Überblickskommentar, Kapitel 111.2: Werkkontext 7
fungieren und wesentliche Impulse vermitteln können. Dabei wertet N. den
Begriff des ,Unzeitgemäßen' radikal um, der ja sonst eher pejorativ zu verste-
hen ist und insofern das für die jeweilige historische Epoche nicht Angemesse-
ne oder sogar Unpassende, da Obsolete bezeichnet. Da N. jedoch gerade das
Zeitgemäße als das zu überwindende Negative betrachtet, nimmt er den Gegen-
begriff des ,Unzeitgemäßen' mit positiven Implikationen für Personen und
Konzepte in Anspruch, die über die aktuelle Gegenwart hinausweisen und den
Horizont einer besseren Zukunft eröffnen. Indem N. in UB III SE und UB IV WB
Schopenhauer und Wagner als autonome Persönlichkeiten präsentiert, die sich
von Konventionen und etablierten Normen emanzipiert und insofern die Be-
schränkungen ihrer Zeit überwunden haben, versucht er seine kritischen Ge-
genwartsdiagnosen mit konstruktiven Zukunftsperspektiven zu verbinden.
Während N. in UB III SE die ,unzeitgemäße' Genialität Schopenhauers be-
tont, polemisiert er hier zugleich gegen den Typus des sterilen Gelehrten und
führt dabei auch kulturkritische Akzentsetzungen von UB II HL weiter: Dort
analogisiert er die hektische Produktivität von Wissenschaftlern mit einer Ver-
sklavung durch Fabrikarbeit, spricht sich entschieden gegen eine Instrumenta-
lisierung der Gelehrten durch pragmatische Nützlichkeitskriterien aus und ver-
gleicht sie ironisch mit den vom „allzuschnellen Eierlegen" völlig „erschöpften
Hennen" (KSA 1, 301, 20-23). In UB III SE schließt N. auch an den kulturge-
schichtlich etablierten Antagonismus zwischen ,Genies' und ,Gelehrten' an
und entfaltet seine Kritik an der Mentalität der Gelehrten dann sogar in einer
pointierten Satire (vgl. 394-399). Zugleich eröffnet er einen zeitkritischen Refle-
xionshorizont, indem er die Überschätzung der „Gelehrten" als symptomatisch
für „ganz erkrankte und verdrossene Zeiten" betrachtet (400, 5-7). Während
N. in UB III SE und UB IV WB Schopenhauer und Wagner als geniale Persön-
lichkeiten und unzeitgemäße Vorbilder würdigt, betont er in UB II HL „die
Schwäche der modernen Persönlichkeit" (KSA 1, 285, 19), die er für ein zeittypi-
sches Defizit hält. Damit setzt er Akzente, die in UB I DS auch in seine Polemik
gegen den ,Bildungsphilister' David Friedrich Strauß hineinwirken.
Bereits in UB I DS kontrastiert N. echte Bildung und bloße Gebildetheit
(KSA 1, 160-161). Aus dieser Gegenüberstellung resultieren in UB III SE Kritik
am zeitgenössischen Bildungssystem und Überlegungen zu Alternativen in Ge-
stalt einer Erziehungsform, die eine Befreiung des Individuums von Entwick-
lungshindernissen intendiert und vom Anspruch auf Selbsterkenntnis, Eman-
zipation und Autonomie getragen ist. Der Decadence-Symptomatik, die (der
Darstellung in UB III SE zufolge) zur Schwächung der Persönlichkeit und zu-
gleich zur Überschätzung des Gelehrtentypus geführt hat (400), hält N. das
Ideal des großen Individuums entgegen, das für ihn auf paradigmatische Wei-
se sein eigener Erzieher Schopenhauer repräsentiert. Vorstellungen von Herois-
fungieren und wesentliche Impulse vermitteln können. Dabei wertet N. den
Begriff des ,Unzeitgemäßen' radikal um, der ja sonst eher pejorativ zu verste-
hen ist und insofern das für die jeweilige historische Epoche nicht Angemesse-
ne oder sogar Unpassende, da Obsolete bezeichnet. Da N. jedoch gerade das
Zeitgemäße als das zu überwindende Negative betrachtet, nimmt er den Gegen-
begriff des ,Unzeitgemäßen' mit positiven Implikationen für Personen und
Konzepte in Anspruch, die über die aktuelle Gegenwart hinausweisen und den
Horizont einer besseren Zukunft eröffnen. Indem N. in UB III SE und UB IV WB
Schopenhauer und Wagner als autonome Persönlichkeiten präsentiert, die sich
von Konventionen und etablierten Normen emanzipiert und insofern die Be-
schränkungen ihrer Zeit überwunden haben, versucht er seine kritischen Ge-
genwartsdiagnosen mit konstruktiven Zukunftsperspektiven zu verbinden.
Während N. in UB III SE die ,unzeitgemäße' Genialität Schopenhauers be-
tont, polemisiert er hier zugleich gegen den Typus des sterilen Gelehrten und
führt dabei auch kulturkritische Akzentsetzungen von UB II HL weiter: Dort
analogisiert er die hektische Produktivität von Wissenschaftlern mit einer Ver-
sklavung durch Fabrikarbeit, spricht sich entschieden gegen eine Instrumenta-
lisierung der Gelehrten durch pragmatische Nützlichkeitskriterien aus und ver-
gleicht sie ironisch mit den vom „allzuschnellen Eierlegen" völlig „erschöpften
Hennen" (KSA 1, 301, 20-23). In UB III SE schließt N. auch an den kulturge-
schichtlich etablierten Antagonismus zwischen ,Genies' und ,Gelehrten' an
und entfaltet seine Kritik an der Mentalität der Gelehrten dann sogar in einer
pointierten Satire (vgl. 394-399). Zugleich eröffnet er einen zeitkritischen Refle-
xionshorizont, indem er die Überschätzung der „Gelehrten" als symptomatisch
für „ganz erkrankte und verdrossene Zeiten" betrachtet (400, 5-7). Während
N. in UB III SE und UB IV WB Schopenhauer und Wagner als geniale Persön-
lichkeiten und unzeitgemäße Vorbilder würdigt, betont er in UB II HL „die
Schwäche der modernen Persönlichkeit" (KSA 1, 285, 19), die er für ein zeittypi-
sches Defizit hält. Damit setzt er Akzente, die in UB I DS auch in seine Polemik
gegen den ,Bildungsphilister' David Friedrich Strauß hineinwirken.
Bereits in UB I DS kontrastiert N. echte Bildung und bloße Gebildetheit
(KSA 1, 160-161). Aus dieser Gegenüberstellung resultieren in UB III SE Kritik
am zeitgenössischen Bildungssystem und Überlegungen zu Alternativen in Ge-
stalt einer Erziehungsform, die eine Befreiung des Individuums von Entwick-
lungshindernissen intendiert und vom Anspruch auf Selbsterkenntnis, Eman-
zipation und Autonomie getragen ist. Der Decadence-Symptomatik, die (der
Darstellung in UB III SE zufolge) zur Schwächung der Persönlichkeit und zu-
gleich zur Überschätzung des Gelehrtentypus geführt hat (400), hält N. das
Ideal des großen Individuums entgegen, das für ihn auf paradigmatische Wei-
se sein eigener Erzieher Schopenhauer repräsentiert. Vorstellungen von Herois-