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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0354
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Überblickskommentar, Kapitel IV.3: Ambivalentes Verhältnis zu Wagner 327

In Cosima Wagners Tagebüchern finden sich auch nach dem Ende der
Freundschaft bis kurz vor dem Tod Richard Wagners zahlreiche Einträge über
N., die oft kritische oder abfällige Bemerkungen ihres Mannes wiedergeben,
mitunter aber auch deutliche Ambivalenzen erkennen lassen, gelegentlich so-
gar wehmütig-nostalgische Stimmungen und Mitgefühl offenbaren: Von „Un-
heimlichkeit der Bedrängnis" zeugt ein Traum Wagners, den seine Frau am
5. September 1878 notiert: „es seien immer mehr Leute in sein Haus gedrungen
[...], zuletzt Nietzsche, welcher ihm lauter schmähliche Malicen gesagt und ihn
auf die Melodie des Pilgerchors aus ,Tannhäuser' verhöhnt habe; d. h. ein
Hohngedicht auf ihn gesungen; er habe ihm gesagt: Sie behandeln mich wohl
so, weil ich unbewaffnet bin?" (Cosima Wagner: Tagebücher, Bd. II, 1977, 169).
Den schlechthin elementaren Impuls für die Persönlichkeitsentwicklung
des einstigen Freundes sprechen sich Richard und Cosima Wagner selbst zu,
wenn sie „über Nietzsche" zwei Tage später mit biologischer Metaphorik sa-
gen, „daß wir aus dieser Knolle eine Blume getrieben hätten, nur bliebe die
Knolle eigentlich ein garstiges Ding" (ebd., 170-171). Am 22. März 1879 erklärt
Wagner verärgert: „N. hat unzeitgemäße Betrachtungen geschrieben, also da-
mit bekannt, daß das, was er bewundert, nicht in unsere Zeit paßt und darüber
hinausgeht, und nun entnimmt er aus dem Umstand, daß mein Unternehmen
nicht zeitgemäß sei, die Kritik desselben! Kann man sich etwas Schlechteres
denken!" (ebd., 320). Am 9. September 1879 regt sich Wagner mit Bezug auf N.
heftig „über die Perversität einer solchen Natur" auf (ebd., 406), während Cosi-
ma am 1. Oktober jedoch „mit Tränen gewahren" muss, „was an ihm uns verlo-
renging" (ebd., 419). Am 26. Oktober 1879 folgt aufgrund eines Briefes von
Overbeck großes Bedauern „über unseres armen Freund Nietzsche's trostlosen
Zustand - und da nichts tun dürfen, nicht nur nicht können" (ebd., 431). Beide
rezipieren am 20. November dann mit „Bewunderung" den „Mahnruf an die
Deutschen von Nietzsche" (ebd., 447); am 27. Dezember wird abends „einiges
aus dem neuen Buche des armen Nietzsche vorgelesen" (ebd., 467). Allerdings
gedenkt Wagner am 14. August 1881 „der kindischen und boshaften Bemerkun-
gen Nietzsche's" über die Sixtina (ebd., 780), um fünf Tage später in einem
negativen Pauschalurteil apodiktisch „die Schlechtigkeit Nietzsche's" zu beto-
nen (ebd., 783, analog: ebd., 1041), durch „dessen seltsames Wesen" er sich
am 24. Juni 1882 zu der abfälligen Behauptung veranlasst sieht, „daß er eigent-
lich keine Intelligenz hatte, aber zu magnetisieren war" (ebd., 968).
Von selbstkritischer Nostalgie Wagners hingegen zeugt die Tagebuch-Notiz
seiner Frau am 17. Januar 1883: „Dann geht er die treulosen Freundschaften
durch: Nietzsche, Gersdorff, meint, es sei förmlich eine Schande für uns, daß
wir sie nicht besser zu fesseln wußten" (Cosima Wagner: Tagebücher, Bd. II,
1977, 1094). Allerdings notiert sie in ihren Tagebüchern auch noch in der letz-
 
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