304 Richard Wagner in Bayreuth
tion", so dass er mit seinen Werken „überfallen, umwerfen, quälen, spannen,
entsetzen" könne (NL 1878, 27 [29], KSA 8, 492).
In einem nachgelassenen Notat von 1887 beschreibt N. rückblickend seine
aporetische Situation im Hinblick auf Wagner und bringt dabei die eigene Rat-
losigkeit und Resignation deutlich zum Ausdruck: „Gegen 1876 hatte ich
den Schrecken, mein ganzes bisheriges Wollen compromittirt zu sehn, als
ich begriff, wohin es jetzt mit Wagner hinauswolle: und ich war sehr fest an
ihn gebunden, durch alle Bande der tiefen Einheit der Bedürfnisse, durch
Dankbarkeit, durch die Ersatzlosigkeit und absolute Entbehrung, die ich vor
mir sah. / Um dieselbe Zeit schien ich mir wie unauflösbar eingekerkert in
meine Philologie und Lehrthätigkeit — in einen Zufall und Nothbehelf meines
Lebens —: ich wußte nicht mehr, wie herauskommen und war müde, ver-
braucht, vernutzt" (NL 1887, 9 [42], KSA 12, 354). Mit Verve thematisiert er die
Konstellation zwei Jahre früher in einem Nachlass-Notat von 1885. Aufgrund
seiner inzwischen gewonnenen Distanz zum „Sommer 1876" und zu dem für
ihn selbst desillusionierenden Gesellschaftsereignis der Festspiele erklärt N.
sogar mit aggressiver Vehemenz, er sei „wüthend vor Ekel" gewesen - „denn
ich schien mir unter lauter Cagliostros und unächte Menschen gerathen zu
sein, und zürnte und tobte darüber, dort geliebt zu haben, wo ich hätte verach-
ten sollen" (NL 1885, 41 [9], KSA 11, 683).
N.s kritischen Blick auf die Wagnerianer, von denen er sich keinesfalls für
publizistische Zwecke einspannen lassen wollte, dokumentiert bereits andert-
halb Jahrzehnte zuvor ein Brief, den er am 22./28. Februar 1869 an Erwin Rohde
richtete: Hier konstatiert er, „daß meine Herren Brüder in Wagnero meistens
doch gar zu dumm sind und ekelhaft schreiben. Das macht, sie sind im Grunde
mit jenem Genius schlechterdings nicht verwandt" (KSB 2, Nr. 625, S. 378). Ge-
wandelt hat sich die Perspektive N.s allerdings fast zwei Jahrzehnte später in
einem Nachlass-Notat von 1888. Hatte er früher den ,Genius' Wagner und die
Inferiorität seiner Anhänger entschieden kontrastiert, so konstruiert er nun ei-
nen infektiösen Wirkungszusammenhang, indem er erklärt: „Wagner's Stil hat
auch seine Jünger angesteckt: das Deutsch der Wagnerianer ist der verblümtes-
te Unsinn, der seit dem Schellingschen geschrieben worden ist. Wagner selbst
gehört als Stilist noch in jene Bewegung, gegen die Schopenhauer seinen Zorn
ausgelassen hat: - und der Humor kommt auf die Spitze, wenn er sich als
,Retter der deutschen Sprache' gegen die Juden aufspielt" (NL 1888, 16 [67],
KSA 13, 507).
Vom Vorbehalt gegen Wagners „Deutschthümelei" (NL 1885-1886, 2 [34],
KSA 12, 81) unterscheidet sich allerdings die Perspektive, die N. in Jenseits von
Gut und Böse entfaltet: Hier erklärt er, „dass die französische Spät-
Romantik der Vierziger Jahre und Richard Wagner auf das Engste und In-
tion", so dass er mit seinen Werken „überfallen, umwerfen, quälen, spannen,
entsetzen" könne (NL 1878, 27 [29], KSA 8, 492).
In einem nachgelassenen Notat von 1887 beschreibt N. rückblickend seine
aporetische Situation im Hinblick auf Wagner und bringt dabei die eigene Rat-
losigkeit und Resignation deutlich zum Ausdruck: „Gegen 1876 hatte ich
den Schrecken, mein ganzes bisheriges Wollen compromittirt zu sehn, als
ich begriff, wohin es jetzt mit Wagner hinauswolle: und ich war sehr fest an
ihn gebunden, durch alle Bande der tiefen Einheit der Bedürfnisse, durch
Dankbarkeit, durch die Ersatzlosigkeit und absolute Entbehrung, die ich vor
mir sah. / Um dieselbe Zeit schien ich mir wie unauflösbar eingekerkert in
meine Philologie und Lehrthätigkeit — in einen Zufall und Nothbehelf meines
Lebens —: ich wußte nicht mehr, wie herauskommen und war müde, ver-
braucht, vernutzt" (NL 1887, 9 [42], KSA 12, 354). Mit Verve thematisiert er die
Konstellation zwei Jahre früher in einem Nachlass-Notat von 1885. Aufgrund
seiner inzwischen gewonnenen Distanz zum „Sommer 1876" und zu dem für
ihn selbst desillusionierenden Gesellschaftsereignis der Festspiele erklärt N.
sogar mit aggressiver Vehemenz, er sei „wüthend vor Ekel" gewesen - „denn
ich schien mir unter lauter Cagliostros und unächte Menschen gerathen zu
sein, und zürnte und tobte darüber, dort geliebt zu haben, wo ich hätte verach-
ten sollen" (NL 1885, 41 [9], KSA 11, 683).
N.s kritischen Blick auf die Wagnerianer, von denen er sich keinesfalls für
publizistische Zwecke einspannen lassen wollte, dokumentiert bereits andert-
halb Jahrzehnte zuvor ein Brief, den er am 22./28. Februar 1869 an Erwin Rohde
richtete: Hier konstatiert er, „daß meine Herren Brüder in Wagnero meistens
doch gar zu dumm sind und ekelhaft schreiben. Das macht, sie sind im Grunde
mit jenem Genius schlechterdings nicht verwandt" (KSB 2, Nr. 625, S. 378). Ge-
wandelt hat sich die Perspektive N.s allerdings fast zwei Jahrzehnte später in
einem Nachlass-Notat von 1888. Hatte er früher den ,Genius' Wagner und die
Inferiorität seiner Anhänger entschieden kontrastiert, so konstruiert er nun ei-
nen infektiösen Wirkungszusammenhang, indem er erklärt: „Wagner's Stil hat
auch seine Jünger angesteckt: das Deutsch der Wagnerianer ist der verblümtes-
te Unsinn, der seit dem Schellingschen geschrieben worden ist. Wagner selbst
gehört als Stilist noch in jene Bewegung, gegen die Schopenhauer seinen Zorn
ausgelassen hat: - und der Humor kommt auf die Spitze, wenn er sich als
,Retter der deutschen Sprache' gegen die Juden aufspielt" (NL 1888, 16 [67],
KSA 13, 507).
Vom Vorbehalt gegen Wagners „Deutschthümelei" (NL 1885-1886, 2 [34],
KSA 12, 81) unterscheidet sich allerdings die Perspektive, die N. in Jenseits von
Gut und Böse entfaltet: Hier erklärt er, „dass die französische Spät-
Romantik der Vierziger Jahre und Richard Wagner auf das Engste und In-