84 Schopenhauer als Erzieher
Vgl. N.s Brief vom 30. Dezember 1870: „Zu Weihnachten bekam ich [...] eine
stattliche Ausgabe des ganzen Montaigne (den ich sehr verehre)" (KSB 3,
Nr. 116, S. 172). In N.s Bibliothek befinden sich zwei Ausgaben von Montaignes
Essais. Vgl. Michel de Montaigne: Essais, 1864 (NPB 393) und die deutsche
Übersetzung: Michel de Montaigne [Auf dem Titelblatt: Michaels Herrn von
Montagne (sie)]: Versuche, nebst des Verfassers Leben, 3 Theile, 1753-1754
(NPB 393-394). - Zu einem Übersetzungsproblem in N.s UB III SE vgl. NK 348,
18-22. Im Hinblick auf Montaigne spricht N. von seinem „Bekanntwerden mit
dieser freiesten und kräftigsten Seele" (348, 18-19). Zu N.s Montaigne-Rezep-
tion im Zusammenhang mit der Thematik des freien Geistes vgl. Vivetta Viva-
relli 1998.
348, 20 Plutarch] Griechischer Schriftsteller (ca. 45-125 n. Chr.) aus Chaironeia
(Böotien). Von seinen Werken gehörten vor allem die Parallel-Biographien be-
deutender Griechen und Römer seit dem Humanismus zum europäischen Bil-
dungskanon. Traditionell galt die Plutarch-Lektüre als obligatorischer Bestand-
teil des Erziehungswesens. Oft beruft sich auch Montaigne auf Plutarch, der in
den Parallelen Lebensläufen bedeutende Persönlichkeiten der griechischen und
römischen Antike miteinander vergleicht, etwa Alexander den Großen und Cä-
sar. Dabei korreliert Plutarch das individuelle Ethos der dargestellten Persön-
lichkeiten mit ihren politischen Leistungen. - N. empfiehlt in UB II HL Plutarch
als Antidot gegen die Missstände seiner eigenen Zeit und stilisiert die humanis-
tische Tradition ins Heroisch-Idealische, indem er Plutarchs Helden zu ,unzeit-
gemäßen' Vorbildern für den modernen Menschen erhebt. Sein Schlussplädo-
yer im 6. Kapitel der Historienschrift lautet: „Sättigt eure Seelen an Plutarch
und wagt es an euch selbst zu glauben, indem ihr an seine Helden glaubt. Mit
einem Hundert solcher unmodern erzogener, das heisst reif gewordener und
an das Heroische gewöhnter Menschen ist jetzt die ganze lärmende Afterbil-
dung dieser Zeit zum ewigen Schweigen zu bringen" (KSA 1, 295, 18-23).
348, 18-22 Mir wenigstens geht es seit dem Bekanntwerden mit dieser freiesten
und kräftigsten Seele [sc. Montaigne] so, dass ich sagen muss, was er von Plut-
arch sagt: „kaum habe ich einen Blick auf ihn geworfen, so ist mir ein Bein oder
ein Flügel gewachsen".] In seinem Zitat unterlief N. ein Übersetzungsfehler, auf
den ihn Marie Baumgartner am 3. April 1875 in einem Brief hinwies (KGB II 6/
I, Nr. 660, S. 94-95). Marie Baumgartner schrieb u.a. Folgendes an N. [in
KSA 14, 75 ist dieser Brief irrtümlich auf den 7. April 1875 datiert]: „[...] Der Sinn
scheint mir nicht mehr der zu sein daß dem Montaigne selbst ein Bein oder
Flügel wachse, als Zeichen seiner eigenen, zunehmenden Tüchtigkeit und Fül-
le durch den Umgang mit Plutarch; sondern der: daß vielmehr dem Plutarch
ein solch unerschöpflicher Vorrath und Reichthum des Köstlichsten inne
Vgl. N.s Brief vom 30. Dezember 1870: „Zu Weihnachten bekam ich [...] eine
stattliche Ausgabe des ganzen Montaigne (den ich sehr verehre)" (KSB 3,
Nr. 116, S. 172). In N.s Bibliothek befinden sich zwei Ausgaben von Montaignes
Essais. Vgl. Michel de Montaigne: Essais, 1864 (NPB 393) und die deutsche
Übersetzung: Michel de Montaigne [Auf dem Titelblatt: Michaels Herrn von
Montagne (sie)]: Versuche, nebst des Verfassers Leben, 3 Theile, 1753-1754
(NPB 393-394). - Zu einem Übersetzungsproblem in N.s UB III SE vgl. NK 348,
18-22. Im Hinblick auf Montaigne spricht N. von seinem „Bekanntwerden mit
dieser freiesten und kräftigsten Seele" (348, 18-19). Zu N.s Montaigne-Rezep-
tion im Zusammenhang mit der Thematik des freien Geistes vgl. Vivetta Viva-
relli 1998.
348, 20 Plutarch] Griechischer Schriftsteller (ca. 45-125 n. Chr.) aus Chaironeia
(Böotien). Von seinen Werken gehörten vor allem die Parallel-Biographien be-
deutender Griechen und Römer seit dem Humanismus zum europäischen Bil-
dungskanon. Traditionell galt die Plutarch-Lektüre als obligatorischer Bestand-
teil des Erziehungswesens. Oft beruft sich auch Montaigne auf Plutarch, der in
den Parallelen Lebensläufen bedeutende Persönlichkeiten der griechischen und
römischen Antike miteinander vergleicht, etwa Alexander den Großen und Cä-
sar. Dabei korreliert Plutarch das individuelle Ethos der dargestellten Persön-
lichkeiten mit ihren politischen Leistungen. - N. empfiehlt in UB II HL Plutarch
als Antidot gegen die Missstände seiner eigenen Zeit und stilisiert die humanis-
tische Tradition ins Heroisch-Idealische, indem er Plutarchs Helden zu ,unzeit-
gemäßen' Vorbildern für den modernen Menschen erhebt. Sein Schlussplädo-
yer im 6. Kapitel der Historienschrift lautet: „Sättigt eure Seelen an Plutarch
und wagt es an euch selbst zu glauben, indem ihr an seine Helden glaubt. Mit
einem Hundert solcher unmodern erzogener, das heisst reif gewordener und
an das Heroische gewöhnter Menschen ist jetzt die ganze lärmende Afterbil-
dung dieser Zeit zum ewigen Schweigen zu bringen" (KSA 1, 295, 18-23).
348, 18-22 Mir wenigstens geht es seit dem Bekanntwerden mit dieser freiesten
und kräftigsten Seele [sc. Montaigne] so, dass ich sagen muss, was er von Plut-
arch sagt: „kaum habe ich einen Blick auf ihn geworfen, so ist mir ein Bein oder
ein Flügel gewachsen".] In seinem Zitat unterlief N. ein Übersetzungsfehler, auf
den ihn Marie Baumgartner am 3. April 1875 in einem Brief hinwies (KGB II 6/
I, Nr. 660, S. 94-95). Marie Baumgartner schrieb u.a. Folgendes an N. [in
KSA 14, 75 ist dieser Brief irrtümlich auf den 7. April 1875 datiert]: „[...] Der Sinn
scheint mir nicht mehr der zu sein daß dem Montaigne selbst ein Bein oder
Flügel wachse, als Zeichen seiner eigenen, zunehmenden Tüchtigkeit und Fül-
le durch den Umgang mit Plutarch; sondern der: daß vielmehr dem Plutarch
ein solch unerschöpflicher Vorrath und Reichthum des Köstlichsten inne