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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0051
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24 Schopenhauer als Erzieher

Ähnlich wie Schopenhauers Reflexionen (UP 166, 177, 184-185) sind N.s
Kulturdiagnosen von Skepsis und Pessimismus hinsichtlich der eigenen Epo-
che bestimmt (SE 343-346, 350, 361, 364, 366-368, 407-408, 425). N. konsta-
tiert einen Mangel an authentischen Vorbildfiguren (SE 343-347), die in einer
krisenhaften Epoche Orientierung geben (SE 345-346) und die persönliche Ent-
wicklung ihrer Schüler fördern könnten (SE 341). Sein eigener Lehrer Schopen-
hauer, den er durch die Lektüre seiner Werke überhaupt erst kennenlernte
(SE 341, 346-350), erscheint ihm in dieser Hinsicht als ideales ,unzeitgemäßes'
Paradigma (SE 346, 362-363, 425).
Als „Befreier" von Entwicklungshindernissen tragen vorbildliche Erzieher
nach N.s Auffassung maßgeblich zur „Vollendung der Natur" ihrer Schüler bei
(SE 341) - anders als die Universitätsphilosophen, die der akademischen Ju-
gend schaden (UP 164, 177, 178, 186), ihr die Philosophie zeitlebens verleiden
(UP 207; SE 417-418, 423) oder sogar ganze Gelehrtengenerationen verderben
können (UP 177, 185; SE 344, 347). Hinzu komme die Problematik, dass die Stu-
denten in einer Haltung „gläubige[r] Anhänglichkeit" (UP 192) oder pragma-
tisch motivierter „Treue" (SE 396-397) die Philosophie ihrer Professoren verab-
solutieren, dabei aber die „wirklichen Philosophen" übersehen (UP 192).
Schopenhauer und N. stimmen in der Feststellung überein, dass nur „sehr
wenige Philosophen" zugleich „Professoren der Philosophie" waren und um-
gekehrt (UP 161; SE 409-411, 413-419, 421, 425, 426). Für prekär halten sie den
mit dem akademischen Unterricht verbundenen Zwang, zu festgelegten Zeiten
zu lehren, dabei die als opportun geltenden Gesinnungen zu demonstrieren
und der Wahrheit überzuordnen (UP 161, 191, 205; SE 414-415), sowie die für
eitle Naturen verführerische Möglichkeit, sich bei den öffentlichen Auftritten
selbst als weise zu inszenieren (UP 161; SE 410, 416). Anders als Schopenhauer
visiert N. für die fernere Zukunft sogar revolutionäre Veränderungen an: „eine
mögliche Umwälzung des Erziehungswesens" auf allen Ebenen (SE 404).
Bekanntlich litt Schopenhauer jahrzehntelang unter dem Mangel an öffent-
licher Resonanz: Das Ignorieren seiner Werke (UP 200) durch das Schweigen
seiner Zeitgenossen (UP 160; SE 353) empfand er als Strategie eines passiven
Widerstands (UP 160, 171, 175, 196, 200, 202; SE 353, 406). Schopenhauer selbst
betrachtet diese Situation als typisch für die Verschwörung mediokrer Geister
gegen die intellektuelle Elite (UP 175-176). N. deutet sie darüber hinaus auch
als eine symptomatische Erfahrung (SE 406), aus der sich via negationis er-
schließen lasse, welche Voraussetzungen für die Genese des ,echten' Philoso-
phen notwendig seien (SE 403-411).
N. stilisiert Schopenhauer zum Antagonisten des Universitätsphilosophen
Kant (SE 351, 414). Schopenhauer selbst exemplifiziert seine Kritik an den be-
soldeten „Katheder-Philosophen" (UP 149, 152, 153, 155, 168, 203; SE 426) durch
 
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