66 Schopenhauer als Erzieher
die Bedeutung von „Erziehung und Bildung" (PP I, Hü 209) für die Entstehung
,echter' Philosophen werde oftmals auf Kosten der genetischen Prädispositio-
nen überschätzt. Stattdessen komme „alles darauf" an, „wie Einer aus den
Händen der Natur hervorgegangen sei" (PP I, Hü 209). Vgl. auch NK 341, 2-6. -
Allerdings hält Schopenhauer die Lektüre „der selbsteigenen Werke wirklicher
Philosophen" (PP I, Hü 208) für ein wesentliches Stimulans zu autonomer in-
tellektueller Tätigkeit. In seiner Schrift Ueber die Universitäts-Philosophie emp-
fiehlt er, „einen wirklichen Philosophen zur Hand" zu nehmen, „gleichviel
aus welcher Zeit [...]: immer begegnet man einem schönen und gedankenrei-
chen Geiste, der Erkenntniß hat und Erkenntniß wirkt" (PP I, Hü 174).
Dieser Einschätzung entsprechen die Erfahrungen, die N. selbst mit Scho-
penhauer als Erzieher gemacht hat und die er in UB III SE expliziert (vgl. 341-
350). Hier ergeben sich Affinitäten zu Schopenhauers Darlegungen im Kapitel
„Ueber Philosophie und ihre Methode" der Parerga und Paralipomena II, wo er
die Rezeptionssituation so beschreibt: „Der philosophische Schriftsteller ist der
Führer und sein Leser der Wanderer. Sollen sie zusammen ankommen, so müs-
sen sie, vor allen Dingen, zusammen ausgehn: d. h. der Autor muß seinen Le-
ser aufnehmen auf einem Standpunkt, den sie sicherlich gemein haben: dies
aber kann kein anderer seyn, als der des uns Allen gemeinsamen, empirischen
Bewußtseyns. Hier also fasse er ihn fest an der Hand und sehe nun, wie hoch
über die Wolken hinaus er, auf dem Bergespfade, Schritt vor Schritt, mit ihm
gelangen könne" (PP II, Kap. 1, § 5, Hü 6-7). Zur Gipfel-Metaphorik bei Scho-
penhauer und N. vgl. NK 366, 30-31 und NK 381, 5-6.
2.
341, 27-28 Will ich beschreiben, welches Ereigniss für mich jener erste Blick
wurde, den ich in Schopenhauer's Schriften warf] Hier zeichnen sich Affinitäten
zur Einschätzung Schopenhauers ab, der sich in seiner Schrift Ueber die Uni-
versitäts-Philosophie zur stimulierenden Wirkung philosophischer Lektüre äu-
ßert: Der zur Philosophie „Befähigte und eben daher ihrer Bedürftige" werde
durch „jedes Buch irgend eines ächten Philosophen, das ihm in die Hände
fällt, mächtiger und wirksamer" angeregt als durch den „Vortrag eines Kathe-
derphilosophen" (PP I, Hü 149).
342, 5-14 Dann fragte ich mich wohl: welches wären wohl die Grundsätze, nach
denen er dich erzöge? und ich überlegte mir, was er zu den beiden Maximen der
Erziehung sagen würde, welche in unserer Zeit im Schwange gehen. Die eine for-
dert, der Erzieher solle die eigenthümliche Stärke seiner Zöglinge bald erkennen
und dann alle Kräfte und Säfte und allen Sonnenschein gerade dorthin leiten, um
die Bedeutung von „Erziehung und Bildung" (PP I, Hü 209) für die Entstehung
,echter' Philosophen werde oftmals auf Kosten der genetischen Prädispositio-
nen überschätzt. Stattdessen komme „alles darauf" an, „wie Einer aus den
Händen der Natur hervorgegangen sei" (PP I, Hü 209). Vgl. auch NK 341, 2-6. -
Allerdings hält Schopenhauer die Lektüre „der selbsteigenen Werke wirklicher
Philosophen" (PP I, Hü 208) für ein wesentliches Stimulans zu autonomer in-
tellektueller Tätigkeit. In seiner Schrift Ueber die Universitäts-Philosophie emp-
fiehlt er, „einen wirklichen Philosophen zur Hand" zu nehmen, „gleichviel
aus welcher Zeit [...]: immer begegnet man einem schönen und gedankenrei-
chen Geiste, der Erkenntniß hat und Erkenntniß wirkt" (PP I, Hü 174).
Dieser Einschätzung entsprechen die Erfahrungen, die N. selbst mit Scho-
penhauer als Erzieher gemacht hat und die er in UB III SE expliziert (vgl. 341-
350). Hier ergeben sich Affinitäten zu Schopenhauers Darlegungen im Kapitel
„Ueber Philosophie und ihre Methode" der Parerga und Paralipomena II, wo er
die Rezeptionssituation so beschreibt: „Der philosophische Schriftsteller ist der
Führer und sein Leser der Wanderer. Sollen sie zusammen ankommen, so müs-
sen sie, vor allen Dingen, zusammen ausgehn: d. h. der Autor muß seinen Le-
ser aufnehmen auf einem Standpunkt, den sie sicherlich gemein haben: dies
aber kann kein anderer seyn, als der des uns Allen gemeinsamen, empirischen
Bewußtseyns. Hier also fasse er ihn fest an der Hand und sehe nun, wie hoch
über die Wolken hinaus er, auf dem Bergespfade, Schritt vor Schritt, mit ihm
gelangen könne" (PP II, Kap. 1, § 5, Hü 6-7). Zur Gipfel-Metaphorik bei Scho-
penhauer und N. vgl. NK 366, 30-31 und NK 381, 5-6.
2.
341, 27-28 Will ich beschreiben, welches Ereigniss für mich jener erste Blick
wurde, den ich in Schopenhauer's Schriften warf] Hier zeichnen sich Affinitäten
zur Einschätzung Schopenhauers ab, der sich in seiner Schrift Ueber die Uni-
versitäts-Philosophie zur stimulierenden Wirkung philosophischer Lektüre äu-
ßert: Der zur Philosophie „Befähigte und eben daher ihrer Bedürftige" werde
durch „jedes Buch irgend eines ächten Philosophen, das ihm in die Hände
fällt, mächtiger und wirksamer" angeregt als durch den „Vortrag eines Kathe-
derphilosophen" (PP I, Hü 149).
342, 5-14 Dann fragte ich mich wohl: welches wären wohl die Grundsätze, nach
denen er dich erzöge? und ich überlegte mir, was er zu den beiden Maximen der
Erziehung sagen würde, welche in unserer Zeit im Schwange gehen. Die eine for-
dert, der Erzieher solle die eigenthümliche Stärke seiner Zöglinge bald erkennen
und dann alle Kräfte und Säfte und allen Sonnenschein gerade dorthin leiten, um