278 Schopenhauer als Erzieher
Königsberg berufen worden. Im Jahre 1833 nahm Herbart dann einen Ruf an
die Universität Göttingen an. Herbart ging von der Vorstellung der menschli-
chen Bildsamkeit aus und zählte zu den Begründern einer modernen Pädago-
gik, die sich als neue Wissenschaft zu etablieren suchte. Seine Pionierleistung
bestand in einem systematischen Konzept, das auf psychologische Forschung
zurückgriff und sich mit einer differenzierten Methodenlehre verband. Herbarts
eigene Theorien unterscheiden sich fundamental vom sogenannten Herbartia-
nismus seiner Nachfolger. Während Herbart die individuelle Selbstentwicklung
der Schüler unter dem Einfluss der sie begleitenden Lehrpersonen ins Zentrum
seiner Überlegungen stellte und autoritäre Erziehungsmethoden ausdrücklich
kritisierte, schuf der Herbartianismus einen starren Regelkodex, der den indivi-
duellen Spielraum zur Selbstentfaltung stark einschränkte. Dennoch trugen die
Herbartianer maßgeblich dazu bei, dass sich das Fach Pädagogik als neue Dis-
ziplin an den Universitäten etablieren konnte.
Im Jahre 1820 hatte Herbart auf Schopenhauers Hauptwerk Die Welt als
Wille und Vorstellung mit einer sehr umfangreichen Rezension reagiert (in: Her-
mes 1820/3, 131-149, unterzeichnet: E.G.Z.); sie wurde auch publiziert in Jo-
hann Friedrich Herbart's Sämmtlichen Werken (1850-1851), Bd. XII, 369-391. -
Der Philosophiehistoriker Johann Eduard Erdmann (1805-1892), der als Althe-
gelianer galt, ging in seinem Versuch einer wissenschaftlichen Darstellung der
Geschichte der neuern Philosophie (1834, Bd. III/2, 381-471) ausführlich auf
Schopenhauer ein; außerdem verfasste er einen Aufsatz mit dem Titel Schopen-
hauer und Herbart, eine Antithese (1852, 209-226). Im Rahmen seiner Ausfüh-
rungen über Schopenhauer als Erzieher dürfte N. auch die Konstellation zwi-
schen Schopenhauer und Herbart bewusst gewesen sein.
N.s Vorbehalte gegen die Philosophie Herbarts können auch durch die kri-
tischen Bemerkungen Schopenhauers in seiner Schrift Ueber die Universitäts-
Philosophie beeinflusst sein: vgl. PP I, Hü 168-169, 174, 182, 192. Explizit nennt
Schopenhauer Herbart als Beispiel für den „generische[n] Charakter der phi-
losophischen Schriften dieses Jahrhunderts": für „das Schreiben, ohne
eigentlich etwas zu sagen zu haben: er ist ihnen allen gemeinsam und kann
daher auf gleiche Weise am Salat, wie am Hegel, am Herbart, wie am Schleier-
macher studirt werden" (PP I, Hü 174). An späterer Stelle polemisiert Schopen-
hauer gegen „philosophische Mißgeburten" von erstaunlicher „Verbreitung"
und „einträgliche[r] Celebrität" (PP I, Hü 192) und weist in diesem Kontext ex-
emplarisch auf den seines Erachtens unverdienten Erfolg Herbarts hin: „Wie
hätte es außerdem geschehn können, daß z. B. ein solcher Komplex von Ver-
kehrtheiten, wie die ,Einleitung in die Philosophie' von Herbart, fünf Aufla-
gen erlebte? Daher schreibt sich denn wieder der Narrenübermuth, mit wel-
chem [...] dieser entschiedene Queerkopf vornehm auf Kant herabsieht und
ihn mit Nachsicht zurechtweist" (PP I, Hü 192).
Königsberg berufen worden. Im Jahre 1833 nahm Herbart dann einen Ruf an
die Universität Göttingen an. Herbart ging von der Vorstellung der menschli-
chen Bildsamkeit aus und zählte zu den Begründern einer modernen Pädago-
gik, die sich als neue Wissenschaft zu etablieren suchte. Seine Pionierleistung
bestand in einem systematischen Konzept, das auf psychologische Forschung
zurückgriff und sich mit einer differenzierten Methodenlehre verband. Herbarts
eigene Theorien unterscheiden sich fundamental vom sogenannten Herbartia-
nismus seiner Nachfolger. Während Herbart die individuelle Selbstentwicklung
der Schüler unter dem Einfluss der sie begleitenden Lehrpersonen ins Zentrum
seiner Überlegungen stellte und autoritäre Erziehungsmethoden ausdrücklich
kritisierte, schuf der Herbartianismus einen starren Regelkodex, der den indivi-
duellen Spielraum zur Selbstentfaltung stark einschränkte. Dennoch trugen die
Herbartianer maßgeblich dazu bei, dass sich das Fach Pädagogik als neue Dis-
ziplin an den Universitäten etablieren konnte.
Im Jahre 1820 hatte Herbart auf Schopenhauers Hauptwerk Die Welt als
Wille und Vorstellung mit einer sehr umfangreichen Rezension reagiert (in: Her-
mes 1820/3, 131-149, unterzeichnet: E.G.Z.); sie wurde auch publiziert in Jo-
hann Friedrich Herbart's Sämmtlichen Werken (1850-1851), Bd. XII, 369-391. -
Der Philosophiehistoriker Johann Eduard Erdmann (1805-1892), der als Althe-
gelianer galt, ging in seinem Versuch einer wissenschaftlichen Darstellung der
Geschichte der neuern Philosophie (1834, Bd. III/2, 381-471) ausführlich auf
Schopenhauer ein; außerdem verfasste er einen Aufsatz mit dem Titel Schopen-
hauer und Herbart, eine Antithese (1852, 209-226). Im Rahmen seiner Ausfüh-
rungen über Schopenhauer als Erzieher dürfte N. auch die Konstellation zwi-
schen Schopenhauer und Herbart bewusst gewesen sein.
N.s Vorbehalte gegen die Philosophie Herbarts können auch durch die kri-
tischen Bemerkungen Schopenhauers in seiner Schrift Ueber die Universitäts-
Philosophie beeinflusst sein: vgl. PP I, Hü 168-169, 174, 182, 192. Explizit nennt
Schopenhauer Herbart als Beispiel für den „generische[n] Charakter der phi-
losophischen Schriften dieses Jahrhunderts": für „das Schreiben, ohne
eigentlich etwas zu sagen zu haben: er ist ihnen allen gemeinsam und kann
daher auf gleiche Weise am Salat, wie am Hegel, am Herbart, wie am Schleier-
macher studirt werden" (PP I, Hü 174). An späterer Stelle polemisiert Schopen-
hauer gegen „philosophische Mißgeburten" von erstaunlicher „Verbreitung"
und „einträgliche[r] Celebrität" (PP I, Hü 192) und weist in diesem Kontext ex-
emplarisch auf den seines Erachtens unverdienten Erfolg Herbarts hin: „Wie
hätte es außerdem geschehn können, daß z. B. ein solcher Komplex von Ver-
kehrtheiten, wie die ,Einleitung in die Philosophie' von Herbart, fünf Aufla-
gen erlebte? Daher schreibt sich denn wieder der Narrenübermuth, mit wel-
chem [...] dieser entschiedene Queerkopf vornehm auf Kant herabsieht und
ihn mit Nachsicht zurechtweist" (PP I, Hü 192).