6 Schopenhauer als Erzieher
Der Absatz von UB I DS und UB II HL war eher unbefriedigend verlaufen,
wie N. am 3. November an seine Schwester (KSB 4, Nr. 401, S. 273) und am
15. November 1874 an Rohde (KSB 4, Nr. 403, S. 275) schrieb: Nur ca. 500 Ex-
emplare von UB I DS und weniger als 200 Exemplare von UB II HL waren bis zu
diesem Zeitpunkt tatsächlich bereits verkauft. - Seinem neuen Verleger Ernst
Schmeitzner hatte N. allerdings schon am 15. Juli 1874 (entgegen den realen
Gegebenheiten) die Publikation von UB III SE vollmundig als ökonomisch at-
traktiv avisiert: „Meine Unzeitgemässen Betrachtungen sind sehr stark begehrt
und gelesen; meine ,Geburt der Tragödie' erscheint so eben in zweiter Auflage"
(KSB 4, Nr. 378, S. 244). - N.s früherer Verleger Ernst Wilhelm Fritzsch infor-
mierte ihn am 27. August 1874 allerdings über „die große Anzahl der [...] remit-
tirten Exemplare der 1. Auflage" der Geburt der Tragödie, die ihm eine rasche
2. Auflage unmöglich machten (KGB II 4, Nr. 570, S. 545-546). So gestand N.
seiner Schwester am 3. November, dass an eine zweite Auflage der „Geburt der
Trag." erst nach dem Verkauf von „ein paar hundert" Restexemplaren gedacht
werden könne (KSB 4, Nr. 401, S. 273).
Das Druckmanuskript von UB III SE ist nur fragmentarisch überliefert: Der
erste und der letzte Teil fehlen. Erhalten blieb ein Handexemplar mit Korrektu-
ren, die aber nur teilweise eindeutig von N. stammen. Vgl. dazu KSA 14, 74. -
Zur Druckgeschichte von UB III SE vgl. die detaillierten Angaben bei Schaberg
2002, 66-73.
111.2 Die Schrift Schopenhauer als Erzieher im Kontext
der Unzeitgemässen Betrachtungen
Gemeinsam ist den vier Unzeitgemässen Betrachtungen die Kritik am zeitgenös-
sischen Bildungssystem und Wissenschaftsbetrieb sowie das Engagement für
eine zukünftige Kultur, die N. schon in UB I DS als „Einheit des künstlerischen
Stiles in allen Lebensäusserungen eines Volkes" versteht (KSA 1, 163, 3-4).
Später greift er auch in UB II HL (KSA 1, 274, 28-29) auf diese Definition zurück.
Da er den Zweck der Menschheit in ihren „werthvollsten Exemplare[n]" sieht
(384, 34), beschreibt er die „Erzeugung des Genius" in Gestalt des Philosophen,
Künstlers und Heiligen in UB III SE als „das Ziel aller Cultur" (358, 12-13; 386,
19-22) und zugleich als „Vollendung der Natur" (341, 382). Während N. in
UB I DS gegen David Friedrich Strauß als Prototyp eines ,Bildungsphilisters'
polemisiert und in UB II HL die Problematik eines lebensfeindlichen Historis-
mus im 19. Jahrhundert reflektiert, stellt er in UB III SE und UB IV WB Schopen-
hauer und Wagner als ,unzeitgemäße' Persönlichkeiten dar, die seines Erach-
tens durch autonome Selbstentfaltung und geniale Tiefe als Vorbildfiguren
Der Absatz von UB I DS und UB II HL war eher unbefriedigend verlaufen,
wie N. am 3. November an seine Schwester (KSB 4, Nr. 401, S. 273) und am
15. November 1874 an Rohde (KSB 4, Nr. 403, S. 275) schrieb: Nur ca. 500 Ex-
emplare von UB I DS und weniger als 200 Exemplare von UB II HL waren bis zu
diesem Zeitpunkt tatsächlich bereits verkauft. - Seinem neuen Verleger Ernst
Schmeitzner hatte N. allerdings schon am 15. Juli 1874 (entgegen den realen
Gegebenheiten) die Publikation von UB III SE vollmundig als ökonomisch at-
traktiv avisiert: „Meine Unzeitgemässen Betrachtungen sind sehr stark begehrt
und gelesen; meine ,Geburt der Tragödie' erscheint so eben in zweiter Auflage"
(KSB 4, Nr. 378, S. 244). - N.s früherer Verleger Ernst Wilhelm Fritzsch infor-
mierte ihn am 27. August 1874 allerdings über „die große Anzahl der [...] remit-
tirten Exemplare der 1. Auflage" der Geburt der Tragödie, die ihm eine rasche
2. Auflage unmöglich machten (KGB II 4, Nr. 570, S. 545-546). So gestand N.
seiner Schwester am 3. November, dass an eine zweite Auflage der „Geburt der
Trag." erst nach dem Verkauf von „ein paar hundert" Restexemplaren gedacht
werden könne (KSB 4, Nr. 401, S. 273).
Das Druckmanuskript von UB III SE ist nur fragmentarisch überliefert: Der
erste und der letzte Teil fehlen. Erhalten blieb ein Handexemplar mit Korrektu-
ren, die aber nur teilweise eindeutig von N. stammen. Vgl. dazu KSA 14, 74. -
Zur Druckgeschichte von UB III SE vgl. die detaillierten Angaben bei Schaberg
2002, 66-73.
111.2 Die Schrift Schopenhauer als Erzieher im Kontext
der Unzeitgemässen Betrachtungen
Gemeinsam ist den vier Unzeitgemässen Betrachtungen die Kritik am zeitgenös-
sischen Bildungssystem und Wissenschaftsbetrieb sowie das Engagement für
eine zukünftige Kultur, die N. schon in UB I DS als „Einheit des künstlerischen
Stiles in allen Lebensäusserungen eines Volkes" versteht (KSA 1, 163, 3-4).
Später greift er auch in UB II HL (KSA 1, 274, 28-29) auf diese Definition zurück.
Da er den Zweck der Menschheit in ihren „werthvollsten Exemplare[n]" sieht
(384, 34), beschreibt er die „Erzeugung des Genius" in Gestalt des Philosophen,
Künstlers und Heiligen in UB III SE als „das Ziel aller Cultur" (358, 12-13; 386,
19-22) und zugleich als „Vollendung der Natur" (341, 382). Während N. in
UB I DS gegen David Friedrich Strauß als Prototyp eines ,Bildungsphilisters'
polemisiert und in UB II HL die Problematik eines lebensfeindlichen Historis-
mus im 19. Jahrhundert reflektiert, stellt er in UB III SE und UB IV WB Schopen-
hauer und Wagner als ,unzeitgemäße' Persönlichkeiten dar, die seines Erach-
tens durch autonome Selbstentfaltung und geniale Tiefe als Vorbildfiguren