum einen
gewisse Themen, um die sich die Geschichte entspannen kann: Unter diesen topischen
Themen, die häufig binären Charakter aufweisen, findet sich z.B. das der Schädigung
und ihrer Rache, das eines Tabus und seiner Überschreitung, das der Belohnung und
Strafe, das eines Frevels und seiner Sühne, der Gefahr und des Entkommens aus ihr
sowie das der Aussetzung eines Helden und seiner Errettung.73 Die Geschichte des
verarmten Eulalios beschreibt die Situation einer Gefahr, einer Schwierigkeit, aus der
Justinian ihn und seine drei Töchter errettet, und gibt damit als Grundmuster der
Handlung das einer Gefahr/Not und der Erlösung daraus vor. Von dieser noch relativ
oberflächlichen Ebene kann der Leser weiter in die Struktur der Märchen eindringen:
Propp unterscheidet bei seiner Zerlegung der Märchen in kleinste rekurrente Einhei-
ten insgesamt 31 „Funktionen der handelnden Personen“,74 von denen eine Minimal-
form vorhanden sein muss. Diese besteht Propp zufolge aus nur vier Funktionen, von
denen eine ein Mangel bzw. eine Schädigung ist, eine andere eine Schlussfunktion wie
eine Hochzeit, die Liquidierung des Mangels, eine Rückkehr oder eine Bestrafung.75
Mit Blick auf diese Funktionen gibt es in der Eulalios-Geschichte einige Überein-
stimmungen: Das auslösende Moment ist hier die plötzliche Armut des Protagonis-
ten, in die dieser ganz ohne eigene Schuld geraten ist. In seiner Notsituation wendet
Eulalios sich an den Kaiser Justinian, der in der Geschichte die Funktion des Helden
übernimmt und dem Wunsch seines Untertanen nachkommen möchte. Zunächst
wird der Wunsch zu helfen jedoch unterminiert durch den curator Makedonios, der
in der Erzählung eindeutig die Funktion des Antagonisten innehat. Gegen diesen
Widerstand nimmt die Geschichte dann eine positive Wende, da sich Justinian gegen
den Rat seines Beamten für eine Unterstützung des Eulalios entscheidet und diesem
bedingungslos unter die Arme greift. So kommt es zu einem guten Ende: Justinian
bezahlt die Schulden des mittlerweile verstorbenen Eulalios, nimmt dessen drei Töch-
ter in seine Obhut und stattet alle drei mit einer äußerst großzügigen Mitgift aus.
Anschließend übergibt er sie in die sichere Obhut der Kaiserin Theodora. Herun-
tergebrochen auf die Basisbestandteile entspricht die Eulalios-Geschichte tatsächlich
71 Scott (1985), S. 102-103.
72 Propp (1975); Meletinskij (1975); Lüthi (2004).
73 Propp (1975), S. 31-66.
74 Propp (1975), S. 31.
75 Vgf zusammenfassend Renger (2006), S. 110.
 
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