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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0228
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Stellenkommentar UB III SE 6, KSA 1, S. 383 201

ihre Umwelt besser als andere angepasst sind, so dass sich allmählich eine
höhere Komplexität der Lebewesen entwickelt. Laut N. kommt es bei „einer
jeden Art des Thier- und Pflanzenreichs [...] allein auf das einzelne höhere Ex-
emplar" an: „auf das ungewöhnlichere, mächtigere, complicirtere, fruchtbare-
re" (384, 4-7). Diese Erkenntnis würde er gern auch „auf die Gesellschaft und
ihre Zwecke anwenden" (384, 3), sieht sich daran allerdings durch „anerzogne
Einbildungen über den Zweck der Gesellschaft" gehindert (384, 8). Vgl. auch
NK 378, 22-24.
Analog zu Vorstellungen N.s sprach sich der dänische Literaturkritiker und
Philosoph Georg Brandes 1888 in seiner ersten Vorlesung über N. für eine Züch-
tung unzeitgemäßer ,Geistesaristokraten' aus: Die Zukunftsaufgabe der „her-
vorragenden Geister" erblickte er darin, „eine Kaste hervorragender Geistes-
aristokraten zu züchten und zu erziehen, die die Macht in Zentraleuropa und
damit überall ergreifen können. [...] Der große Mann ist nicht das Kind seiner
Zeit, sondern ihr Stifter. Was wir von dem Erzieher, den wir suchen, lernen
müssen, ist uns selbst gegen die Zeit und den Zeitgeist zu erziehen. [...] Wann
herrscht Kulturzustand? Wenn die Menschheit in einer Gesellschaft immer wei-
ter daran arbeitet, einzelne große Menschen zu erzeugen. Es gibt keinen höhe-
ren Zweck" (Brandes 1888, nach der Transkription der Vorlesung übersetzt von
Benne 2012, 414). Implizit greift Brandes hier wörtlich auf N.s Formulierung im
vorliegenden Kontext von UB III SE zurück. Vgl. die ausführlicheren Darlegun-
gen zur Rezeption von N.s Geistesaristokratismus durch Georg Brandes im Ka-
pitel II.8 des Überblickskommentars zu UB II HL und im Kapitel III.6 des Über-
blickskommentars zu UB III SE (auch zu Georg Simmel und Max Scheler).
Georg Simmel orientiert sich in seinem Buch Schopenhauer und Nietzsche.
Ein Vortragszyklus (1907, 2. Aufl. 1920) implizit an dem elitären Individualismus
und den geistesaristokratischen Zielprojektionen, die N. im „Glauben an die
Humanität" (KSA 1, 259, 17) sowohl in UB II HL als auch in UB III SE entwirft.
Dabei reflektiert Simmel einerseits zustimmend die „kulturpsychologische" Be-
deutung elitärer Vorstellungen (ebd., 220), beleuchtet N.s Ansatz andererseits
jedoch auch kritisch. N. beschreibt „die grossen Momente im Kampfe der Ein-
zelnen" als „Höhenzug der Menschheit durch Jahrtausende" (KSA 1, 259, 12-
14) - mit einer geistesaristokratischen Berg- und Gipfel-Metaphorik, an die
Simmel in seinem Buch mehrfach anknüpft (vgl. Simmel 1907, 2. Aufl. 1920,
218, 220, 221, 227-229). Wenn er die „Aufgipfelungen über andere sich stei-
gernden Lebens" thematisiert (ebd., 229), dann steht zugleich N.s Auffassung
im Fokus: „das Ziel der Menschheit kann nicht am Ende liegen, sondern nur
in ihren höchsten Exemplaren" (KSA 1, 317, 24-26). Vgl. NK 317, 22-26 sowie
NK 378, 22-24 und NK 382, 4-9. Simmel erklärt, „daß die Nietzschesche Verle-
gung des Wertakzents der Menschheit auf ihre höchsten Exemplare als Wert-
 
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