70 Schopenhauer als Erzieher
gengesetzt wirkt der Abbe, er hat Sinn für alles, Lust an allem, es zu erkennen
und zu befördern. [...] Nur alle Menschen machen die Menschheit aus, nur alle
Kräfte zusammengenommen die Welt. Diese sind unter sich oft im Widerstreit,
und indem sie sich zu zerstören suchen, hält sie die Natur zusammen, und
bringt sie wieder hervor. [...] Jede Anlage ist wichtig, und sie muß entwickelt
werden. Wenn einer nur das Schöne, der andere nur das Nützliche befördert,
so machen beide zusammen erst einen Menschen aus. Das Nützliche befördert
sich selbst, denn die Menge bringt es hervor, und alle könnens nicht entbeh-
ren; das Schöne muß befördert werden, denn wenige stellens dar, und viele
bedürfens. [...] Eine Kraft beherrscht die andere, aber keine kann die andere
bilden; in jeder Anlage liegt auch allein die Kraft sich zu vollenden; das verste-
hen so wenig Menschen, die doch lehren und wirken wollen" (Goethe: FA,
Bd. 9, 932-933). - Während ein humanistisch-individualistisches Ideal der har-
monisch ausgebildeten Persönlichkeit in seinem Roman Wilhelm Meisters Lehr-
jahre als Zielvorstellung dominiert, ändert Goethe das Grundkonzept für den
späteren Roman Wilhelm Meisters Wanderjahre angesichts der sozioökonomi-
schen Folgen der beginnenden Industrialisierung nachhaltig, und zwar zu-
gunsten eines gesellschaftlich orientierten, arbeitsteilig organisierten Gemein-
schaftsprojekts, das auf den Nutzen zielt. Vgl. dazu NK 299, 3-9.
342, 17 Benvenuto Cellini's Vater] Benvenuto Cellini wurde im Jahre 1500 in
Florenz geboren und war von 1545 bis zu seinem Tod 1571 in Florenz als Gold-
schmied und Bildhauer tätig, nachdem er zuvor Lehr- und Studienjahre in Flo-
renz, Pisa, Lucca und Rom verbracht hatte. Am Hof der Päpste in Rom fand
Benvenuto Cellini, der heutzutage als berühmter Vertreter des Manierismus
und als ein typischer ,uomo universale' der Renaissance gilt, hochgestellte
Auftraggeber und Mäzene, die für seine künstlerische Existenz von großer Be-
deutung waren. Als Cellinis Hauptwerk gilt die von ihm 1555 vollendete Statue
des Perseus. Sein ereignisreiches und zugleich wechselvolles Leben, zu dem
zahlreiche Reisen, ausgeprägte Konflikte auch mit seinen Auftraggebern und
sogar mehrere Kerkeraufenthalte gehörten, stellt er in seiner zwischen 1558
und 1566 entstandenen, aber von ihm selbst nicht veröffentlichten Autobiogra-
phie (Vita) dar, die erst 1728 publiziert und später durch Goethes Übersetzung
(1803) bekannt wurde. Außergewöhnlich ist, dass Cellinis Karriere als Künstler
bis zum Alter von nahezu sechzig Jahren von einer kriminellen Laufbahn be-
gleitet wurde, die auch Gewalttaten und Kapitalverbrechen wie Mord ein-
schloss. - In der vorliegenden Passage nimmt N. auf eine Episode von Benve-
nuto Cellinis Vita Bezug, die dieser im 2. Kapitel des Ersten Buches seiner
Autobiographie darstellt: Hier schildert er die vergeblichen Bemühungen sei-
nes musikbegeisterten Vaters, aus ihm einen großen Musiker zu machen. Ge-
gen seinen Vater setzte Benvenuto Cellini bereits in jugendlichem Alter seinen
gengesetzt wirkt der Abbe, er hat Sinn für alles, Lust an allem, es zu erkennen
und zu befördern. [...] Nur alle Menschen machen die Menschheit aus, nur alle
Kräfte zusammengenommen die Welt. Diese sind unter sich oft im Widerstreit,
und indem sie sich zu zerstören suchen, hält sie die Natur zusammen, und
bringt sie wieder hervor. [...] Jede Anlage ist wichtig, und sie muß entwickelt
werden. Wenn einer nur das Schöne, der andere nur das Nützliche befördert,
so machen beide zusammen erst einen Menschen aus. Das Nützliche befördert
sich selbst, denn die Menge bringt es hervor, und alle könnens nicht entbeh-
ren; das Schöne muß befördert werden, denn wenige stellens dar, und viele
bedürfens. [...] Eine Kraft beherrscht die andere, aber keine kann die andere
bilden; in jeder Anlage liegt auch allein die Kraft sich zu vollenden; das verste-
hen so wenig Menschen, die doch lehren und wirken wollen" (Goethe: FA,
Bd. 9, 932-933). - Während ein humanistisch-individualistisches Ideal der har-
monisch ausgebildeten Persönlichkeit in seinem Roman Wilhelm Meisters Lehr-
jahre als Zielvorstellung dominiert, ändert Goethe das Grundkonzept für den
späteren Roman Wilhelm Meisters Wanderjahre angesichts der sozioökonomi-
schen Folgen der beginnenden Industrialisierung nachhaltig, und zwar zu-
gunsten eines gesellschaftlich orientierten, arbeitsteilig organisierten Gemein-
schaftsprojekts, das auf den Nutzen zielt. Vgl. dazu NK 299, 3-9.
342, 17 Benvenuto Cellini's Vater] Benvenuto Cellini wurde im Jahre 1500 in
Florenz geboren und war von 1545 bis zu seinem Tod 1571 in Florenz als Gold-
schmied und Bildhauer tätig, nachdem er zuvor Lehr- und Studienjahre in Flo-
renz, Pisa, Lucca und Rom verbracht hatte. Am Hof der Päpste in Rom fand
Benvenuto Cellini, der heutzutage als berühmter Vertreter des Manierismus
und als ein typischer ,uomo universale' der Renaissance gilt, hochgestellte
Auftraggeber und Mäzene, die für seine künstlerische Existenz von großer Be-
deutung waren. Als Cellinis Hauptwerk gilt die von ihm 1555 vollendete Statue
des Perseus. Sein ereignisreiches und zugleich wechselvolles Leben, zu dem
zahlreiche Reisen, ausgeprägte Konflikte auch mit seinen Auftraggebern und
sogar mehrere Kerkeraufenthalte gehörten, stellt er in seiner zwischen 1558
und 1566 entstandenen, aber von ihm selbst nicht veröffentlichten Autobiogra-
phie (Vita) dar, die erst 1728 publiziert und später durch Goethes Übersetzung
(1803) bekannt wurde. Außergewöhnlich ist, dass Cellinis Karriere als Künstler
bis zum Alter von nahezu sechzig Jahren von einer kriminellen Laufbahn be-
gleitet wurde, die auch Gewalttaten und Kapitalverbrechen wie Mord ein-
schloss. - In der vorliegenden Passage nimmt N. auf eine Episode von Benve-
nuto Cellinis Vita Bezug, die dieser im 2. Kapitel des Ersten Buches seiner
Autobiographie darstellt: Hier schildert er die vergeblichen Bemühungen sei-
nes musikbegeisterten Vaters, aus ihm einen großen Musiker zu machen. Ge-
gen seinen Vater setzte Benvenuto Cellini bereits in jugendlichem Alter seinen