322 Richard Wagner in Bayreuth
sehen Konzepten bis zur Sphäre der ,Weihe', ja ,Heiligkeit' und umgibt sie
sogar mit der Aura antiker Mysterienkulte. Vgl. 463, 31 - 464, 1 (und den Kom-
mentar dazu).
Schon in der Vorrede zu Menschliches, Allzumenschliches distanziert sich
N. explizit von seinen beiden großen Vorbildern Schopenhauer und Wagner,
indem er hypothetisch eine Leserperspektive imaginiert: „Vielleicht, dass man
mir [...] mancherlei ,Kunst', mancherlei feinere Falschmünzerei vorrücken
könnte: zum Beispiel, dass ich wissentlich-willentlich die Augen vor Schopen-
hauer's blindem Willen zur Moral zugemacht hätte, zu einer Zeit, wo ich über
Moral schon hellsichtig genug war; insgleichen dass ich mich über Richard
Wagner's unheilbare Romantik betrogen hätte, wie als ob sie ein Anfang und
nicht ein Ende sei" (KSA 2, 14, 16-23). In Ecce homo vollzieht N. später eine
nachträgliche Umdeutung von UB IV WB im Sinne einer psychologisch grun-
dierten Selbstreflexion, von der er nun sogar behauptet, dass in ihr bereits das
Zarathustra-Konzept präfiguriert sei (vgl. KSA 6, 313, 28 - 315, 8). Vgl. dazu
detaillierter Kapitel IV.6.
Auf Richard Wagner beziehen sich implizit oder sogar explizit die Texte
109, 220, 221 in Menschliches, Allzumenschliches I und der Text 171 in Menschli-
ches, Allzumenschliches II. Im Vierten Hauptstück: „Aus der Seele der Künstler
und Schriftsteller" findet sich der Text 220 „Das Jenseits in der Kunst":
„Nicht ohne tiefen Schmerz gesteht man sich ein, dass die Künstler aller Zeiten
in ihrem höchsten Aufschwünge gerade jene Vorstellungen zu einer himmli-
schen Verklärung hinaufgetragen haben, welche wir jetzt als falsch erkennen:
sie sind die Verherrlicher der religiösen und philosophischen Irrthümer der
Menschheit [...]" (KSA 2, 180, 9-14). Als exemplarisch für eine solche Kunst-
form, die „auch eine metaphysische Bedeutung der Kunstobjecte voraussetzt",
erwähnt N. im publizierten Text „die divina commedia, die Bilder Rafael's, die
Fresken Michelangelo's, die gothischen Münster" (KSA 2, 180, 20-23). Aber in
der Reinschrift, d. h. in der Vorlage des Druckmanuskripts, nennt N. bezeich-
nenderweise die „Kunst Wagners" anstelle der „gothischen Münster" als Bei-
spiel für eine metaphysische Dimension der Kunst (KSA 14, 137).
Im folgenden Text 221 beleuchtet N. problematische Folgen, die sich erge-
ben, wenn traditionelle Regeln in Literatur und Musik suspendiert werden:
Ihm erscheint der „strenge Zwang" als eine „wichtige Schule" (KSA 2, 180, 27 -
181, 1) und als conditio sine qua non für „die höchste Geschmeidigkeit der
Bewegung"; in der „Geschichte der Musik" sehe man, „wie Schritt vor Schritt
die Fesseln lockerer werden, bis sie endlich [, durch Wagner,] ganz abgeworfen
scheinen können" (KSA 2, 181, 9-13). Die Spezifikation „durch Wagner" stand
noch im Druckmanuskript (KSA 14, 137), wurde von N. dann aber getilgt.
Kritisch bewertet N. eine Kunst, die „sich daran gewöhnt, alle Fesseln, alle
sehen Konzepten bis zur Sphäre der ,Weihe', ja ,Heiligkeit' und umgibt sie
sogar mit der Aura antiker Mysterienkulte. Vgl. 463, 31 - 464, 1 (und den Kom-
mentar dazu).
Schon in der Vorrede zu Menschliches, Allzumenschliches distanziert sich
N. explizit von seinen beiden großen Vorbildern Schopenhauer und Wagner,
indem er hypothetisch eine Leserperspektive imaginiert: „Vielleicht, dass man
mir [...] mancherlei ,Kunst', mancherlei feinere Falschmünzerei vorrücken
könnte: zum Beispiel, dass ich wissentlich-willentlich die Augen vor Schopen-
hauer's blindem Willen zur Moral zugemacht hätte, zu einer Zeit, wo ich über
Moral schon hellsichtig genug war; insgleichen dass ich mich über Richard
Wagner's unheilbare Romantik betrogen hätte, wie als ob sie ein Anfang und
nicht ein Ende sei" (KSA 2, 14, 16-23). In Ecce homo vollzieht N. später eine
nachträgliche Umdeutung von UB IV WB im Sinne einer psychologisch grun-
dierten Selbstreflexion, von der er nun sogar behauptet, dass in ihr bereits das
Zarathustra-Konzept präfiguriert sei (vgl. KSA 6, 313, 28 - 315, 8). Vgl. dazu
detaillierter Kapitel IV.6.
Auf Richard Wagner beziehen sich implizit oder sogar explizit die Texte
109, 220, 221 in Menschliches, Allzumenschliches I und der Text 171 in Menschli-
ches, Allzumenschliches II. Im Vierten Hauptstück: „Aus der Seele der Künstler
und Schriftsteller" findet sich der Text 220 „Das Jenseits in der Kunst":
„Nicht ohne tiefen Schmerz gesteht man sich ein, dass die Künstler aller Zeiten
in ihrem höchsten Aufschwünge gerade jene Vorstellungen zu einer himmli-
schen Verklärung hinaufgetragen haben, welche wir jetzt als falsch erkennen:
sie sind die Verherrlicher der religiösen und philosophischen Irrthümer der
Menschheit [...]" (KSA 2, 180, 9-14). Als exemplarisch für eine solche Kunst-
form, die „auch eine metaphysische Bedeutung der Kunstobjecte voraussetzt",
erwähnt N. im publizierten Text „die divina commedia, die Bilder Rafael's, die
Fresken Michelangelo's, die gothischen Münster" (KSA 2, 180, 20-23). Aber in
der Reinschrift, d. h. in der Vorlage des Druckmanuskripts, nennt N. bezeich-
nenderweise die „Kunst Wagners" anstelle der „gothischen Münster" als Bei-
spiel für eine metaphysische Dimension der Kunst (KSA 14, 137).
Im folgenden Text 221 beleuchtet N. problematische Folgen, die sich erge-
ben, wenn traditionelle Regeln in Literatur und Musik suspendiert werden:
Ihm erscheint der „strenge Zwang" als eine „wichtige Schule" (KSA 2, 180, 27 -
181, 1) und als conditio sine qua non für „die höchste Geschmeidigkeit der
Bewegung"; in der „Geschichte der Musik" sehe man, „wie Schritt vor Schritt
die Fesseln lockerer werden, bis sie endlich [, durch Wagner,] ganz abgeworfen
scheinen können" (KSA 2, 181, 9-13). Die Spezifikation „durch Wagner" stand
noch im Druckmanuskript (KSA 14, 137), wurde von N. dann aber getilgt.
Kritisch bewertet N. eine Kunst, die „sich daran gewöhnt, alle Fesseln, alle