Überblickskommentar, Kapitel IV.3: Ambivalentes Verhältnis zu Wagner 317
dazu Montinari 1982, 51; Borchmeyer 2008, 97-98). Am 10. Oktober 1877
schrieb N. in einem Brief an Cosima Wagner sogar emphatisch: „Die herrliche
Verheißung des Parcival mag uns in allen Dingen trösten, wo wir Trost bedür-
fen" (KSB 5, Nr. 669, S. 288). Nur knapp drei Monate später äußerte sich N. in
einem Brief allerdings kritisch über Wagners Parsifal-Text: „Alles zu christlich
zeitlich beschränkt; lauter phantastische Psychologie; kein Fleisch und viel zu
viel Blut (namentlich beim Abendmahl geht es mir zu vollblütig her)" (KSB 5,
Nr. 678, S. 300). - Vgl. dazu die kritische Bewertung dieser Ansicht bei Knoepf-
fler (2008, 411), der in Wagners Parsifal „entscheidend Christliches" geradezu
„pervertiert" sieht und N.s Deutung insofern als einen Irrtum betrachtet.
Montinari betont generell das „Antinationalistische, Antigermanische, Antiro-
mantische, Antiantisemitische, Antiobskurantistische, Antimetaphysische, An-
tiirrationalistische, Antimythische (d. i. Antijesuitische) von Nietzsches anti-
wagnerischem Kampf" (Montinari 1982, 53).
N.s ambivalente Einstellung zu Wagner, insbesondere zu dessen Spätwerk
Parsifal, geht in sehr aufschlussreicher Weise aus einem Brief hervor, den er
am 25. Juli 1882 an Heinrich Köselitz schrieb. Denn dort bringt N. sogar ein
eigenes musikalisches Jugendwerk, ein Oratorium, in symptomatische Affinität
zu Wagners Oper Parsifal:
„Sonntags war ich in Naumburg, um meine Schwester ein wenig noch auf den Parsifal
vorzubereiten. Da gieng es mir seltsam genug! Schließlich sagte ich: ,meine liebe Schwes-
ter, ganz diese Art Musik habe ich als Knabe gemacht, damals <als> ich mein Oratori-
um machte' - und nun habe ich die alten Papiere hervorgeholt und, nach langer Zwi-
schenzeit, wieder abgespielt: die Identität von Stimmung und Ausdruck war
märchenhaft! Ja, einige Stellen z. B. ,der Tod der Könige' schienen uns Beiden ergreifen-
der als alles, was wir uns aus dem P<arsifal> vorgeführt hatten, aber doch ganz parsifa-
lesk! Ich gestehe: mit einem wahren Schrecken bin ich mir wieder bewußt geworden, wie
nahe ich eigentlich mit W<agner> verwandt bin. — Später will ich Ihnen dieses curiose
Faktum nicht vorenthalten, und Sie sollen die letzte Instanz darüber sein — die Sache
ist so seltsam, daß ich mir nicht recht traue. — Sie verstehen mich wohl, lieber Freund,
daß ich damit den Parsifal nicht gelobt haben will!! - Welche plötzliche decadence!
Und welcher Cagliostricismus!" (KSB 6, Nr. 272, S. 231).
N.s Ambivalenzen im Hinblick auf Wagners Parsifal-Oper reichen bis in seine
Spätzeit. In seiner Schrift Zur Genealogie der Moral spekuliert N. über mögliche
parodistische Absichten, indem er sich fragt, was Wagner „eigentlich jene
männliche (ach, so unmännliche) ,Einfalt vom Lande' angieng, jener arme Teu-
fel und Naturbursch Parsifal, der von ihm mit so verfänglichen Mitteln schliess-
lich katholisch gemacht wird - wie? war dieser Parsifal überhaupt ernst ge-
meint?" (KSA 5, 341, 24-28). Anschließend erwägt N. die folgende Deutung:
„Man könnte nämlich versucht sein, das Umgekehrte zu muthmaassen, selbst
zu wünschen, - dass der Wagner'sche Parsifal heiter gemeint sei, gleichsam
dazu Montinari 1982, 51; Borchmeyer 2008, 97-98). Am 10. Oktober 1877
schrieb N. in einem Brief an Cosima Wagner sogar emphatisch: „Die herrliche
Verheißung des Parcival mag uns in allen Dingen trösten, wo wir Trost bedür-
fen" (KSB 5, Nr. 669, S. 288). Nur knapp drei Monate später äußerte sich N. in
einem Brief allerdings kritisch über Wagners Parsifal-Text: „Alles zu christlich
zeitlich beschränkt; lauter phantastische Psychologie; kein Fleisch und viel zu
viel Blut (namentlich beim Abendmahl geht es mir zu vollblütig her)" (KSB 5,
Nr. 678, S. 300). - Vgl. dazu die kritische Bewertung dieser Ansicht bei Knoepf-
fler (2008, 411), der in Wagners Parsifal „entscheidend Christliches" geradezu
„pervertiert" sieht und N.s Deutung insofern als einen Irrtum betrachtet.
Montinari betont generell das „Antinationalistische, Antigermanische, Antiro-
mantische, Antiantisemitische, Antiobskurantistische, Antimetaphysische, An-
tiirrationalistische, Antimythische (d. i. Antijesuitische) von Nietzsches anti-
wagnerischem Kampf" (Montinari 1982, 53).
N.s ambivalente Einstellung zu Wagner, insbesondere zu dessen Spätwerk
Parsifal, geht in sehr aufschlussreicher Weise aus einem Brief hervor, den er
am 25. Juli 1882 an Heinrich Köselitz schrieb. Denn dort bringt N. sogar ein
eigenes musikalisches Jugendwerk, ein Oratorium, in symptomatische Affinität
zu Wagners Oper Parsifal:
„Sonntags war ich in Naumburg, um meine Schwester ein wenig noch auf den Parsifal
vorzubereiten. Da gieng es mir seltsam genug! Schließlich sagte ich: ,meine liebe Schwes-
ter, ganz diese Art Musik habe ich als Knabe gemacht, damals <als> ich mein Oratori-
um machte' - und nun habe ich die alten Papiere hervorgeholt und, nach langer Zwi-
schenzeit, wieder abgespielt: die Identität von Stimmung und Ausdruck war
märchenhaft! Ja, einige Stellen z. B. ,der Tod der Könige' schienen uns Beiden ergreifen-
der als alles, was wir uns aus dem P<arsifal> vorgeführt hatten, aber doch ganz parsifa-
lesk! Ich gestehe: mit einem wahren Schrecken bin ich mir wieder bewußt geworden, wie
nahe ich eigentlich mit W<agner> verwandt bin. — Später will ich Ihnen dieses curiose
Faktum nicht vorenthalten, und Sie sollen die letzte Instanz darüber sein — die Sache
ist so seltsam, daß ich mir nicht recht traue. — Sie verstehen mich wohl, lieber Freund,
daß ich damit den Parsifal nicht gelobt haben will!! - Welche plötzliche decadence!
Und welcher Cagliostricismus!" (KSB 6, Nr. 272, S. 231).
N.s Ambivalenzen im Hinblick auf Wagners Parsifal-Oper reichen bis in seine
Spätzeit. In seiner Schrift Zur Genealogie der Moral spekuliert N. über mögliche
parodistische Absichten, indem er sich fragt, was Wagner „eigentlich jene
männliche (ach, so unmännliche) ,Einfalt vom Lande' angieng, jener arme Teu-
fel und Naturbursch Parsifal, der von ihm mit so verfänglichen Mitteln schliess-
lich katholisch gemacht wird - wie? war dieser Parsifal überhaupt ernst ge-
meint?" (KSA 5, 341, 24-28). Anschließend erwägt N. die folgende Deutung:
„Man könnte nämlich versucht sein, das Umgekehrte zu muthmaassen, selbst
zu wünschen, - dass der Wagner'sche Parsifal heiter gemeint sei, gleichsam