Überblickskommentar, Kapitel III.6: Rezeption 49
sich an N.s programmatischer These in UB II HL: Das „Ziel der Menschheit kann
[...] nur in ihren höchsten Exemplaren" liegen (KSA 1, 317, 24-26).
Im Unterschied zu N. verbindet Scheler die „Verantwortung" für eine „Teil-
habe an allem Menschlichen" allerdings auch mit einem religiösen Sinn, indem
er das für „die Menschheit" Beste auf „das Werden Gottes" bezieht (B.I.22).
Damit schließt Scheler an Tendenzen der Hegelschen Geschichtsteleologie an,
nach der sich in der Weltgeschichte eine fortschreitende Selbstoffenbarung
Gottes ereigne. Der von Scheler bereits im Titel dieses Dokuments hervorgeho-
bene Rekurs auf die Evolutionslehre entspricht im Ansatz allerdings der biolo-
gistischen Perspektive N.s in UB III SE: Hier argumentiert N. unter der Prämis-
se, dass es bei „einer jeden Art des Thier- und Pflanzenreichs [...] allein auf das
einzelne höhere Exemplar" ankomme: „auf das ungewöhnlichere, mächtigere,
complicirtere, fruchtbarere" (384, 4-7). Diese Erkenntnis würde N. gern auch
„auf die Gesellschaft und ihre Zwecke anwenden" (384, 3), sieht sich daran
allerdings durch „anerzogne Einbildungen über den Zweck der Gesellschaft"
gehindert (384, 8). Vgl. auch NK 378, 22-24.
Max Scheler, der sich schon als Gymnasiast intensiv mit N. auseinanderge-
setzt hatte, sah sich selbst im Bereich philosophischer Anthropologie sogar als
Erben N.s. Im „Nietzsche-Heft" notiert er: „[...] Aber central seine Anthropolo-
gie'. Seine ,Kulturphilos[ophie]' und ,Kulturkritik' ist aus ihr zu erklären, nicht
umgekehrt" (B.I.21, 75). Zu Schelers nachgelassenen Dokumenten, in denen
etliche implizite Bezugnahmen auf die Unzeitgemässen Betrachtungen zu fin-
den sind, gehören auch Notizen zum geplanten Vortrag „Nietzsche und die
Fragwürdigk[eit] des Menschen", den er Mitte Oktober 1927 zur Feier von N.s
Geburtstag halten wollte (B.I.21, 13-15). Schelers Ausrichtung an N.s Geistes-
aristokratismus, der sich auch in UB III SE manifestiert, erhellt daraus, dass er
ausdrücklich auf „Nietzsche und das Problem einer ,europäischen' und Deut-
schen' ,Elite'" hinweist (ebd., 77). Damit gibt er seine Orientierung an den Zu-
kunftsperspektiven zu erkennen, die N. in UB II HL entfaltet, wenn er die „Auf-
gabe der Geschichte" darin sieht, „das hohe Geistergespräch" im Sinne
Schopenhauers fortzusetzen und „immer wieder zur Erzeugung des Grossen
Anlass zu geben und Kräfte zu verleihen" (317, 21-24). Vgl. NK 317, 22-26.
Scheler befürwortet einen elitären Individualismus, wie er sich bereits in
N.s Unzeitgemässen Betrachtungen ausprägt. Daher erklärt er: „Daß die ,höhe-
ren Menschen' es sind, in denen die Geschichte[,], ja der Weltprocess ,gipfelt',
sich selbst am concentrirtesten zusam[m]enfaßt - darin hat Nietzsche recht - [,]
nicht die große Massentheorie und ihr Wertcollectivismus" (B.I.21, 136-138).
Und in deutlicher Affinität zu Schopenhauers Konzept des Genies und des Hei-
ligen, auf das N. in UB III SE Bezug nimmt (vgl. 358, 1-33), notiert Scheler im
„Nietzsche-Heft" über „[Typen des höheren Menschen]: „Von den großen Ge-
sich an N.s programmatischer These in UB II HL: Das „Ziel der Menschheit kann
[...] nur in ihren höchsten Exemplaren" liegen (KSA 1, 317, 24-26).
Im Unterschied zu N. verbindet Scheler die „Verantwortung" für eine „Teil-
habe an allem Menschlichen" allerdings auch mit einem religiösen Sinn, indem
er das für „die Menschheit" Beste auf „das Werden Gottes" bezieht (B.I.22).
Damit schließt Scheler an Tendenzen der Hegelschen Geschichtsteleologie an,
nach der sich in der Weltgeschichte eine fortschreitende Selbstoffenbarung
Gottes ereigne. Der von Scheler bereits im Titel dieses Dokuments hervorgeho-
bene Rekurs auf die Evolutionslehre entspricht im Ansatz allerdings der biolo-
gistischen Perspektive N.s in UB III SE: Hier argumentiert N. unter der Prämis-
se, dass es bei „einer jeden Art des Thier- und Pflanzenreichs [...] allein auf das
einzelne höhere Exemplar" ankomme: „auf das ungewöhnlichere, mächtigere,
complicirtere, fruchtbarere" (384, 4-7). Diese Erkenntnis würde N. gern auch
„auf die Gesellschaft und ihre Zwecke anwenden" (384, 3), sieht sich daran
allerdings durch „anerzogne Einbildungen über den Zweck der Gesellschaft"
gehindert (384, 8). Vgl. auch NK 378, 22-24.
Max Scheler, der sich schon als Gymnasiast intensiv mit N. auseinanderge-
setzt hatte, sah sich selbst im Bereich philosophischer Anthropologie sogar als
Erben N.s. Im „Nietzsche-Heft" notiert er: „[...] Aber central seine Anthropolo-
gie'. Seine ,Kulturphilos[ophie]' und ,Kulturkritik' ist aus ihr zu erklären, nicht
umgekehrt" (B.I.21, 75). Zu Schelers nachgelassenen Dokumenten, in denen
etliche implizite Bezugnahmen auf die Unzeitgemässen Betrachtungen zu fin-
den sind, gehören auch Notizen zum geplanten Vortrag „Nietzsche und die
Fragwürdigk[eit] des Menschen", den er Mitte Oktober 1927 zur Feier von N.s
Geburtstag halten wollte (B.I.21, 13-15). Schelers Ausrichtung an N.s Geistes-
aristokratismus, der sich auch in UB III SE manifestiert, erhellt daraus, dass er
ausdrücklich auf „Nietzsche und das Problem einer ,europäischen' und Deut-
schen' ,Elite'" hinweist (ebd., 77). Damit gibt er seine Orientierung an den Zu-
kunftsperspektiven zu erkennen, die N. in UB II HL entfaltet, wenn er die „Auf-
gabe der Geschichte" darin sieht, „das hohe Geistergespräch" im Sinne
Schopenhauers fortzusetzen und „immer wieder zur Erzeugung des Grossen
Anlass zu geben und Kräfte zu verleihen" (317, 21-24). Vgl. NK 317, 22-26.
Scheler befürwortet einen elitären Individualismus, wie er sich bereits in
N.s Unzeitgemässen Betrachtungen ausprägt. Daher erklärt er: „Daß die ,höhe-
ren Menschen' es sind, in denen die Geschichte[,], ja der Weltprocess ,gipfelt',
sich selbst am concentrirtesten zusam[m]enfaßt - darin hat Nietzsche recht - [,]
nicht die große Massentheorie und ihr Wertcollectivismus" (B.I.21, 136-138).
Und in deutlicher Affinität zu Schopenhauers Konzept des Genies und des Hei-
ligen, auf das N. in UB III SE Bezug nimmt (vgl. 358, 1-33), notiert Scheler im
„Nietzsche-Heft" über „[Typen des höheren Menschen]: „Von den großen Ge-