Überblickskommentar, Kapitel IV.3: Ambivalentes Verhältnis zu Wagner 299
Enthusiastisch beschreibt N. am 26. Juli 1869 die - wie er meint - ganz
von Idealismus geprägte Existenz Wagners: Inzwischen kenne er ihn „als einen
der idealsten Menschen, und übervoll der edelsten und größten Gedanken und
völlig frei von allen jenen armseligen Äußerlichkeiten und Flecken, mit denen
ihn die lasterhafte Frau Fama behängt hat" (KSB 3, Nr. 16, S. 31). Am 4. August
1869 wendet er sich in einem Brief an Carl von Gersdorff energisch gegen die
„in der Presse" und in musikwissenschaftlichen Schriften kursierenden negati-
ven Urteile über Wagner und hält ihnen selbst enthusiastisch seinen eigenen
Eindruck entgegen, der bis zur Apotheose reicht: In Wagner „herrscht eine so
unbedingte Idealität, eine solche tiefe und rührende Menschlichkeit, ein sol-
cher erhabner Lebensernst, daß ich mich in seiner Nähe wie in der Nähe des
Göttlichen fühle", ja „erschüttert von dieser Idealität, die durchaus dem Geiste
Schopenhauers entsprungen schien" (KSB 3, Nr. 19, S. 36). Noch am selben Tag
attestiert N. Wagner in einem anderen Brief „eine so unbedingte makellose
Größe in allen seinen Eigenschaften, eine solche Idealität seines Denkens und
Wollens", dass er glaubt, „vor einem Auserwählten der Jahrhunderte zu ste-
hen" (KSB 3, Nr. 20, S. 37). Und am 19. Juni 1870 idealisiert er im Brief an Cosi-
ma von Bülow einen seiner Besuche in Tribschen, indem er enthusiastisch er-
klärt: „Dies Dasein der Götter im Hause des Genius erweckt jene religiöse
Stimmung" (KSB 3, Nr. 81, S. 125).
Am 25. August 1869 berichtet N. in einem Brief an Paul Deussen begeistert
über die „beglückende Annäherung der wärmsten und gemüthvollsten Art an
Richard Wagner, das will sagen: den größten Genius und größten Men-
schen dieser Zeit, durchaus incommensurabel!" (KSB 3, Nr. 24, S. 46). N. cha-
rakterisiert „diese Annäherung als die größte Errungenschaft meines Lebens,
nächst dem, was ich Schopenhauer verdanke" (KSB 3, Nr. 24, S. 46). Und sogar
zweieinhalb Monate nach Wagners Tod beschreibt N. sein Verhältnis zu ihm
am 27. April 1883 in einem Brief an Heinrich Köselitz mit emphatischer Nostal-
gie: „Damals liebten wir uns und hofften Alles für einander - es war wirk-
lich eine tiefe Liebe, ohne Nebengedanken" (KSB 6, Nr. 407, S. 367). Noch in
einem Nachlass-Notat von 1885 erklärt N. im Rückblick auf die frühere Freund-
schaft mit Wagner: „Ich habe ihn geliebt und Niemanden sonst" (NL 1885, 34
[254], KSA 11, 506).
Allerdings erklärt N. seinen Enthusiasmus für Wagner in einem nachgelas-
senen Notat von 1880 selbstkritisch mit einem „sacrificium intellectus propter
amorem! Ach ich selber habe es gelobt! W<agner> i<n> B<ayreuth>"; und die-
ses Opfer schließt auch die „Fälschung der Wahrheit" ein (NL 1880, 5 [14],
KSA 9, 184). Doch sogar noch am 14. Juli 1886 betont N. seine besondere Bezie-
hung zu Wagner in einem Brief an Overbeck: „Alles in Allem gerechnet, war
R<ichard> W<agner> der Einzige bisher, mindestens der Erste, der ein Gefühl
Enthusiastisch beschreibt N. am 26. Juli 1869 die - wie er meint - ganz
von Idealismus geprägte Existenz Wagners: Inzwischen kenne er ihn „als einen
der idealsten Menschen, und übervoll der edelsten und größten Gedanken und
völlig frei von allen jenen armseligen Äußerlichkeiten und Flecken, mit denen
ihn die lasterhafte Frau Fama behängt hat" (KSB 3, Nr. 16, S. 31). Am 4. August
1869 wendet er sich in einem Brief an Carl von Gersdorff energisch gegen die
„in der Presse" und in musikwissenschaftlichen Schriften kursierenden negati-
ven Urteile über Wagner und hält ihnen selbst enthusiastisch seinen eigenen
Eindruck entgegen, der bis zur Apotheose reicht: In Wagner „herrscht eine so
unbedingte Idealität, eine solche tiefe und rührende Menschlichkeit, ein sol-
cher erhabner Lebensernst, daß ich mich in seiner Nähe wie in der Nähe des
Göttlichen fühle", ja „erschüttert von dieser Idealität, die durchaus dem Geiste
Schopenhauers entsprungen schien" (KSB 3, Nr. 19, S. 36). Noch am selben Tag
attestiert N. Wagner in einem anderen Brief „eine so unbedingte makellose
Größe in allen seinen Eigenschaften, eine solche Idealität seines Denkens und
Wollens", dass er glaubt, „vor einem Auserwählten der Jahrhunderte zu ste-
hen" (KSB 3, Nr. 20, S. 37). Und am 19. Juni 1870 idealisiert er im Brief an Cosi-
ma von Bülow einen seiner Besuche in Tribschen, indem er enthusiastisch er-
klärt: „Dies Dasein der Götter im Hause des Genius erweckt jene religiöse
Stimmung" (KSB 3, Nr. 81, S. 125).
Am 25. August 1869 berichtet N. in einem Brief an Paul Deussen begeistert
über die „beglückende Annäherung der wärmsten und gemüthvollsten Art an
Richard Wagner, das will sagen: den größten Genius und größten Men-
schen dieser Zeit, durchaus incommensurabel!" (KSB 3, Nr. 24, S. 46). N. cha-
rakterisiert „diese Annäherung als die größte Errungenschaft meines Lebens,
nächst dem, was ich Schopenhauer verdanke" (KSB 3, Nr. 24, S. 46). Und sogar
zweieinhalb Monate nach Wagners Tod beschreibt N. sein Verhältnis zu ihm
am 27. April 1883 in einem Brief an Heinrich Köselitz mit emphatischer Nostal-
gie: „Damals liebten wir uns und hofften Alles für einander - es war wirk-
lich eine tiefe Liebe, ohne Nebengedanken" (KSB 6, Nr. 407, S. 367). Noch in
einem Nachlass-Notat von 1885 erklärt N. im Rückblick auf die frühere Freund-
schaft mit Wagner: „Ich habe ihn geliebt und Niemanden sonst" (NL 1885, 34
[254], KSA 11, 506).
Allerdings erklärt N. seinen Enthusiasmus für Wagner in einem nachgelas-
senen Notat von 1880 selbstkritisch mit einem „sacrificium intellectus propter
amorem! Ach ich selber habe es gelobt! W<agner> i<n> B<ayreuth>"; und die-
ses Opfer schließt auch die „Fälschung der Wahrheit" ein (NL 1880, 5 [14],
KSA 9, 184). Doch sogar noch am 14. Juli 1886 betont N. seine besondere Bezie-
hung zu Wagner in einem Brief an Overbeck: „Alles in Allem gerechnet, war
R<ichard> W<agner> der Einzige bisher, mindestens der Erste, der ein Gefühl