Stellenkommentar UB III SE 1, KSA 1, S. 337-338 57
Paul de Lagarde: „jeder mensch ist einzig in seiner art, denn er ist das resultat
eines nie wieder vorkommenden processes einziger art" (Paul de Lagarde:
Deutsche Schriften, 1878-1881, Bd. 1, 49). Da Individualitätskonzepte aller-
dings schon im 18. Jahrhundert weit verbreitet sind, erscheint es fraglich, „ob
die Parallele wirklich einschlägig sei" (Sommer 1998, 181).
337, 14-15 heerdenmässig zu denken und zu handeln] Der despektierliche Blick
des Geistesaristokraten auf die bloße Herdenexistenz als Lebensform der über-
wiegenden Masse der Menschen, die sich aufgrund ihrer Mediokrität primär für
die eigene Bequemlichkeit interessiert, ist auch sonst für N. charakteristisch.
Insbesondere in seinen späteren Werken finden sich zahlreiche Belegstellen.
N. meint, der soziale Druck der Herdenmoral treibe den Einzelnen in Anpas-
sung und Mittelmäßigkeit und motiviere ihn zum Kampf gegen jede höhere
Existenzform. Vgl. z. B. die Texte 62, 199, 212 in Jenseits von Gut und Böse
(KSA 5, 81-83, 119-120, 145-147).
337, 21-23 Die Künstler allein hassen dieses lässige Einhergehen in erborgten
Manieren und übergehängten Meinungen] Einen im positiven Sinne ,unzeit-
gemäßen' Sonderstatus spricht N. den (pauschal genannten) Künstlern in
UB III SE auch an späterer Stelle zu, und zwar aufgrund ihrer unkonventionel-
len Mentalität und ihrer Bereitschaft zur Rebellion gegen die „bestehenden
Formen und Ordnungen" (351, 19). Als paradigmatisch für eine solche Haltung
betrachtet N. Richard Wagner (351, 17). Bereits am 11. März 1870 würdigt N. in
einem Brief an Carl von Gersdorff in diesem Sinne die unzeitgemäße Sonder-
stellung Wagners und Schopenhauers: „Zweierlei halte ich mir immer vor: der
unglaubliche Ernst und die deutsche Vertiefung in der Welt- und Kunstan-
schauung Wagners, wie sie aus jedem Tone quillt, ist den meisten Menschen
unsrer Jetztzeit' ein Greuel, wie Schopenhauer's Askesis und Verneinung des
Willens" (KSB 3, Nr. 65, S. 105).
338, 5-7 Wenn der grosse Denker die Menschen verachtet, so verachtet er ihre
Faulheit: denn ihrethalben erscheinen sie als Fabrikwaare] Diese Aussage zielt
bereits konkret auf die misanthropischen und pessimistischen Tendenzen
Schopenhauers, den N. explizit erst einige Seiten später in UB III SE zum ersten
Mal erwähnt (341, 24). N. übernimmt hier Schopenhauers Industrie-Metapher
„Fabrikwaare". In der Welt als Wille und Vorstellung I erklärt Schopenhauer:
„Der gewöhnliche Mensch, diese Fabrikwaare der Natur, wie sie solche täglich
zu Tausenden hervorbringt, ist [...] einer in jedem Sinn völlig uninteressirten
Betrachtung, welches die eigentliche Beschaulichkeit ist, wenigstens durchaus
nicht anhaltend fähig" (WWV I, § 36, Hü 220). Auch in seiner Schrift Ueber die
Universitäts-Philosophie spricht Schopenhauer pejorativ von „der Fabrikwaare
der Natur [...] mit ihrem Fabrikzeichen auf der Stirn" (PP I, Hü 209). Ähnlich
Paul de Lagarde: „jeder mensch ist einzig in seiner art, denn er ist das resultat
eines nie wieder vorkommenden processes einziger art" (Paul de Lagarde:
Deutsche Schriften, 1878-1881, Bd. 1, 49). Da Individualitätskonzepte aller-
dings schon im 18. Jahrhundert weit verbreitet sind, erscheint es fraglich, „ob
die Parallele wirklich einschlägig sei" (Sommer 1998, 181).
337, 14-15 heerdenmässig zu denken und zu handeln] Der despektierliche Blick
des Geistesaristokraten auf die bloße Herdenexistenz als Lebensform der über-
wiegenden Masse der Menschen, die sich aufgrund ihrer Mediokrität primär für
die eigene Bequemlichkeit interessiert, ist auch sonst für N. charakteristisch.
Insbesondere in seinen späteren Werken finden sich zahlreiche Belegstellen.
N. meint, der soziale Druck der Herdenmoral treibe den Einzelnen in Anpas-
sung und Mittelmäßigkeit und motiviere ihn zum Kampf gegen jede höhere
Existenzform. Vgl. z. B. die Texte 62, 199, 212 in Jenseits von Gut und Böse
(KSA 5, 81-83, 119-120, 145-147).
337, 21-23 Die Künstler allein hassen dieses lässige Einhergehen in erborgten
Manieren und übergehängten Meinungen] Einen im positiven Sinne ,unzeit-
gemäßen' Sonderstatus spricht N. den (pauschal genannten) Künstlern in
UB III SE auch an späterer Stelle zu, und zwar aufgrund ihrer unkonventionel-
len Mentalität und ihrer Bereitschaft zur Rebellion gegen die „bestehenden
Formen und Ordnungen" (351, 19). Als paradigmatisch für eine solche Haltung
betrachtet N. Richard Wagner (351, 17). Bereits am 11. März 1870 würdigt N. in
einem Brief an Carl von Gersdorff in diesem Sinne die unzeitgemäße Sonder-
stellung Wagners und Schopenhauers: „Zweierlei halte ich mir immer vor: der
unglaubliche Ernst und die deutsche Vertiefung in der Welt- und Kunstan-
schauung Wagners, wie sie aus jedem Tone quillt, ist den meisten Menschen
unsrer Jetztzeit' ein Greuel, wie Schopenhauer's Askesis und Verneinung des
Willens" (KSB 3, Nr. 65, S. 105).
338, 5-7 Wenn der grosse Denker die Menschen verachtet, so verachtet er ihre
Faulheit: denn ihrethalben erscheinen sie als Fabrikwaare] Diese Aussage zielt
bereits konkret auf die misanthropischen und pessimistischen Tendenzen
Schopenhauers, den N. explizit erst einige Seiten später in UB III SE zum ersten
Mal erwähnt (341, 24). N. übernimmt hier Schopenhauers Industrie-Metapher
„Fabrikwaare". In der Welt als Wille und Vorstellung I erklärt Schopenhauer:
„Der gewöhnliche Mensch, diese Fabrikwaare der Natur, wie sie solche täglich
zu Tausenden hervorbringt, ist [...] einer in jedem Sinn völlig uninteressirten
Betrachtung, welches die eigentliche Beschaulichkeit ist, wenigstens durchaus
nicht anhaltend fähig" (WWV I, § 36, Hü 220). Auch in seiner Schrift Ueber die
Universitäts-Philosophie spricht Schopenhauer pejorativ von „der Fabrikwaare
der Natur [...] mit ihrem Fabrikzeichen auf der Stirn" (PP I, Hü 209). Ähnlich