Stellenkommentar UB III SE 3, KSA 1, S. 350 89
UB III SE die erfahrungsgesättigte Menschenkenntnis einer bloßen Bücher-Ge-
lehrsamkeit vor, indem er gerade am Beispiel von Schopenhauers Jugend allge-
mein die „Begünstigungen" dessen hervorhebt, „welcher nicht Bücher, son-
dern Menschen kennen, nicht eine Regierung, sondern die Wahrheit verehren
lernen soll" (408, 30-32).
350, 20-21 Erben [...]: nämlich seine Söhne und Zöglinge] N. überträgt den ur-
sprünglich aus der genealogisch-biologischen Sphäre stammenden Begriff des
,Epigonen', der nach der sogenannten ,Kunstperiode' der Klassik und Roman-
tik von Immermann kulturkritisch umkodiert wurde und in der neuen Bedeu-
tung eines unkreativen Nachahmers bei zahlreichen Zeitgenossen Verwendung
fand, hier in den früheren Bedeutungszusammenhang zurück. Mit dem Pro-
blem der Epigonalität im übertragenen kulturkritischen Sinne setzt sich auch
N. selbst auseinander. So rät er im Kontext seiner Historismus-Kritik in UB II
HL seinen Zeitgenossen: „vergesst den Aberglauben, Epigonen zu sein" (KSA 1,
295, 7). Dazu und zum Epochenhorizont vgl. ausführlich NK 344, 31-34.
3.
350, 25-27 die indische Geschichte, die beinahe die Geschichte der indischen
Philosophie ist, beweist es] Hier stellt N. einen impliziten Bezug zur Philosophie
Schopenhauers her. Im Vierten Buch seines Hauptwerks Die Welt als Wille und
Vorstellung I/II erhält die indische Philosophie im Kontext der Verneinung des
Willens zum Leben zentrale Bedeutung. Vgl. auch Schopenhauers Vorwort zur
ersten Auflage der Welt als Wille und Vorstellung I. Nachdem er dem Leser vor
allem die Kantische und Platonische Philosophie als Basis für die Lektüre sei-
nes eigenen Werkes empfohlen hat, schreibt Schopenhauer: „Ist er aber gar
noch der Wohlthat der Veda's theilhaft geworden, deren uns durch die Upa-
nischaden eröffneter Zugang, in meinen Augen, der größte Vorzug ist, den die-
ses noch junge Jahrhundert vor den früheren aufzuweisen hat, indem ich ver-
muthe, daß der Einfluß der Sanskrit-Litteratur nicht weniger tief eingreifen
wird, als im 15. Jahrhundert die Wiederbelebung der Griechischen: hat also,
sage ich, der Leser auch schon die Weihe uralter Indischer Weisheit empfangen
und empfänglich aufgenommen; dann ist er auf das allerbeste bereitet zu hö-
ren, was ich ihm vorgetragen habe" (WWV I, Hü, XII). Und mittels einer Para-
lipse formuliert Schopenhauer ein selbstbewusstes Understatement, indem er
erklärt, dass er, „wenn es nicht zu stolz klänge, behaupten möchte, daß jeder
von den einzelnen und abgerissenen Aussprüchen, welche die Upanischaden
ausmachen, sich als Folgesatz aus dem von mir mitzutheilenden Gedanken
UB III SE die erfahrungsgesättigte Menschenkenntnis einer bloßen Bücher-Ge-
lehrsamkeit vor, indem er gerade am Beispiel von Schopenhauers Jugend allge-
mein die „Begünstigungen" dessen hervorhebt, „welcher nicht Bücher, son-
dern Menschen kennen, nicht eine Regierung, sondern die Wahrheit verehren
lernen soll" (408, 30-32).
350, 20-21 Erben [...]: nämlich seine Söhne und Zöglinge] N. überträgt den ur-
sprünglich aus der genealogisch-biologischen Sphäre stammenden Begriff des
,Epigonen', der nach der sogenannten ,Kunstperiode' der Klassik und Roman-
tik von Immermann kulturkritisch umkodiert wurde und in der neuen Bedeu-
tung eines unkreativen Nachahmers bei zahlreichen Zeitgenossen Verwendung
fand, hier in den früheren Bedeutungszusammenhang zurück. Mit dem Pro-
blem der Epigonalität im übertragenen kulturkritischen Sinne setzt sich auch
N. selbst auseinander. So rät er im Kontext seiner Historismus-Kritik in UB II
HL seinen Zeitgenossen: „vergesst den Aberglauben, Epigonen zu sein" (KSA 1,
295, 7). Dazu und zum Epochenhorizont vgl. ausführlich NK 344, 31-34.
3.
350, 25-27 die indische Geschichte, die beinahe die Geschichte der indischen
Philosophie ist, beweist es] Hier stellt N. einen impliziten Bezug zur Philosophie
Schopenhauers her. Im Vierten Buch seines Hauptwerks Die Welt als Wille und
Vorstellung I/II erhält die indische Philosophie im Kontext der Verneinung des
Willens zum Leben zentrale Bedeutung. Vgl. auch Schopenhauers Vorwort zur
ersten Auflage der Welt als Wille und Vorstellung I. Nachdem er dem Leser vor
allem die Kantische und Platonische Philosophie als Basis für die Lektüre sei-
nes eigenen Werkes empfohlen hat, schreibt Schopenhauer: „Ist er aber gar
noch der Wohlthat der Veda's theilhaft geworden, deren uns durch die Upa-
nischaden eröffneter Zugang, in meinen Augen, der größte Vorzug ist, den die-
ses noch junge Jahrhundert vor den früheren aufzuweisen hat, indem ich ver-
muthe, daß der Einfluß der Sanskrit-Litteratur nicht weniger tief eingreifen
wird, als im 15. Jahrhundert die Wiederbelebung der Griechischen: hat also,
sage ich, der Leser auch schon die Weihe uralter Indischer Weisheit empfangen
und empfänglich aufgenommen; dann ist er auf das allerbeste bereitet zu hö-
ren, was ich ihm vorgetragen habe" (WWV I, Hü, XII). Und mittels einer Para-
lipse formuliert Schopenhauer ein selbstbewusstes Understatement, indem er
erklärt, dass er, „wenn es nicht zu stolz klänge, behaupten möchte, daß jeder
von den einzelnen und abgerissenen Aussprüchen, welche die Upanischaden
ausmachen, sich als Folgesatz aus dem von mir mitzutheilenden Gedanken