Johannes „der Rhetor*
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sorgten Professors auf ihren Realitätsgehalt hin, dann zeigt sich, dass die davongelau-
fenen Studenten ihr Rhetorikstudium zu Gunsten anderer Beschäftigungen um ein
paar Jahre verkürzten oder dass sie das rhetorische Gerüst zwar gelernt hatten, aber
wegen des neuen Studiums wieder vergaßen oder Ähnliches.168 169 Ganz auf eine rheto-
rische Ausbildung werden die Jünglinge, sofern sie sich (oder ihre Väter sie) als ange-
hende Bewerber auf öffentliche Posten sahen, nicht verzichtet haben (können).109 Im
Korpus des Libanios finden sich nur spärliche Belege für Advokaten ohne jeglichen
rhetorischen Bildungshintergrund; sie sind als Ausnahmen zu betrachten.170 Bezogen
auf Johannes Malalas heißt diese lange Diskussion über ρήτωρ zusammengefasst:
Selbst wenn Euagrios’ Bezeichnung als ρήτωρ für ihn im technischen Sinne als „Ad-
vokat“ verstanden werden sollte (und nicht als „Wortexperte“ o.ä.), dann legt die bis in
die Spätantike bezeugte Normalform des Curriculums für Advokaten (Kombination
von rhetorischen und juristischen Studien) durchaus nahe, dass auch der Advokat
Johannes nicht jeder rhetorischen Bildung bar war1?1 (und stattdessen z.B. nur eine
eng gefasste juristische bzw. technische Kompetenz hatte).172 Sein syrischer Beiname
„Malalas“ („eloquent, redegewandt“, siehe oben) bestätigt das. Das Gegenteil zu be-
weisen, obliegt den Anhängern der entgegengesetzten Position.
Genau diesen Beweis möchte die bisher einzige einschlägige Untersuchung zur
Bildung des Malalas, die von Johann Μ. Thesz, liefern. Thesz räumt zwar ein, dass
der Beiname des Chronisten, Malalas, „immerhin darauf hinzudeuten scheint“, dass
dieser „aufgrund seiner rednerischen Fähigkeiten besonderes Ansehen genoss bzw.
über eine rhetorische Bildung verfügte“;173 er findet nichtdestotrotz den daraus abge-
168 Dass diese Studenten nicht ganz ohne rhetorische Basis nach Berytus gingen, beweist schon die
Tatsache, dass Libanios für sie Empfehlungsschreiben verfasste: Hätten sie nie bei ihm studiert, hätte
er sie gar nicht gekannt und dementsprechend auch keine Briefe für sie schreiben müssen. Zum mehr-
stimmigen und mehrdeutigen Zeugnis des Libanios in Bezug auf die damalige Realität siehe Wolf
(1952), S. 78-83; Greatrex (2001), S. 154-155; Heath (2004), S. 291-294, 327-331; Cribiore (2007), S. 205-
213.
169 Auf das Fortleben der klassischen, rhetorischen Ausbildung in Kombination mit, und nicht als
Alternative zu einem juristischen Studium weisen z.B. Wolf (1952), S. 82 (am Beispiel der Studenten
des Libanios: „der übliche Bildungsgang des Advokaten ist jetzt: Rhetorik-Jurisprudenz“); Jones (1964),
S. 513; Liebeschuetz (1972), S. 253; Browning (2000), S. 878; Greatrex (2001), S. 154,156; Heath (2004),
S. 291-299 hin.
170 Gesammelt und besprochen durch Wolf (1952), S. 79-83. Der aufsehenerregendste Fall ist wohl der ei-
nes zur Advokatur aufgestiegenen Händlers namens Heliodor, der bei Libanios die Bezeichnung
ρήτωρ erhält (in Oratio 62, 46 Foerster): Dieser Heliodor hatte überhaupt keine rhetorische (und
scheinbar auch keine juristische) Schule besucht, sondern sich durch Gerichtbesuche alles selbst beige-
bracht. Zur (Außerordentlichkeit der) Karriere von Heliodor siehe Wolf (1952), S. 19, 81; Jones (1964),
S. 512; Heath (2004), S. 291,327.
171 Diese Formulierung in (kritischer) Anlehnung an das berühmte Urteil von Krumbacher (1897), S. 326,
wonach Malalas „jeder feineren Bildung bar“ war. Siehe zu diesem entscheidenden Punkt auch die
ähnlichen Ausführungen von Loukaki (2016), S. 53-54 bezüglich σχολαστικός.
172 Das scheint die Meinung von Thurn (2000), S. 1* zu sein, der für ρήτωρ im 6. Jahrhundert die
Übersetzung „ausgebildeter Jurist“ vorschlägt und in Malalas einen Rechtsgelehrten (nicht „Advokat“
im o.g. Sinn) sieht; beides - „legal training“ und „courtroom activity“- nimmt für Malalas Szabat
(2015a), S. 180 an.
173 Thesz (2016), S. 30; dasselbe hebt auch Szabat (2015a), S. 180 hervor; siehe auch Croke (1990c), S. 326.
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sorgten Professors auf ihren Realitätsgehalt hin, dann zeigt sich, dass die davongelau-
fenen Studenten ihr Rhetorikstudium zu Gunsten anderer Beschäftigungen um ein
paar Jahre verkürzten oder dass sie das rhetorische Gerüst zwar gelernt hatten, aber
wegen des neuen Studiums wieder vergaßen oder Ähnliches.168 169 Ganz auf eine rheto-
rische Ausbildung werden die Jünglinge, sofern sie sich (oder ihre Väter sie) als ange-
hende Bewerber auf öffentliche Posten sahen, nicht verzichtet haben (können).109 Im
Korpus des Libanios finden sich nur spärliche Belege für Advokaten ohne jeglichen
rhetorischen Bildungshintergrund; sie sind als Ausnahmen zu betrachten.170 Bezogen
auf Johannes Malalas heißt diese lange Diskussion über ρήτωρ zusammengefasst:
Selbst wenn Euagrios’ Bezeichnung als ρήτωρ für ihn im technischen Sinne als „Ad-
vokat“ verstanden werden sollte (und nicht als „Wortexperte“ o.ä.), dann legt die bis in
die Spätantike bezeugte Normalform des Curriculums für Advokaten (Kombination
von rhetorischen und juristischen Studien) durchaus nahe, dass auch der Advokat
Johannes nicht jeder rhetorischen Bildung bar war1?1 (und stattdessen z.B. nur eine
eng gefasste juristische bzw. technische Kompetenz hatte).172 Sein syrischer Beiname
„Malalas“ („eloquent, redegewandt“, siehe oben) bestätigt das. Das Gegenteil zu be-
weisen, obliegt den Anhängern der entgegengesetzten Position.
Genau diesen Beweis möchte die bisher einzige einschlägige Untersuchung zur
Bildung des Malalas, die von Johann Μ. Thesz, liefern. Thesz räumt zwar ein, dass
der Beiname des Chronisten, Malalas, „immerhin darauf hinzudeuten scheint“, dass
dieser „aufgrund seiner rednerischen Fähigkeiten besonderes Ansehen genoss bzw.
über eine rhetorische Bildung verfügte“;173 er findet nichtdestotrotz den daraus abge-
168 Dass diese Studenten nicht ganz ohne rhetorische Basis nach Berytus gingen, beweist schon die
Tatsache, dass Libanios für sie Empfehlungsschreiben verfasste: Hätten sie nie bei ihm studiert, hätte
er sie gar nicht gekannt und dementsprechend auch keine Briefe für sie schreiben müssen. Zum mehr-
stimmigen und mehrdeutigen Zeugnis des Libanios in Bezug auf die damalige Realität siehe Wolf
(1952), S. 78-83; Greatrex (2001), S. 154-155; Heath (2004), S. 291-294, 327-331; Cribiore (2007), S. 205-
213.
169 Auf das Fortleben der klassischen, rhetorischen Ausbildung in Kombination mit, und nicht als
Alternative zu einem juristischen Studium weisen z.B. Wolf (1952), S. 82 (am Beispiel der Studenten
des Libanios: „der übliche Bildungsgang des Advokaten ist jetzt: Rhetorik-Jurisprudenz“); Jones (1964),
S. 513; Liebeschuetz (1972), S. 253; Browning (2000), S. 878; Greatrex (2001), S. 154,156; Heath (2004),
S. 291-299 hin.
170 Gesammelt und besprochen durch Wolf (1952), S. 79-83. Der aufsehenerregendste Fall ist wohl der ei-
nes zur Advokatur aufgestiegenen Händlers namens Heliodor, der bei Libanios die Bezeichnung
ρήτωρ erhält (in Oratio 62, 46 Foerster): Dieser Heliodor hatte überhaupt keine rhetorische (und
scheinbar auch keine juristische) Schule besucht, sondern sich durch Gerichtbesuche alles selbst beige-
bracht. Zur (Außerordentlichkeit der) Karriere von Heliodor siehe Wolf (1952), S. 19, 81; Jones (1964),
S. 512; Heath (2004), S. 291,327.
171 Diese Formulierung in (kritischer) Anlehnung an das berühmte Urteil von Krumbacher (1897), S. 326,
wonach Malalas „jeder feineren Bildung bar“ war. Siehe zu diesem entscheidenden Punkt auch die
ähnlichen Ausführungen von Loukaki (2016), S. 53-54 bezüglich σχολαστικός.
172 Das scheint die Meinung von Thurn (2000), S. 1* zu sein, der für ρήτωρ im 6. Jahrhundert die
Übersetzung „ausgebildeter Jurist“ vorschlägt und in Malalas einen Rechtsgelehrten (nicht „Advokat“
im o.g. Sinn) sieht; beides - „legal training“ und „courtroom activity“- nimmt für Malalas Szabat
(2015a), S. 180 an.
173 Thesz (2016), S. 30; dasselbe hebt auch Szabat (2015a), S. 180 hervor; siehe auch Croke (1990c), S. 326.