Stellenkommentar UB III SE 7, KSA 1, S. 407 247
wann, zieht N. wiederholt zu Felde. Den modernen Fortschrittsoptimismus at-
tackiert er, weil dieser mit Schopenhauers Pessimismus inkompatibel ist und
zudem der von ihm selbst postulierten „tragischen Weitbetrachtung" wider-
spricht. Vgl. dazu N.s Feststellung in der Geburt der Tragödie: „Ich will nur von
der erlauchtesten Gegnerschaft der tragischen Weltbetrachtung reden
und meine damit die in ihrem tiefsten Wesen optimistische Wissenschaft"
(KSA 1, 103, 9-11).
Die „allgemeine Bildung" lehnt N. von seinem (auch in UB III SE hervortre-
tenden) geistesaristokratischen Standpunkt aus vehement ab, beispielsweise
in einem frühen Nachlass-Notat, in dem er sie sogar mit dem Kommunismus
in Verbindung bringt: „Die allgemeine Bildung ist nur ein Vorstadium des Com-
munismus: Die Bildung wird auf diesem Wege so abgeschwächt, daß sie gar
kein Privilegium mehr verleihen kann. Am wenigsten ist sie ein Mittel gegen
den Communismus. Die allgemeinste Bildung d. h. die Barbarei ist eben die
Voraussetzung des Communismus" (NL 1870-1872, 8 [57], KSA 7, 243).
N.s Reaktion auf die Konjunktur ,nationaler' Einstellungen ist in den Früh-
schriften ambivalent. Einerseits lässt er sich wie Wagner von den nationalen
Tendenzen nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 anstecken und
spricht emphatisch vom ,deutschen Wesen', vom ,deutschen Mythus' und vom
,deutschen Geist'. (Vgl. dazu NK 1/1, 28-29, 55-56, 407-408.) Andererseits je-
doch erkennt er deutlich die Gefahr einer nationalen Borniertheit, der er Scho-
penhauers kosmopolitische Einstellung entgegenhält. Schon in der Anfangs-
passage von UB I DS reflektiert N. die problematischen Konsequenzen einer
kulturellen Hybris, die irrtümlich voraussetze, dass mit dem militärischen Sieg
über Frankreich im deutsch-französischen Krieg von 1870/71 „auch die deut-
sche Kultur in jenem Kampfe gesiegt habe" (KSA 1, 159, 17-18). In UB III SE
spielt N. bereits an früherer Stelle (390, 17) auf diesen Krieg an, auf den er sich
in seinem „Versuch einer Selbstkritik" zur 1886 erschienenen Neuausgabe der
Geburt der Tragödie später explizit bezieht (KSA 1, 11, 6-21).
Gegenüber dem „Staat" hegt N. prinzipielle Vorbehalte - ähnlich wie Wag-
ner in seiner noch revolutionär ausgerichteten theoretischen Hauptschrift Oper
und Drama (1851). Wagner hatte sogar gefordert, man solle „den Staat vernich-
ten" (GSD IV, 67). Zur negativen Darstellung des Staates bei N. vgl. auch eine
Textpassage in UB III SE (413, 28 - 416, 21). Motiviert ist N.s kritische Einstel-
lung zum Staat durch sein Postulat einer ausgeprägten Freiheit und Unabhän-
gigkeit des Denkens. Analog zur Gelehrtenkritik in Schopenhauers Schrift Ue-
ber die Universitäts-Philosophie sieht N. eine solche Autonomie durch die mit
dem Staatsdienst verbundenen Zwänge in Frage gestellt. Vor diesem Hinter-
grund konzipiert er die Geburt des „Genius" entschieden individualistisch. -
In der Bismarckzeit bewegte der „Culturkampf" die Gemüter. N. selbst aller-
wann, zieht N. wiederholt zu Felde. Den modernen Fortschrittsoptimismus at-
tackiert er, weil dieser mit Schopenhauers Pessimismus inkompatibel ist und
zudem der von ihm selbst postulierten „tragischen Weitbetrachtung" wider-
spricht. Vgl. dazu N.s Feststellung in der Geburt der Tragödie: „Ich will nur von
der erlauchtesten Gegnerschaft der tragischen Weltbetrachtung reden
und meine damit die in ihrem tiefsten Wesen optimistische Wissenschaft"
(KSA 1, 103, 9-11).
Die „allgemeine Bildung" lehnt N. von seinem (auch in UB III SE hervortre-
tenden) geistesaristokratischen Standpunkt aus vehement ab, beispielsweise
in einem frühen Nachlass-Notat, in dem er sie sogar mit dem Kommunismus
in Verbindung bringt: „Die allgemeine Bildung ist nur ein Vorstadium des Com-
munismus: Die Bildung wird auf diesem Wege so abgeschwächt, daß sie gar
kein Privilegium mehr verleihen kann. Am wenigsten ist sie ein Mittel gegen
den Communismus. Die allgemeinste Bildung d. h. die Barbarei ist eben die
Voraussetzung des Communismus" (NL 1870-1872, 8 [57], KSA 7, 243).
N.s Reaktion auf die Konjunktur ,nationaler' Einstellungen ist in den Früh-
schriften ambivalent. Einerseits lässt er sich wie Wagner von den nationalen
Tendenzen nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 anstecken und
spricht emphatisch vom ,deutschen Wesen', vom ,deutschen Mythus' und vom
,deutschen Geist'. (Vgl. dazu NK 1/1, 28-29, 55-56, 407-408.) Andererseits je-
doch erkennt er deutlich die Gefahr einer nationalen Borniertheit, der er Scho-
penhauers kosmopolitische Einstellung entgegenhält. Schon in der Anfangs-
passage von UB I DS reflektiert N. die problematischen Konsequenzen einer
kulturellen Hybris, die irrtümlich voraussetze, dass mit dem militärischen Sieg
über Frankreich im deutsch-französischen Krieg von 1870/71 „auch die deut-
sche Kultur in jenem Kampfe gesiegt habe" (KSA 1, 159, 17-18). In UB III SE
spielt N. bereits an früherer Stelle (390, 17) auf diesen Krieg an, auf den er sich
in seinem „Versuch einer Selbstkritik" zur 1886 erschienenen Neuausgabe der
Geburt der Tragödie später explizit bezieht (KSA 1, 11, 6-21).
Gegenüber dem „Staat" hegt N. prinzipielle Vorbehalte - ähnlich wie Wag-
ner in seiner noch revolutionär ausgerichteten theoretischen Hauptschrift Oper
und Drama (1851). Wagner hatte sogar gefordert, man solle „den Staat vernich-
ten" (GSD IV, 67). Zur negativen Darstellung des Staates bei N. vgl. auch eine
Textpassage in UB III SE (413, 28 - 416, 21). Motiviert ist N.s kritische Einstel-
lung zum Staat durch sein Postulat einer ausgeprägten Freiheit und Unabhän-
gigkeit des Denkens. Analog zur Gelehrtenkritik in Schopenhauers Schrift Ue-
ber die Universitäts-Philosophie sieht N. eine solche Autonomie durch die mit
dem Staatsdienst verbundenen Zwänge in Frage gestellt. Vor diesem Hinter-
grund konzipiert er die Geburt des „Genius" entschieden individualistisch. -
In der Bismarckzeit bewegte der „Culturkampf" die Gemüter. N. selbst aller-