Stellenkommentar UB III SE 6, KSA 1, S. 402 237
Noch vor der Publikation von UB III SE im Jahre 1874 entfaltet N. die bild-
hafte Vorstellung des Kreuzweges bereits im vierten seiner 1872 gehaltenen
Vorträge Ueber die Zukunft unserer Bildungsanstalten; die beiden Textpassagen
(vgl. 402, 5-21 und KSA 1, 728, 9-24) stimmen sehr weitgehend überein, zu-
meist sogar wörtlich, unterscheiden sich aber insofern, als N. in seinem Vortrag
den Eindruck größerer Unmittelbarkeit erzeugt, indem er sich mit appellativem
Gestus direkt an die Hörer wendet. Und während er in UB III SE die allegorisch
entfaltete Szenerie mit den „verschiedenartigen Wanderer[n] beider Wege"
(402, 22) in seiner anschließenden Deutung recht abstrakt auf „eine Institution
der Kultur" bezieht (402, 22-23), ordnet er sie im Vortrag naheliegenderweise
konkret der „Bildungsanstalt" zu (728, 26).
402, 15-17 der andre Weg führt ihn mit seltneren Wanderschaftsgenossen zu-
sammen, er ist schwieriger, verschlungener, steiler] Nahezu identisch gebraucht
N. diese Formulierung schon 1872 im vierten seiner Vorträge Ueber die Zukunft
unserer Bildungsanstalten, in dem er sich allerdings durch das Personalprono-
men „euch" direkt an die Hörer wendet (KSA 1, 728, 18). Die Vorstellung von
einem strapaziösen, gefährlichen, zugleich aber exklusiven Lebensweg, der ei-
ner „kleineren Schaar" von hochrangigen Geistern vorbehalten bleibt und von
N. hier im Bild einer Gebirgswanderung anschaulich exponiert wird, ist nicht
nur durch die Prodikos-Fabel geprägt (vgl. NK 402, 5-7), sondern zugleich auch
von Schopenhauer beeinflusst. Dieser erklärt in seiner Schrift Ueber die Univer-
sitäts-Philosophie: „Der Weg zur Wahrheit ist steil und lang: mit einem Block
am Fuße wird ihn Keiner zurücklegen; vielmehr thäten Flügel Noth" (PP I,
Hü 207). Zur Gipfel-Metaphorik vgl. NK 366, 30-31 und NK 381, 5-6.
Forciert wird N.s allegorische Vorstellung im ersten seiner Vorträge Ueber
die Zukunft unserer Bildungsanstalten, und zwar durch einen elitären Geistes-
aristokratismus, den er dort als Überzeugung eines Philosophen im Dialog prä-
sentieren lässt: „es würde kein Mensch nach Bildung streben, wenn er wüßte,
wie unglaublich klein die Zahl der wirklich Gebildeten zuletzt ist und über-
haupt sein kann [...]. Man dürfe deshalb von jener lächerlichen Improportiona-
lität zwischen der Zahl der wahrhaft Gebildeten und dem ungeheuer großen
Bildungsapparat nichts öffentlich verrathen; hier stecke das eigentliche Bil-
dungsgeheimniß: daß nämlich zahllose Menschen scheinbar für sich, im Grun-
de nur, um einige wenige Menschen möglich zu machen, nach Bildung ringen,
für die Bildung arbeiten" (KSA 1, 665, 20-32). Zum Themenkomplex von N.s
Bildungskritik vgl. auch Thompson/Weiss 2005, 53-72.
402, 34 - 403, 5 Diese Einzelnen sollen ihr Werk vollenden - das ist der Sinn
ihres Zusammenhaltens; und alle, die an der Institution theilnehmen, sollen be-
müht sein, durch eine fortgesetzte Läuterung und gegenseitige Fürsorge, die Ge-
Noch vor der Publikation von UB III SE im Jahre 1874 entfaltet N. die bild-
hafte Vorstellung des Kreuzweges bereits im vierten seiner 1872 gehaltenen
Vorträge Ueber die Zukunft unserer Bildungsanstalten; die beiden Textpassagen
(vgl. 402, 5-21 und KSA 1, 728, 9-24) stimmen sehr weitgehend überein, zu-
meist sogar wörtlich, unterscheiden sich aber insofern, als N. in seinem Vortrag
den Eindruck größerer Unmittelbarkeit erzeugt, indem er sich mit appellativem
Gestus direkt an die Hörer wendet. Und während er in UB III SE die allegorisch
entfaltete Szenerie mit den „verschiedenartigen Wanderer[n] beider Wege"
(402, 22) in seiner anschließenden Deutung recht abstrakt auf „eine Institution
der Kultur" bezieht (402, 22-23), ordnet er sie im Vortrag naheliegenderweise
konkret der „Bildungsanstalt" zu (728, 26).
402, 15-17 der andre Weg führt ihn mit seltneren Wanderschaftsgenossen zu-
sammen, er ist schwieriger, verschlungener, steiler] Nahezu identisch gebraucht
N. diese Formulierung schon 1872 im vierten seiner Vorträge Ueber die Zukunft
unserer Bildungsanstalten, in dem er sich allerdings durch das Personalprono-
men „euch" direkt an die Hörer wendet (KSA 1, 728, 18). Die Vorstellung von
einem strapaziösen, gefährlichen, zugleich aber exklusiven Lebensweg, der ei-
ner „kleineren Schaar" von hochrangigen Geistern vorbehalten bleibt und von
N. hier im Bild einer Gebirgswanderung anschaulich exponiert wird, ist nicht
nur durch die Prodikos-Fabel geprägt (vgl. NK 402, 5-7), sondern zugleich auch
von Schopenhauer beeinflusst. Dieser erklärt in seiner Schrift Ueber die Univer-
sitäts-Philosophie: „Der Weg zur Wahrheit ist steil und lang: mit einem Block
am Fuße wird ihn Keiner zurücklegen; vielmehr thäten Flügel Noth" (PP I,
Hü 207). Zur Gipfel-Metaphorik vgl. NK 366, 30-31 und NK 381, 5-6.
Forciert wird N.s allegorische Vorstellung im ersten seiner Vorträge Ueber
die Zukunft unserer Bildungsanstalten, und zwar durch einen elitären Geistes-
aristokratismus, den er dort als Überzeugung eines Philosophen im Dialog prä-
sentieren lässt: „es würde kein Mensch nach Bildung streben, wenn er wüßte,
wie unglaublich klein die Zahl der wirklich Gebildeten zuletzt ist und über-
haupt sein kann [...]. Man dürfe deshalb von jener lächerlichen Improportiona-
lität zwischen der Zahl der wahrhaft Gebildeten und dem ungeheuer großen
Bildungsapparat nichts öffentlich verrathen; hier stecke das eigentliche Bil-
dungsgeheimniß: daß nämlich zahllose Menschen scheinbar für sich, im Grun-
de nur, um einige wenige Menschen möglich zu machen, nach Bildung ringen,
für die Bildung arbeiten" (KSA 1, 665, 20-32). Zum Themenkomplex von N.s
Bildungskritik vgl. auch Thompson/Weiss 2005, 53-72.
402, 34 - 403, 5 Diese Einzelnen sollen ihr Werk vollenden - das ist der Sinn
ihres Zusammenhaltens; und alle, die an der Institution theilnehmen, sollen be-
müht sein, durch eine fortgesetzte Läuterung und gegenseitige Fürsorge, die Ge-