Johannes „der Rhetor*
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gen und Kürzungen aufweist. Wie stark diese Version sich von der ursprünglichen
Fassung auch in sprachlichen Einzelheiten entfernen kann, zeigen die Vergleiche mit
anderen, z.T. älteren Textträgern, sodass der letzte Herausgeber der Chronik nicht zu
Unrecht die Meinung vertreten hat, „dass eine deskriptive Grammatik des Malalas
nur eine der epitomierten, späten Form sein kann“.180 Die sprachliche - aus einer
klassizistischen Perspektive gesehen - Abnormität der Chronik hängt also z.T, wenn
auch sicherlich nicht nur, mit ihrer fragilen Überlieferung zusammen. Auch Malalas’
oft ungenauer und frei (meistens euhemeristisch) interpretierender Umgang mit dem
antiken Kulturerbe könnte positiver bewertet werden, nämlich als Zeugnis anders ge-
lagerter Voraussetzungen bzw. Interessen.181 Es geht nicht darum, Malalas zu einem
Antiquitätenliebhaber zu erklären - was er nicht war und auch nicht sein wollte -, zu
einem Experten der griechischen Vergangenheit wie Prokop von Gaza; es geht eher
darum, die Möglichkeit offen zu lassen, dass Malalas zumindest die ersten und mitt-
leren Stufen jenes grammatisch-rhetorisch klassischen Bildungsganges durchlaufen
hatte, die Gelehrte wie Prokop und Chorikios von Gaza bis zum Ende absolvierten
und darüber hinaus zu ihrem Beruf wählten. Es ist schon oben bezüglich der Rebel-
lionen* der Studenten des Libanios darauf hingewiesen worden, dass den Lernenden
offenbar diverse Studienoptionen zur Verfügung standen, und zwar auch kürzere Cur-
ricula neben dem längeren und intensiveren Rhetorik-Studium, das sich Libanios für
sie selbstverständlich immer gewünscht hätte. Dieses System wird sich im sechsten
nachchristlichen Jahrhundert nur gefestigt haben. Malalas könnte sehr gut den „short
path to rhetoric“ eingeschlagen haben,182 der nicht zum Erhalt eines entsprechenden
Lehrstuhles führte, doch genug Vorkenntnisse oder mindestens günstige kulturelle
Voraussetzungen mit auf dem Weg gab, um dem Vortrag eines der echten σοφισταί
beiwohnen zu können oder einen ihrer Texte mit Verstand und Genuss zu lesen - z.B.
die Monodie auf Antiochia.
180 Thurn (2000), S. 11*, und auch ebendort S. 4*; siehe auch Maisano (1994), S. 36.
181 Jeffreys (2003), S. 503; Praet (2016), S. cxxx-cxxxi. Wenn Malalas beispielsweise mythologische Details
auslässt oder aus unserer - klassizistischen - Perspektive „falsch“ (d.h. nicht mit den kanonischen
Autoren übereinstimmend) erzählt, dann könnte dies das Ergebnis einer Vorauswahl oder einer bewus-
sten Interpretation sein, und nicht, oder nicht immer, Folge von lauter Unwissenheit. Jede Erwähnung
von antiken Autoren und Mythen bei Malalas müsste für sich untersucht werden, was hier nicht einmal
ansatzweise geleistet werden kann; siehe exemplarisch zur Malalas’ Euripides-Rezeption, mit durchaus
differenzierten Urteilen, D’Alfonso (1996). Auf anderen intellektuellen Gebieten, die nicht die Pflege
des antiken Kulturerbes, sondern zeitgenössische Probleme betreffen (Kalkulation des Eintreffens der
Parusie; Entwurf eines neuen Menschenbildes; konzeptioneller Umgang mit Naturkatastrophen), hat
Malalas immerhin Beachtliches geleistet: siehe Jeffreys (1990b); Odorico (1995); Meier (2007a); Meier
(2007b).
182 Diese Formulierung aus Cribiore (2007), S. 174-183, die das Phänomen vor dem Hintergrund der
Schule des Libanios analysiert und zum hier relevanten Schluss kommt, dass „the short road to rhetoric
was well trodden. It was a fairly efficient way to obtain the degree of knowledge that enabled people to
acquire the reputation of being educated and the ability to function in the curial administration, advo-
cacy and provincial government“ (S. 182); siehe auch Heath (2004), S. 321-331. Nach Thesz (2016), S. 35
ist Malalas’ Bildungsgang so kurz gewesen, dass er ihn nur „unterhalb der Ebene des grammatisch-
rhetorischen Unterrichts“ geführt hat: siehe dazu gleich unten.
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gen und Kürzungen aufweist. Wie stark diese Version sich von der ursprünglichen
Fassung auch in sprachlichen Einzelheiten entfernen kann, zeigen die Vergleiche mit
anderen, z.T. älteren Textträgern, sodass der letzte Herausgeber der Chronik nicht zu
Unrecht die Meinung vertreten hat, „dass eine deskriptive Grammatik des Malalas
nur eine der epitomierten, späten Form sein kann“.180 Die sprachliche - aus einer
klassizistischen Perspektive gesehen - Abnormität der Chronik hängt also z.T, wenn
auch sicherlich nicht nur, mit ihrer fragilen Überlieferung zusammen. Auch Malalas’
oft ungenauer und frei (meistens euhemeristisch) interpretierender Umgang mit dem
antiken Kulturerbe könnte positiver bewertet werden, nämlich als Zeugnis anders ge-
lagerter Voraussetzungen bzw. Interessen.181 Es geht nicht darum, Malalas zu einem
Antiquitätenliebhaber zu erklären - was er nicht war und auch nicht sein wollte -, zu
einem Experten der griechischen Vergangenheit wie Prokop von Gaza; es geht eher
darum, die Möglichkeit offen zu lassen, dass Malalas zumindest die ersten und mitt-
leren Stufen jenes grammatisch-rhetorisch klassischen Bildungsganges durchlaufen
hatte, die Gelehrte wie Prokop und Chorikios von Gaza bis zum Ende absolvierten
und darüber hinaus zu ihrem Beruf wählten. Es ist schon oben bezüglich der Rebel-
lionen* der Studenten des Libanios darauf hingewiesen worden, dass den Lernenden
offenbar diverse Studienoptionen zur Verfügung standen, und zwar auch kürzere Cur-
ricula neben dem längeren und intensiveren Rhetorik-Studium, das sich Libanios für
sie selbstverständlich immer gewünscht hätte. Dieses System wird sich im sechsten
nachchristlichen Jahrhundert nur gefestigt haben. Malalas könnte sehr gut den „short
path to rhetoric“ eingeschlagen haben,182 der nicht zum Erhalt eines entsprechenden
Lehrstuhles führte, doch genug Vorkenntnisse oder mindestens günstige kulturelle
Voraussetzungen mit auf dem Weg gab, um dem Vortrag eines der echten σοφισταί
beiwohnen zu können oder einen ihrer Texte mit Verstand und Genuss zu lesen - z.B.
die Monodie auf Antiochia.
180 Thurn (2000), S. 11*, und auch ebendort S. 4*; siehe auch Maisano (1994), S. 36.
181 Jeffreys (2003), S. 503; Praet (2016), S. cxxx-cxxxi. Wenn Malalas beispielsweise mythologische Details
auslässt oder aus unserer - klassizistischen - Perspektive „falsch“ (d.h. nicht mit den kanonischen
Autoren übereinstimmend) erzählt, dann könnte dies das Ergebnis einer Vorauswahl oder einer bewus-
sten Interpretation sein, und nicht, oder nicht immer, Folge von lauter Unwissenheit. Jede Erwähnung
von antiken Autoren und Mythen bei Malalas müsste für sich untersucht werden, was hier nicht einmal
ansatzweise geleistet werden kann; siehe exemplarisch zur Malalas’ Euripides-Rezeption, mit durchaus
differenzierten Urteilen, D’Alfonso (1996). Auf anderen intellektuellen Gebieten, die nicht die Pflege
des antiken Kulturerbes, sondern zeitgenössische Probleme betreffen (Kalkulation des Eintreffens der
Parusie; Entwurf eines neuen Menschenbildes; konzeptioneller Umgang mit Naturkatastrophen), hat
Malalas immerhin Beachtliches geleistet: siehe Jeffreys (1990b); Odorico (1995); Meier (2007a); Meier
(2007b).
182 Diese Formulierung aus Cribiore (2007), S. 174-183, die das Phänomen vor dem Hintergrund der
Schule des Libanios analysiert und zum hier relevanten Schluss kommt, dass „the short road to rhetoric
was well trodden. It was a fairly efficient way to obtain the degree of knowledge that enabled people to
acquire the reputation of being educated and the ability to function in the curial administration, advo-
cacy and provincial government“ (S. 182); siehe auch Heath (2004), S. 321-331. Nach Thesz (2016), S. 35
ist Malalas’ Bildungsgang so kurz gewesen, dass er ihn nur „unterhalb der Ebene des grammatisch-
rhetorischen Unterrichts“ geführt hat: siehe dazu gleich unten.