114 Schopenhauer als Erzieher
sem problematischen Verhalten im Umgang mit der philosophischen Tradition
stellt N. einen ganzheitlichen Ansatz gegenüber: eine existentielle Aneignung
der Philosophie, die dem Menschen dazu verhelfen soll, die eigene Lebensrea-
lität besser zu verstehen.
357, 7-11 Forderung jeder grossen Philosophie [...]: dies ist das Bild alles Le-
bens, und daraus lerne den Sinn deines Lebens. Und umgekehrt: lies nur dein
Leben und verstehe daraus die Hieroglyphen des allgemeinen Lebens.] N.s Per-
spektive auf die vom Philosophen zu deutende Lebenstotalität folgt dem Prin-
zip des hermeneutischen Zirkels, indem sie dialektische Vermittlungen zwi-
schen individueller Existenz und Naturganzheit nahelegt, die das Verständnis
sowohl für den Gesamtzusammenhang des Lebens als auch für die Besonder-
heit des Einzelwesens vertiefen. Mit dieser Korrelation schließt N. an Thesen
an, die bereits Schopenhauer in seiner Schrift Ueber die Universitäts-Philoso-
phie formuliert: „Die wirklichen Denker haben auf Einsicht, und zwar ihrer
selbst wegen, hingearbeitet [...]. Daher erwächst in ihnen [...] eine feste, zusam-
menhängende Grundansicht, die zu ihrer Basis allemal die anschauliche
Auffassung der Welt hat, und von der Wege ausgehn zu allen speciellen Wahr-
heiten, welche selbst wieder Licht zurückwerfen auf jene Grundansicht" (PP I,
Hü 170-171).
Die bereits von Schopenhauer gebrauchte ästhetische Metapher vom ,Bild'
des Lebens (WWV II, Kap. 30, Hü 428), das der Philosoph durch sein intuitives
Verständnis des Wesens der Welt zu erfassen vermag, verwendet N. in UB III SE
mehrfach (356, 28-29; 361, 13; 367, 7). Vgl. auch die dortigen Stellenkommenta-
re. - Auch der Begriff der ,Hieroglyphe' findet sich bereits bei Schopenhauer
in einem analogen metaphorischen Zusammenhang. In den Parerga und Parali-
pomena II schreibt er im Kontext erkenntnistheoretischer Reflexionen, die of-
fensichtlich von der Kantischen Transzendentalphilosophie angeregt sind:
Wenn der Mensch erkannt hat, dass „die Gesetze des Erkennens, Denkens und
der Erfahrung" nicht „rein objektiv, an und für sich und absolut vorhanden"
sind, sondern umgekehrt „sein Intellekt [...] die Bedingung aller jener Gesetze"
ist, dann „sieht er auch ein, daß die ihm jetzt klar gewordene Idealität des
Raumes, der Zeit und der Kausalität Platz läßt für eine ganz andere Ordnung
der Dinge, als die der Natur ist, welche letztere er jedoch als das Resultat,
oder die Hieroglyphe, jener andern anzusehn genöthigt ist" (PP II, Kap. 3, § 27,
Hü 39).
357, 18-19 Er lehrt uns zwischen den wirklichen und scheinbaren Beförderungen
des Menschenglücks unterscheiden] Differenzierungen dieser Art bilden einen
Schwerpunkt von Schopenhauers Aphorismen zur Lebensweisheit. Im Kapitel 1
exponiert Schopenhauer die „Grundeintheilung" seiner Schrift. Die Basis für
sem problematischen Verhalten im Umgang mit der philosophischen Tradition
stellt N. einen ganzheitlichen Ansatz gegenüber: eine existentielle Aneignung
der Philosophie, die dem Menschen dazu verhelfen soll, die eigene Lebensrea-
lität besser zu verstehen.
357, 7-11 Forderung jeder grossen Philosophie [...]: dies ist das Bild alles Le-
bens, und daraus lerne den Sinn deines Lebens. Und umgekehrt: lies nur dein
Leben und verstehe daraus die Hieroglyphen des allgemeinen Lebens.] N.s Per-
spektive auf die vom Philosophen zu deutende Lebenstotalität folgt dem Prin-
zip des hermeneutischen Zirkels, indem sie dialektische Vermittlungen zwi-
schen individueller Existenz und Naturganzheit nahelegt, die das Verständnis
sowohl für den Gesamtzusammenhang des Lebens als auch für die Besonder-
heit des Einzelwesens vertiefen. Mit dieser Korrelation schließt N. an Thesen
an, die bereits Schopenhauer in seiner Schrift Ueber die Universitäts-Philoso-
phie formuliert: „Die wirklichen Denker haben auf Einsicht, und zwar ihrer
selbst wegen, hingearbeitet [...]. Daher erwächst in ihnen [...] eine feste, zusam-
menhängende Grundansicht, die zu ihrer Basis allemal die anschauliche
Auffassung der Welt hat, und von der Wege ausgehn zu allen speciellen Wahr-
heiten, welche selbst wieder Licht zurückwerfen auf jene Grundansicht" (PP I,
Hü 170-171).
Die bereits von Schopenhauer gebrauchte ästhetische Metapher vom ,Bild'
des Lebens (WWV II, Kap. 30, Hü 428), das der Philosoph durch sein intuitives
Verständnis des Wesens der Welt zu erfassen vermag, verwendet N. in UB III SE
mehrfach (356, 28-29; 361, 13; 367, 7). Vgl. auch die dortigen Stellenkommenta-
re. - Auch der Begriff der ,Hieroglyphe' findet sich bereits bei Schopenhauer
in einem analogen metaphorischen Zusammenhang. In den Parerga und Parali-
pomena II schreibt er im Kontext erkenntnistheoretischer Reflexionen, die of-
fensichtlich von der Kantischen Transzendentalphilosophie angeregt sind:
Wenn der Mensch erkannt hat, dass „die Gesetze des Erkennens, Denkens und
der Erfahrung" nicht „rein objektiv, an und für sich und absolut vorhanden"
sind, sondern umgekehrt „sein Intellekt [...] die Bedingung aller jener Gesetze"
ist, dann „sieht er auch ein, daß die ihm jetzt klar gewordene Idealität des
Raumes, der Zeit und der Kausalität Platz läßt für eine ganz andere Ordnung
der Dinge, als die der Natur ist, welche letztere er jedoch als das Resultat,
oder die Hieroglyphe, jener andern anzusehn genöthigt ist" (PP II, Kap. 3, § 27,
Hü 39).
357, 18-19 Er lehrt uns zwischen den wirklichen und scheinbaren Beförderungen
des Menschenglücks unterscheiden] Differenzierungen dieser Art bilden einen
Schwerpunkt von Schopenhauers Aphorismen zur Lebensweisheit. Im Kapitel 1
exponiert Schopenhauer die „Grundeintheilung" seiner Schrift. Die Basis für