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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0140
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Stellenkommentar UB III SE 3, KSA 1, S. 356-357 113

der Farben [...]: sie sind brennend und bringen die höchste Energie der Farbe
zu Tage [...]. Hätten doch Raphael und Correggio diese Farben gekannt! Aber
sie blieben ein Geheimniß der Schule und sind daher verloren gegangen. Man
sollte sie chemisch untersuchen" (PP II, Kap. 19, § 234, Hü 480-481). - Aller-
dings findet sich in den Parerga und Paralipomena II an späterer Stelle auch
eine Aussage Schopenhauers, die durchaus mit N.s Auffassung korrespondiert.
Hier kritisiert Schopenhauer Präferenzen des großen Publikums „für den
Stoff", indem er schreibt: „Diese Vorliebe für den Stoff im Gegensatz der Form
ist wie wenn Einer die Form und Malerei einer schönen hetrurischen Vase un-
beachtet ließe, um den Thon und die Farben derselben chemisch zu untersu-
chen" (PP II, Kap. 23, § 274, Hü 538).
357, 2 begriffliche Scholastik] Die philosophisch-theologische Lehre der Scho-
lastik wurde im Mittelalter an Universitäten und Schulen entwickelt, um die
aristotelische Denktradition zu vermitteln. Von Christen- und Judentum beein-
flusst, schuf die Scholastik ontologische Begriffe und theologische Systeme, in
denen alles Seiende auf die Absichten eines Schöpfergottes zurückgeführt
wird. - Schopenhauer geht in seiner Schrift Ueber die Universitäts-Philosophie
auf die Scholastik ein, wenn er die Kontamination der Philosophie durch „spe-
kulative Theologie" kritisiert: „Gewiß aber ist, daß alle und jede Glaubensarti-
kel, sie mögen nun offen und unverhohlen in die Philosophie hineingetragen
seyn, wie Dies in der Scholastik geschah, oder durch petitiones principii, fal-
sche Axiome [...], der Philosophie zum entschiedenen Verderb gereichen; weil
all Dergleichen die klare, unbefangene, rein objektive Auffassung der Welt und
unsers Daseyns, diese erste Bedingung alles Forschens nach Wahrheit, unmög-
lich macht" (PP I, Hü 204).
357, 2-3 das Loos der ungebändigten Dialektiker] Schon in der Geburt der Tra-
gödie zieht N. gegen die Dialektik zu Felde (KSA 1, 94, 21-22; 95, 24-25; 101, 5-
7); vgl. die Kommentare hierzu in NK 1/1. Die spezifischen Erkenntnisdefizite
der „ungebändigten Dialektiker" betont N. selbst wenige Zeilen später, wenn
er gegen „das gelehrtenhafte Für und Wider" in den Werken „aller Viertelsphi-
losophen" polemisiert, die „sofort auf die Stellen im Bau grosser Philosophien
gerathen, wo das gelehrtenhafte Für und Wider, wo Grübeln, Zweifeln, Wider-
sprechen erlaubt ist" (357, 3-7). An ihnen beanstandet er, dass sie dabei den
Totalitätsanspruch „jeder grossen Philosophie" ignorieren, die auf die Vermitt-
lung zwischen dem „Bild alles Lebens" und dem Sinn individuellen Lebens
zielt (357, 8-10). Vgl. auch Menschliches, Allzumenschliches II: Hier kritisiert N.
in MA II 137 die „schlechtesten Leser", die „wie plündernde Soldaten verfah-
ren: sie nehmen sich Einiges, was sie brauchen können, heraus, beschmutzen
und verwirren das Uebrige und lästern auf das Ganze" (KSA 2, 436, 2-6). Die-
 
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