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Laura Carrara
leiteten Schluss, Malalas habe diese rhetorische Bildung tatsächlich besessen, „nicht
hinreichend begründet“174 und erkennt ihm letztlich jegliches rhetorisch-klassisches
Wissen ab.175 Zu dieser Position kommt Thesz aufgrund einer Analyse von zwei
werkimmanenten Charakteristika der Chronik, die seiner Meinung nach mit einer
klassisch-rhetorischen Bildungsherkunft nicht kompatibel sind. Erstens nimmt Thesz
Anstoß an der Sprache der Chronik, die - bei allen unterschiedlichen Urteilen und
Einschätzungen, die sie erfahren hat176 - sicherlich eines nicht ist, nämlich geschrie-
ben nach den Maßstäben jenes klassischen (attizistischen) Griechischen, welches zu
Malalas’ Zeit noch von Persönlichkeiten wie Prokop von Caesarea oder auch Prokop
von Gaza weitgehend künstlich (eben mithilfe einer gründlichen Schulunterweisung)
am Leben gehalten wurde. Thesz zufolge zeugt die unklassische Prägung der Malalas -
Sprache von der schieren Unfähigkeit des Autors, sich an die althergebrachten Regeln
zu halten: Wäre er dazu in der Lage gewesen, so hätte er sich zwischen Prokop von
Caesarea und Prokop von Gaza eingereiht.177 Zweitens nimmt Thesz Malalas’Verhält-
nis zu den kanonischen Schulautoren, die er beim Besuch jeder griechischsprachigen
Schule hätte kennenlernen müssen, ins Visier und arbeitet seine mangelnde Vertraut-
heit mit ihnen und ihren Werken (v.a. am Beispiel der Odyssee) heraus.178
Es ist hier nicht der Ort, um Thesz’ Einzelbelege und -ergebnisse einer eingehen-
den Prüfung zu unterziehen. Es sei nur angemerkt, dass seine primäre Beweislinie
im Grunde ein argumentum ex silentio ist, d.h. von alldem ausgeht, was bei Malalas
nicht vorhanden ist: ein attizistisches Griechisch, ein Verhältnis ,auf Augenhöhe4 zu
den Schlüsseltexten der klassischen Literatur. Denkbar ist allerdings auch, dass diese
Abwesenheiten nicht als Bildungslücken zu bewerten sind, sondern als bewusste Ent-
scheidungen eines Autors, der eine andere Agenda verfolgt als z.B. noch ein Prokop
von Gaza. So ist, was die sprachliche Ebene angeht, in der Forschung bereits erwogen
worden, ob Malalas nicht vielleicht willentlich (statt aus lauter Unfähigkeit) „dem
Prokrustesbett des Attizismus“ entfloh und „sein Sprachniveau etwa auf gehobene
Umgangssprache“ einstellte, mit Rücksicht auf die Publikumsrezeption.179 Auch ist in
dieser Hinsicht dringend vor Augen zu halten, dass sich über die wahre Sprache der
Chronik des Malalas nur bedingt Aussagen treffen lassen, weil das Werk über weite
Strecken nur in einer einzigen mittelbyzantinischen Handschrift überliefert ist (dem
bereits mehrmals erwähnten Baroccianus 182), die mehrere Spuren von Überarbeitun-
174 Thesz (2016), S. 28, in Auseinandersetzung mit Croke (1990a), S. 11.
175 Am klarsten bei Thesz (2016), S. 35: „[der] Schluss, dass Malalas keine grammatisch-rhetorische
Bildung genossen hat, [ist] unausweichlich“.
176 Von ihrer klassischen Bewertung als „Vulgärgräzität“ (Krumbacher [1897], $■ 327’ Wolf [1916], Sp. 1798)
bis zu einer neuen Würdigung als „rather refreshingly unadorned style“ durch Rapp (2005), S. 393.
177 Thesz (2016), S. 30-31.
178 Thesz (2016), S. 31-34· Für die Homer-Lektüre hätte Malalas nicht einmal den Rhetoriker aufsuchen
müssen, der Unterricht durch einen Grammatiker hätte gereicht. Zur Dreiteilung des antiken
Schulsystems siehe unten.
179 Hunger (1978), S. 328 (daraus die zwei Formulierungen); siehe auch Maisano (1994), S. 32-33; Jeffreys
(2003), S. 512; Bell (2013), S. 260; Praet (2016), S. cxxx. Thesz (2016), S. 30 spricht sich ausdrücklich ge-
gen diese Anpassungstheorie' aus.
Laura Carrara
leiteten Schluss, Malalas habe diese rhetorische Bildung tatsächlich besessen, „nicht
hinreichend begründet“174 und erkennt ihm letztlich jegliches rhetorisch-klassisches
Wissen ab.175 Zu dieser Position kommt Thesz aufgrund einer Analyse von zwei
werkimmanenten Charakteristika der Chronik, die seiner Meinung nach mit einer
klassisch-rhetorischen Bildungsherkunft nicht kompatibel sind. Erstens nimmt Thesz
Anstoß an der Sprache der Chronik, die - bei allen unterschiedlichen Urteilen und
Einschätzungen, die sie erfahren hat176 - sicherlich eines nicht ist, nämlich geschrie-
ben nach den Maßstäben jenes klassischen (attizistischen) Griechischen, welches zu
Malalas’ Zeit noch von Persönlichkeiten wie Prokop von Caesarea oder auch Prokop
von Gaza weitgehend künstlich (eben mithilfe einer gründlichen Schulunterweisung)
am Leben gehalten wurde. Thesz zufolge zeugt die unklassische Prägung der Malalas -
Sprache von der schieren Unfähigkeit des Autors, sich an die althergebrachten Regeln
zu halten: Wäre er dazu in der Lage gewesen, so hätte er sich zwischen Prokop von
Caesarea und Prokop von Gaza eingereiht.177 Zweitens nimmt Thesz Malalas’Verhält-
nis zu den kanonischen Schulautoren, die er beim Besuch jeder griechischsprachigen
Schule hätte kennenlernen müssen, ins Visier und arbeitet seine mangelnde Vertraut-
heit mit ihnen und ihren Werken (v.a. am Beispiel der Odyssee) heraus.178
Es ist hier nicht der Ort, um Thesz’ Einzelbelege und -ergebnisse einer eingehen-
den Prüfung zu unterziehen. Es sei nur angemerkt, dass seine primäre Beweislinie
im Grunde ein argumentum ex silentio ist, d.h. von alldem ausgeht, was bei Malalas
nicht vorhanden ist: ein attizistisches Griechisch, ein Verhältnis ,auf Augenhöhe4 zu
den Schlüsseltexten der klassischen Literatur. Denkbar ist allerdings auch, dass diese
Abwesenheiten nicht als Bildungslücken zu bewerten sind, sondern als bewusste Ent-
scheidungen eines Autors, der eine andere Agenda verfolgt als z.B. noch ein Prokop
von Gaza. So ist, was die sprachliche Ebene angeht, in der Forschung bereits erwogen
worden, ob Malalas nicht vielleicht willentlich (statt aus lauter Unfähigkeit) „dem
Prokrustesbett des Attizismus“ entfloh und „sein Sprachniveau etwa auf gehobene
Umgangssprache“ einstellte, mit Rücksicht auf die Publikumsrezeption.179 Auch ist in
dieser Hinsicht dringend vor Augen zu halten, dass sich über die wahre Sprache der
Chronik des Malalas nur bedingt Aussagen treffen lassen, weil das Werk über weite
Strecken nur in einer einzigen mittelbyzantinischen Handschrift überliefert ist (dem
bereits mehrmals erwähnten Baroccianus 182), die mehrere Spuren von Überarbeitun-
174 Thesz (2016), S. 28, in Auseinandersetzung mit Croke (1990a), S. 11.
175 Am klarsten bei Thesz (2016), S. 35: „[der] Schluss, dass Malalas keine grammatisch-rhetorische
Bildung genossen hat, [ist] unausweichlich“.
176 Von ihrer klassischen Bewertung als „Vulgärgräzität“ (Krumbacher [1897], $■ 327’ Wolf [1916], Sp. 1798)
bis zu einer neuen Würdigung als „rather refreshingly unadorned style“ durch Rapp (2005), S. 393.
177 Thesz (2016), S. 30-31.
178 Thesz (2016), S. 31-34· Für die Homer-Lektüre hätte Malalas nicht einmal den Rhetoriker aufsuchen
müssen, der Unterricht durch einen Grammatiker hätte gereicht. Zur Dreiteilung des antiken
Schulsystems siehe unten.
179 Hunger (1978), S. 328 (daraus die zwei Formulierungen); siehe auch Maisano (1994), S. 32-33; Jeffreys
(2003), S. 512; Bell (2013), S. 260; Praet (2016), S. cxxx. Thesz (2016), S. 30 spricht sich ausdrücklich ge-
gen diese Anpassungstheorie' aus.