76 Schopenhauer als Erzieher
Kapitel 20 „Ueber Urtheil, Kritik, Beifall und Ruhm" der Parerga und Paralipo-
mena II antizipiert Schopenhauer sogar bereits N.s Postulat der ,Unzeitgemäß-
heit' (346, 13; 361, 9-14), wenn er behauptet: „um etwas Großes zu leisten,
etwas, das seine Generation und sein Jahrhundert überlebt", sei es „eine
Hauptbedingung, daß man seine Zeitgenossen, nebst ihren Meinungen, An-
sichten und daraus entspringendem Tadel und Lobe, für gar nichts achte",
weil sie „vom rechten Wege abführen. Daher muß, wer auf die Nachwelt kom-
men will, sich dem Einflüsse seiner Zeit entziehn, dafür aber freilich auch
meistens dem Einfluß auf seine Zeit entsagen und bereit seyn, den Ruhm der
Jahrhunderte mit dem Beifall der Zeitgenossen zu erkaufen" (PP II, Kap. 20,
§ 242, Hü 503). In diesem Sinne werde „die Reise zur Nachwelt durch eine ent-
setzlich öde Gegend zurückgelegt" (PP II, Kap. 20, § 242, Hü 505). Hingegen
seien „die Werke gewöhnlichen Schlages [...] mit dem Geiste der Zeit, d. h. den
gerade herrschenden Ansichten, genau verbunden und auf das Bedürfniß des
Augenblicks berechnet", so dass sie rasch Anerkennung finden (PP II, Kap. 20,
§ 242, Hü 504). Vgl. auch NK 407, 29-31 und NK 364, 7-11.
In seinem späteren Werk Die fröhliche Wissenschaft greift N. im Text 99
unter dem Titel „Die Anhänger Schopenhauer's" einerseits affirmativ
auf positive Charakteristika Schopenhauers zurück, die er bereits in UB III SE
hervorgehoben hat, ergänzt sie andererseits aber um kritische Überlegungen.
So stellt er sich die Frage, was die deutschen „Anhänger Schopenhauer's"
von „ihrem Meister zuerst anzunehmen" pflegen und erwägt mehrere mögliche
Antworten: „Ist es sein harter Thatsachen-Sinn, sein guter Wille zu Helligkeit
und Vernunft [...]? Oder die Stärke seines intellectuellen Gewissens, das einen
lebenslangen Widerspruch zwischen Sein und Wollen aushielt und ihn dazu
zwang, sich auch in seinen Schriften beständig und fast in jedem Puncte zu
widersprechen? Oder seine Reinlichkeit in Dingen der Kirche und des christli-
chen Gottes?" (KSA 3, 453, 22 - 454, 1). Und nachdem N. zusätzlich noch meh-
rere zentrale „Lehren" Schopenhauers in Betracht gezogen hat, lautet sein Fa-
zit: „Nein, diess Alles bezaubert nicht [...]: aber die mystischen Verlegenheiten
und Ausflüchte Schopenhauer's, an jenen Stellen, wo der Thatsachen-Denker
sich vom eitlen Triebe, der Enträthseler der Welt zu sein, verführen und verder-
ben liess, die unbeweisbare Lehre von Einem Willen [...], die Leugnung
des Individuums [...], die Schwärmerei vom Genie [...], der Unsinn vom
Mitleide [...] als der Quelle aller Moralität: diese und ähnliche Ausschwei-
fungen und Laster des Philosophen werden immer am ersten angenommen
und zur Sache des Glaubens gemacht"; weil sie „immer am leichtesten nachzu-
ahmen" sind (KSA 3, 454, 6 - 455, 1). In dieser Darstellung relativiert N. die
zunächst von ihm betonte Ehrlichkeit und intellektuelle Redlichkeit Schopen-
hauers, und zwar durch den Hinweis auf eine durch Geltungsbedürfnis beding-
Kapitel 20 „Ueber Urtheil, Kritik, Beifall und Ruhm" der Parerga und Paralipo-
mena II antizipiert Schopenhauer sogar bereits N.s Postulat der ,Unzeitgemäß-
heit' (346, 13; 361, 9-14), wenn er behauptet: „um etwas Großes zu leisten,
etwas, das seine Generation und sein Jahrhundert überlebt", sei es „eine
Hauptbedingung, daß man seine Zeitgenossen, nebst ihren Meinungen, An-
sichten und daraus entspringendem Tadel und Lobe, für gar nichts achte",
weil sie „vom rechten Wege abführen. Daher muß, wer auf die Nachwelt kom-
men will, sich dem Einflüsse seiner Zeit entziehn, dafür aber freilich auch
meistens dem Einfluß auf seine Zeit entsagen und bereit seyn, den Ruhm der
Jahrhunderte mit dem Beifall der Zeitgenossen zu erkaufen" (PP II, Kap. 20,
§ 242, Hü 503). In diesem Sinne werde „die Reise zur Nachwelt durch eine ent-
setzlich öde Gegend zurückgelegt" (PP II, Kap. 20, § 242, Hü 505). Hingegen
seien „die Werke gewöhnlichen Schlages [...] mit dem Geiste der Zeit, d. h. den
gerade herrschenden Ansichten, genau verbunden und auf das Bedürfniß des
Augenblicks berechnet", so dass sie rasch Anerkennung finden (PP II, Kap. 20,
§ 242, Hü 504). Vgl. auch NK 407, 29-31 und NK 364, 7-11.
In seinem späteren Werk Die fröhliche Wissenschaft greift N. im Text 99
unter dem Titel „Die Anhänger Schopenhauer's" einerseits affirmativ
auf positive Charakteristika Schopenhauers zurück, die er bereits in UB III SE
hervorgehoben hat, ergänzt sie andererseits aber um kritische Überlegungen.
So stellt er sich die Frage, was die deutschen „Anhänger Schopenhauer's"
von „ihrem Meister zuerst anzunehmen" pflegen und erwägt mehrere mögliche
Antworten: „Ist es sein harter Thatsachen-Sinn, sein guter Wille zu Helligkeit
und Vernunft [...]? Oder die Stärke seines intellectuellen Gewissens, das einen
lebenslangen Widerspruch zwischen Sein und Wollen aushielt und ihn dazu
zwang, sich auch in seinen Schriften beständig und fast in jedem Puncte zu
widersprechen? Oder seine Reinlichkeit in Dingen der Kirche und des christli-
chen Gottes?" (KSA 3, 453, 22 - 454, 1). Und nachdem N. zusätzlich noch meh-
rere zentrale „Lehren" Schopenhauers in Betracht gezogen hat, lautet sein Fa-
zit: „Nein, diess Alles bezaubert nicht [...]: aber die mystischen Verlegenheiten
und Ausflüchte Schopenhauer's, an jenen Stellen, wo der Thatsachen-Denker
sich vom eitlen Triebe, der Enträthseler der Welt zu sein, verführen und verder-
ben liess, die unbeweisbare Lehre von Einem Willen [...], die Leugnung
des Individuums [...], die Schwärmerei vom Genie [...], der Unsinn vom
Mitleide [...] als der Quelle aller Moralität: diese und ähnliche Ausschwei-
fungen und Laster des Philosophen werden immer am ersten angenommen
und zur Sache des Glaubens gemacht"; weil sie „immer am leichtesten nachzu-
ahmen" sind (KSA 3, 454, 6 - 455, 1). In dieser Darstellung relativiert N. die
zunächst von ihm betonte Ehrlichkeit und intellektuelle Redlichkeit Schopen-
hauers, und zwar durch den Hinweis auf eine durch Geltungsbedürfnis beding-