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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0293
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266 Schopenhauer als Erzieher

Aus diesem Postulat zieht Kant in derselben Schrift auch politische Konse-
quenzen: „der öffentliche Gebrauch seiner Vernunft muß jederzeit frei sein,
und der allein kann Aufklärung unter Menschen zu Stande bringen. [...] Ich
verstehe aber unter dem öffentlichen Gebrauche seiner eigenen Vernunft den-
jenigen, den jemand als Gelehrter von ihr vor dem ganzen Publicum der
Leserwelt macht" (AA 8, 37). Auf die Aufklärung zu verzichten, „heißt die
heiligen Rechte der Menschheit verletzen und mit Füßen treten. Was aber nicht
einmal ein Volk über sich selbst beschließen darf, das darf noch weniger ein
Monarch über das Volk beschließen" (AA 8, 39-40). Im Kontext dieser pronon-
cierten Feststellung rühmt Kant nachdrücklich den Sonderstatus Friedrichs des
Großen, indem er das „Zeitalter der Aufklärung" mit dem „Jahrhundert Frie-
derichs" identifiziert (AA 8, 40) und erklärt: „Ein Fürst", der es für seine
Pflicht hält, „in Religionsdingen den Menschen nichts vorzuschreiben, son-
dern ihnen darin volle Freiheit zu lassen [...], ist selbst aufgeklärt und verdient
von der dankbaren Welt und Nachwelt als derjenige gepriesen zu werden, der
zuerst das menschliche Geschlecht der Unmündigkeit wenigstens von Seiten
der Regierung entschlug und Jedem frei ließ, sich in allem, was Gewissensan-
gelegenheit ist, seiner eigenen Vernunft zu bedienen" (AA 8, 40). - Die Religi-
onsfreiheit stellt Kant hier bewusst ins Zentrum, weil er „Unmündigkeit" in
dieser Hinsicht für „die schädlichste" und „entehrendste unter allen" hält
(AA 8, 41). Kants Erwartungen an ein aufgeklärtes Staatsoberhaupt reichen
aber noch erheblich weiter: Als einzigartiges Vorbild erscheint ihm Friedrich
der Große, weil er es „seinen Unterthanen" sogar „in Ansehung seiner Ge-
setzgebung" zugesteht, „von ihrer eigenen Vernunft öffentlichen Ge-
brauch zu machen und ihre Gedanken über eine bessere Abfassung derselben
sogar mit einer freimüthigen Kritik der schon gegebenen der Welt öffentlich
vorzulegen" (AA 8, 41).
Aufschlussreich erscheint darüber hinaus Kants letzte Druckschrift Der
Streit der Fakultäten, die 1798 in Königsberg publiziert wurde. Sie kann als sein
,universitätsphilosophisches Testament' gelten und basiert nicht zuletzt auf
seinen eigenen Erfahrungen in Königsberg. Hier wendet Kant das Autonomie-
Postulat, das für sein gesamtes aufklärerisches Denken zentrale Bedeutung
hat, auf die Funktionsbestimmung der Philosophie speziell und auf das geisti-
ge Leben generell an: „Nun nennt man das Vermögen, nach der Autonomie,
d.i. frei [...] zu urtheilen, die Vernunft. Also wird die philosophische Facultät
darum, weil sie für die Wahrheit der Lehren [...] stehen muß, in so fern als
frei und nur unter der Gesetzgebung der Vernunft, nicht der der Regierung
stehend gedacht werden müssen" (AA 7, 27). Zuvor differenziert Kant zwischen
den Fakultäten und schreibt über die Philosophische Fakultät: „Es muß zum
gelehrten gemeinen Wesen durchaus auf der Universität noch eine Facultät
 
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