82 Schopenhauer als Erzieher
Inwiefern Schopenhauer mit seiner Kritik am prätentiösen, künstlich ver-
klausulierten oder verschroben-pedantischen Stil mehrere repräsentative Phi-
losophen attackiert, erhellt ebenfalls aus dem Kapitel 23 „Ueber Schriftstellerei
und Stil" der Parerga und Paralipomena II: „Da sieht man die Schriftsteller
bald dithyrambisch, wie besoffen, und bald, ja schon auf der nächsten Seite,
hochtrabend, ernst, gründlich-gelehrt, bis zur schwerfälligsten, kleinkauen-
desten Weitschweifigkeit, gleich der des weiland Christian Wolf, wiewohl im
modernen Gewande. Am längsten aber hält die Maske der Unverständlichkeit
vor, jedoch nur in Deutschland, als wo sie, von Fichte eingeführt, von
Schelling vervollkommnet, endlich in Hegel ihren höchsten Klimax er-
reicht hat: stets mit glücklichstem Erfolge. Und doch ist nichts leichter, als so
zu schreiben, daß kein Mensch es versteht; wie hingegen nichts schwerer, als
bedeutende Gedanken so auszudrücken, daß Jeder sie verstehn muß. Das
Unverständliche ist dem Unverständigen verwandt" (PP II, Kap. 23,
§ 283, Hü 549-550).
348, 6-7 „ein Philosoph muss sehr ehrlich sein, um sich keiner poetischen oder
rhetorischen Hülfsmittel zu bedienen."] N. zitiert hier Aus Arthur Schopenhauer's
handschriftlichem Nachlaß. Abhandlungen, Anmerkungen, Aphorismen und
Fragmente von 1864 (NPB 543), 371: „Ein Philosoph muß sehr ehrlich seyn, um
sich keiner poetischen oder rhetorischen Hülfsmittel zu bedienen." N. hat die
Stelle in seinem Handexemplar nicht markiert. - Auch sinngemäß findet sich
bereits bei Schopenhauer diese von N. goutierte Auffassung. Die Ehrlichkeit
und Redlichkeit, die N. vom Philosophen fordert (347, 348), postuliert Schopen-
hauer in seiner Schrift Ueber die Universitäts-Philosophie (PP I, Hü 202). Und
im Kapitel 23 „Ueber Schriftstellerei und Stil" der Parerga und Paralipomena II
warnt er den Autor „vor dem sichtbaren Bestreben, mehr Geist zeigen zu wol-
len, als er hat; weil Dies im Leser den Verdacht erweckt, daß er dessen sehr
wenig habe, da man immer und in jeder Art nur Das affektirt, was man nicht
wirklich besitzt" (PP II, Kap. 23, § 283, Hü 550). Nach Schopenhauers Überzeu-
gung signalisieren gerade „Naivetät" und „Simplicität" den Wert eines Au-
tors (PP II, Kap. 23, § 283, Hü 548, 550). Vom heutzutage pejorativen Begriff
des Naiven (im Sinne von einfältig, töricht oder kindisch) unterscheidet sich
Schopenhauers positive Vorstellung der Naivität fundamental, die eine natürli-
che Schlichtheit und ursprüngliche Klarheit impliziert: „Ueberhaupt zieht das
Naive an: die Unnatur hingegen schreckt überall zurück" (PP II, Kap. 23, § 283,
Hü 550). Daher ringe jeder genuine „Denker" fortwährend um einen möglichst
klaren und prägnanten Stil, der seinen Gedanken einen adäquaten Ausdruck
verleihen solle. „Simplicität" sei mithin ein wesentliches Charakteristikum der
„Genies" (ebd.). „Ein guter, gedankenreicher Schriftsteller" wird „sich stets auf
die einfachste und entschiedenste Weise ausdrücken; weil ihm daran liegt, ge-
Inwiefern Schopenhauer mit seiner Kritik am prätentiösen, künstlich ver-
klausulierten oder verschroben-pedantischen Stil mehrere repräsentative Phi-
losophen attackiert, erhellt ebenfalls aus dem Kapitel 23 „Ueber Schriftstellerei
und Stil" der Parerga und Paralipomena II: „Da sieht man die Schriftsteller
bald dithyrambisch, wie besoffen, und bald, ja schon auf der nächsten Seite,
hochtrabend, ernst, gründlich-gelehrt, bis zur schwerfälligsten, kleinkauen-
desten Weitschweifigkeit, gleich der des weiland Christian Wolf, wiewohl im
modernen Gewande. Am längsten aber hält die Maske der Unverständlichkeit
vor, jedoch nur in Deutschland, als wo sie, von Fichte eingeführt, von
Schelling vervollkommnet, endlich in Hegel ihren höchsten Klimax er-
reicht hat: stets mit glücklichstem Erfolge. Und doch ist nichts leichter, als so
zu schreiben, daß kein Mensch es versteht; wie hingegen nichts schwerer, als
bedeutende Gedanken so auszudrücken, daß Jeder sie verstehn muß. Das
Unverständliche ist dem Unverständigen verwandt" (PP II, Kap. 23,
§ 283, Hü 549-550).
348, 6-7 „ein Philosoph muss sehr ehrlich sein, um sich keiner poetischen oder
rhetorischen Hülfsmittel zu bedienen."] N. zitiert hier Aus Arthur Schopenhauer's
handschriftlichem Nachlaß. Abhandlungen, Anmerkungen, Aphorismen und
Fragmente von 1864 (NPB 543), 371: „Ein Philosoph muß sehr ehrlich seyn, um
sich keiner poetischen oder rhetorischen Hülfsmittel zu bedienen." N. hat die
Stelle in seinem Handexemplar nicht markiert. - Auch sinngemäß findet sich
bereits bei Schopenhauer diese von N. goutierte Auffassung. Die Ehrlichkeit
und Redlichkeit, die N. vom Philosophen fordert (347, 348), postuliert Schopen-
hauer in seiner Schrift Ueber die Universitäts-Philosophie (PP I, Hü 202). Und
im Kapitel 23 „Ueber Schriftstellerei und Stil" der Parerga und Paralipomena II
warnt er den Autor „vor dem sichtbaren Bestreben, mehr Geist zeigen zu wol-
len, als er hat; weil Dies im Leser den Verdacht erweckt, daß er dessen sehr
wenig habe, da man immer und in jeder Art nur Das affektirt, was man nicht
wirklich besitzt" (PP II, Kap. 23, § 283, Hü 550). Nach Schopenhauers Überzeu-
gung signalisieren gerade „Naivetät" und „Simplicität" den Wert eines Au-
tors (PP II, Kap. 23, § 283, Hü 548, 550). Vom heutzutage pejorativen Begriff
des Naiven (im Sinne von einfältig, töricht oder kindisch) unterscheidet sich
Schopenhauers positive Vorstellung der Naivität fundamental, die eine natürli-
che Schlichtheit und ursprüngliche Klarheit impliziert: „Ueberhaupt zieht das
Naive an: die Unnatur hingegen schreckt überall zurück" (PP II, Kap. 23, § 283,
Hü 550). Daher ringe jeder genuine „Denker" fortwährend um einen möglichst
klaren und prägnanten Stil, der seinen Gedanken einen adäquaten Ausdruck
verleihen solle. „Simplicität" sei mithin ein wesentliches Charakteristikum der
„Genies" (ebd.). „Ein guter, gedankenreicher Schriftsteller" wird „sich stets auf
die einfachste und entschiedenste Weise ausdrücken; weil ihm daran liegt, ge-