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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0112
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Stellenkommentar UB III SE 2, KSA 1, S. 348-349 85

wohnt daß derjenige der noch so flüchtig, noch so auf gerathewohl bei ihm
schöpft, ganz unfehlbar Etwas Gutes erobert; etwa so, wie wenn Jemand blind-
lings mit der Gabel in eine Platte sticht, und doch einen ,Schenkel oder Flügel'
(vom Geflügel) erwischt, (also ein guter Brocken) dieses ein Beweis ist daß
die Platte lauter gute Stücke enthält. - Diese Auffassung ist zwar realistischer
und lange nicht so poetisch als das deutsche Wachsen der geistigen Flügel;
aber dem Gutsbesitzer und Jäger Montaigne mag dieser Gedankengang den-
noch nahe genug gelegen sein. So viel ich bis jetzt beobachten konnte, glaube
ich daß eine ernstgemeinte Uebersetzung von Montaigne sich sehr hüten müß-
te, seine Ur-Einfachheit und Keckheit zu idealisiren; diese Methode müßte ihn
ganz entstellen. Wenn man ihn je mit deutschen Worten reden lassen kann, so
wird man doch von vielen Franzosen am allerwenigsten ihn deutsch auf-
fassen dürfen. Er denkt zu sehr französisch!"
N. gestand seinen Irrtum vier Tage später in seinem Antwortbrief vom
7. April 1875 ein: „Die Montaigne-Stelle hat eine gewisse Perplexität erzeugt:
nämlich: die deutsche Übersetzung lautet ganz anders als ich die Stelle
im ,Schopenhauer' angeführt habe; falsch ist sie aber auch, wie die meinige
Auffassung, nur in ganz anderer Weise falsch. / Ich empfehle nun in der fran-
zösischen Ausgabe die Sache so zu wenden: wir streichen die Worte p. 17
,was er von Plutarch sagt' und führen den Gedanken ,Kaum habe ich einen
Blick usw.' so ein, dass er von mir herrührt: was ja auch im Grunde das Richti-
ge ist, da Montaigne jedenfalls etwas anderes sagt und seine Worte hier gerade
nicht in den Ton meiner Stelle passen. / Der Entdeckerin meines Irrthums
vielen Dank; es steht eben schlecht mit meinem Französisch, und bevor ich
Montaigne idealisire, sollte ich ihn wenigstens richtig verstehen. / [...] Auch
lassen wir das ,Bein' weg und begnügen uns mit dem ,Flügel'." (KSB 5, Nr. 438,
S. 39-40.)
348, 26 Aliis laetus, sibi sapiens.] Lateinische Sentenz unbekannter Herkunft.
Übersetzung: für die anderen heiter (bzw. ein Heiterer, Fröhlicher), für sich
selbst weise (ein Weiser). - Vermutlich orientiert sich N. hier an einem (ins
Deutsche übersetzten) Werk des von ihm sehr geschätzten Ralph Waldo Emer-
son: Die Führung des Lebens. Gedanken und Studien, 1862, 184: „Es ist eine
alte Regel für verständiges Betragen: ,Aliis laetus, sapiens sibi,' welche das eng-
lische Sprichwort wiedergibt durch: ,Sei fröhlich und weise.'" - Vgl. Campioni/
Morillas Esteban (2008), 292. Zu N.s besonderer Wertschätzung für Emerson
vgl. auch die Erläuterungen in NK 340, 9-11.
349, 4 David Straussens Heiterkeit] N. kritisiert die oberflächliche Heiterkeit
des Bildungsphilisters David Friedrich Strauß, gegen den er in UB I DS heftig
polemisiert. (Zum Themenkomplex ,Philister'/'Bildungsphilister' in N.s Werken
 
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