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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0349
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322 Richard Wagner in Bayreuth

sehen Konzepten bis zur Sphäre der ,Weihe', ja ,Heiligkeit' und umgibt sie
sogar mit der Aura antiker Mysterienkulte. Vgl. 463, 31 - 464, 1 (und den Kom-
mentar dazu).
Schon in der Vorrede zu Menschliches, Allzumenschliches distanziert sich
N. explizit von seinen beiden großen Vorbildern Schopenhauer und Wagner,
indem er hypothetisch eine Leserperspektive imaginiert: „Vielleicht, dass man
mir [...] mancherlei ,Kunst', mancherlei feinere Falschmünzerei vorrücken
könnte: zum Beispiel, dass ich wissentlich-willentlich die Augen vor Schopen-
hauer's blindem Willen zur Moral zugemacht hätte, zu einer Zeit, wo ich über
Moral schon hellsichtig genug war; insgleichen dass ich mich über Richard
Wagner's unheilbare Romantik betrogen hätte, wie als ob sie ein Anfang und
nicht ein Ende sei" (KSA 2, 14, 16-23). In Ecce homo vollzieht N. später eine
nachträgliche Umdeutung von UB IV WB im Sinne einer psychologisch grun-
dierten Selbstreflexion, von der er nun sogar behauptet, dass in ihr bereits das
Zarathustra-Konzept präfiguriert sei (vgl. KSA 6, 313, 28 - 315, 8). Vgl. dazu
detaillierter Kapitel IV.6.
Auf Richard Wagner beziehen sich implizit oder sogar explizit die Texte
109, 220, 221 in Menschliches, Allzumenschliches I und der Text 171 in Menschli-
ches, Allzumenschliches II. Im Vierten Hauptstück: „Aus der Seele der Künstler
und Schriftsteller" findet sich der Text 220 „Das Jenseits in der Kunst":
„Nicht ohne tiefen Schmerz gesteht man sich ein, dass die Künstler aller Zeiten
in ihrem höchsten Aufschwünge gerade jene Vorstellungen zu einer himmli-
schen Verklärung hinaufgetragen haben, welche wir jetzt als falsch erkennen:
sie sind die Verherrlicher der religiösen und philosophischen Irrthümer der
Menschheit [...]" (KSA 2, 180, 9-14). Als exemplarisch für eine solche Kunst-
form, die „auch eine metaphysische Bedeutung der Kunstobjecte voraussetzt",
erwähnt N. im publizierten Text „die divina commedia, die Bilder Rafael's, die
Fresken Michelangelo's, die gothischen Münster" (KSA 2, 180, 20-23). Aber in
der Reinschrift, d. h. in der Vorlage des Druckmanuskripts, nennt N. bezeich-
nenderweise die „Kunst Wagners" anstelle der „gothischen Münster" als Bei-
spiel für eine metaphysische Dimension der Kunst (KSA 14, 137).
Im folgenden Text 221 beleuchtet N. problematische Folgen, die sich erge-
ben, wenn traditionelle Regeln in Literatur und Musik suspendiert werden:
Ihm erscheint der „strenge Zwang" als eine „wichtige Schule" (KSA 2, 180, 27 -
181, 1) und als conditio sine qua non für „die höchste Geschmeidigkeit der
Bewegung"; in der „Geschichte der Musik" sehe man, „wie Schritt vor Schritt
die Fesseln lockerer werden, bis sie endlich [, durch Wagner,] ganz abgeworfen
scheinen können" (KSA 2, 181, 9-13). Die Spezifikation „durch Wagner" stand
noch im Druckmanuskript (KSA 14, 137), wurde von N. dann aber getilgt.
Kritisch bewertet N. eine Kunst, die „sich daran gewöhnt, alle Fesseln, alle
 
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