Metadaten

Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0238
License: In Copyright
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Stellenkommentar UB III SE 6, KSA 1, S. 387-388 211

eine Empörung gegen das Menschenbild, das ihm der Kapitalismus seiner Tage
präsentierte" (ebd., 403), sowie gegen den „Konformismus" der heraufkom-
menden „Massengesellschaft" und das Problem „der Manipulierbarkeit" (ebd.,
405). Durch N.s „radikale, anarchisierende Weigerung" (ebd., 407) versteht
Amery ihn in UB III SE bereits als „Vorläufer" einer „modernen anarchistischen
Anthropologie", wie sie Michel Foucault und Gilles Deleuze vertreten (ebd.,
404).
388, 2 Absicht der modernen Bildungsanstalten] Vgl. dazu N.s Schrift Ueber die
Zukunft unserer Bildungsanstalten. Sechs öffentliche Vorträge (KSA 1, 641-763).
388, 9-11 zuletzt wird behauptet, dass ein natürlicher und nothwendiger Bund
von „Intelligenz und Besitz", von „Reichthum und Kultur" bestehe] Hier wendet
sich N. gegen die Verbindung von ,Besitz' und ,Bildung' im bürgerlichen
Selbstverständnis. Er selbst plädiert demgegenüber für ein von ökonomischer
Funktionalisierung unabhängiges Bildungsstreben. - Gedankengänge, in de-
nen diese Korrelation zum Thema wird, finden sich bereits bei Schopenhauer.
In seiner Schrift Ueber die Universitäts-Philosophie reflektiert er kritisch über
derartige Allianzen von ,Besitz' und ,Bildung'. Während N. die Instrumentali-
sierung der Kultur durch materiellen Pragmatismus generell als problematisch
ansieht, konzentriert sich Schopenhauer auf die Philosophie speziell: Unter
Berufung auf mehrere antike Denker erklärt er, dass dann, wenn mit der „Phi-
losophie [...] Erwerb [...] getrieben wird, alsbald die Absicht das Uebergewicht
über die Einsicht erhält und aus angeblichen Philosophen bloße Parasiten der
Philosophie werden: solche aber werden dem Wirken der ächten Philosophen
hemmend und feindlich entgegentreten, ja, sich gegen sie verschwören, um
nur was ihre Sache fördert zur Geltung zu bringen. Denn sobald es Erwerb gilt,
kann es leicht dahin kommen, daß, wo der Vortheil es heischt, allerlei niedrige
Mittel, Einverständnisse, Koalitionen u. s. w. angewandt werden, um, zu mate-
riellen Zwecken, dem Falschen und Schlechten Eingang und Geltung zu ver-
schaffen; wobei es nothwendig wird, das entgegenstehende Wahre, Aechte
und Werthvolle zu unterdrücken" (PP I, Hü 165-166). Und weil die Philosophie
„die Denkungsart des Zeitalters" begründe, werde durch ihre materielle Instru-
mentalisierung „der Geist der Zeit vergiftet, das Verderben ergreift alle Zweige
der Litteratur, aller höhere Geistesaufschwung stockt" (PP I, Hü 166). Dezidiert
erklärt Schopenhauer: „Die höchsten Bestrebungen des menschlichen Geistes
vertragen sich nun ein Mal nicht mit dem Erwerb: ihre edele Natur kann sich
damit nicht amalgamiren" (PP I, Hü 167).
388, 14-16 man pflegt wohl solche ernstere Arten der Bildung als „feineren Ego-
ismus", als „unsittlichen Bildungs-Epikureismus" zu verunglimpfen] Nach der
Lehre des griechischen Philosophen Epikur (341-270 v. Chr.) liegt das Glück
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften