Stellenkommentar UB III SE 8, KSA 1, S. 414-415 269
keit waren aufgrund seines weitreichenden Einflusses von Bedeutung. Zu den
politischen Hintergründen und Machenschaften im Zusammenhang mit Kants
Zensur-Problematik vgl. die ausführliche Darstellung von Kuno Fischer 1860,
87-97 (5. Kapitel: „Kants Religionslehre im Kampf mit der Censur").
Anders, als N. in UB III SE glaubte behaupten zu können, verhielt sich
Kant in konkreten Situationen auch als Professor keineswegs „unterwürfig"
(414, 16-17), sondern bewies sogar Zivilcourage, ebenso wie seine Königsberger
Professoren-Kollegen. Anfang der 1790er Jahre kam es in mehreren deutschen
Universitätsstädten, auch in Königsberg, unter dem Einfluss der Französischen
Revolution zu studentischen Unruhen, bei denen Freiheitsparolen kursierten.
Außerdem entstanden Spannungen zwischen den Studenten und der Königs-
berger Garnison. Der örtliche Kommandeur Graf Henkel von Donnersmarck,
Generalinspekteur der ostpreußischen Infanterie und Träger des Ordens Pour
le merite, übermittelte an einem Sonntag dem akademischen Senat das Ersu-
chen, sich am Montagmorgen um 8 Uhr bei der Militärführung einzufinden,
um Rechenschaft abzulegen. Offenbar hielt man die Professoren für mitverant-
wortlich oder wollte sie zumindest in die Pflicht nehmen. Dieses Verlangen der
Militärführung ließen sich die Professoren, allen voran Kant, nicht gefallen.
Sie beschlossen, der Einbestellung durch die Militärführung nicht zu folgen.
In UB III SE äußert sich N. über den vorliegenden Kontext hinaus auch in
anderen Textpassagen kritisch über Kants Verhalten (vgl. 351, 6-10 und 409,
30-34). Zu seiner Fehleinschätzung Kants vgl. auch NK 351, 6-8. Bezeichnen-
derweise bezog N. seine Kant-Kenntnisse oft aus der Sekundärliteratur, vor al-
lem aus Kuno Fischers Geschichte der neuern Philosophie (Bd. 4: Kant's System
der reinen Vernunft auf Grund der Vernunftkritik, 2. Aufl. 1869). Besondere Be-
deutung hatte für N. auch Friedrich Albert Langes Buch Geschichte des Materi-
alismus und Kritik seiner Bedeutung in der Gegenwart (1866), das er selbst besaß
(NPB 338). Aufschluss darüber bietet N.s Brief an Hermann Mushacke vom No-
vember 1866: „Das bedeutendste philosophische Werk, was in den letzten Jahr-
zehnten erschienen ist, ist unzweifelhaft Lange, Geschichte des Materialismus,
über das ich eine bogenlange Lobrede schreiben könnte. Kant, Schopenhauer
und dies Buch von Lange — mehr brauche ich nicht" (KSB 2, Nr. 526, S. 184).
Vgl. dazu auch Jörg Salaquarda 1978, 236-253. Vgl. außerdem Helmut Heit
2005, 47-56.
415, 13 noli me tangere] Rühr mich nicht an! Diese sprichwörtlich gewordene
Wendung geht auf die Bibel zurück (vgl. Johannes 20, 17) und findet sich in
der Vulgata.
415, 28-29 diese Concessionen der Philosophie an den Staat] N. differenziert
hier zwischen drei „sehr weit" reichenden Konzessionen, die er für problema-
keit waren aufgrund seines weitreichenden Einflusses von Bedeutung. Zu den
politischen Hintergründen und Machenschaften im Zusammenhang mit Kants
Zensur-Problematik vgl. die ausführliche Darstellung von Kuno Fischer 1860,
87-97 (5. Kapitel: „Kants Religionslehre im Kampf mit der Censur").
Anders, als N. in UB III SE glaubte behaupten zu können, verhielt sich
Kant in konkreten Situationen auch als Professor keineswegs „unterwürfig"
(414, 16-17), sondern bewies sogar Zivilcourage, ebenso wie seine Königsberger
Professoren-Kollegen. Anfang der 1790er Jahre kam es in mehreren deutschen
Universitätsstädten, auch in Königsberg, unter dem Einfluss der Französischen
Revolution zu studentischen Unruhen, bei denen Freiheitsparolen kursierten.
Außerdem entstanden Spannungen zwischen den Studenten und der Königs-
berger Garnison. Der örtliche Kommandeur Graf Henkel von Donnersmarck,
Generalinspekteur der ostpreußischen Infanterie und Träger des Ordens Pour
le merite, übermittelte an einem Sonntag dem akademischen Senat das Ersu-
chen, sich am Montagmorgen um 8 Uhr bei der Militärführung einzufinden,
um Rechenschaft abzulegen. Offenbar hielt man die Professoren für mitverant-
wortlich oder wollte sie zumindest in die Pflicht nehmen. Dieses Verlangen der
Militärführung ließen sich die Professoren, allen voran Kant, nicht gefallen.
Sie beschlossen, der Einbestellung durch die Militärführung nicht zu folgen.
In UB III SE äußert sich N. über den vorliegenden Kontext hinaus auch in
anderen Textpassagen kritisch über Kants Verhalten (vgl. 351, 6-10 und 409,
30-34). Zu seiner Fehleinschätzung Kants vgl. auch NK 351, 6-8. Bezeichnen-
derweise bezog N. seine Kant-Kenntnisse oft aus der Sekundärliteratur, vor al-
lem aus Kuno Fischers Geschichte der neuern Philosophie (Bd. 4: Kant's System
der reinen Vernunft auf Grund der Vernunftkritik, 2. Aufl. 1869). Besondere Be-
deutung hatte für N. auch Friedrich Albert Langes Buch Geschichte des Materi-
alismus und Kritik seiner Bedeutung in der Gegenwart (1866), das er selbst besaß
(NPB 338). Aufschluss darüber bietet N.s Brief an Hermann Mushacke vom No-
vember 1866: „Das bedeutendste philosophische Werk, was in den letzten Jahr-
zehnten erschienen ist, ist unzweifelhaft Lange, Geschichte des Materialismus,
über das ich eine bogenlange Lobrede schreiben könnte. Kant, Schopenhauer
und dies Buch von Lange — mehr brauche ich nicht" (KSB 2, Nr. 526, S. 184).
Vgl. dazu auch Jörg Salaquarda 1978, 236-253. Vgl. außerdem Helmut Heit
2005, 47-56.
415, 13 noli me tangere] Rühr mich nicht an! Diese sprichwörtlich gewordene
Wendung geht auf die Bibel zurück (vgl. Johannes 20, 17) und findet sich in
der Vulgata.
415, 28-29 diese Concessionen der Philosophie an den Staat] N. differenziert
hier zwischen drei „sehr weit" reichenden Konzessionen, die er für problema-