Überblickskommentar, Kapitel IV.4: Werkkontext 331
W<agner>, Sie wissen es, ist die sympathischste Frau, der ich im Leben begeg-
net bin. - Aber zu allem Verkehren und gar zu einem Wiederanknüpfen bin
ich ganz untauglich. Es ist zu spät" (KSB 6, Nr. 2, S. 5-6).
Dass die Freundschaft mit Wagner - trotz des Bruchs mit ihm und mehr
als fünf Jahre nach seinem Tod - dauerhaft tiefe Spuren in N. hinterlassen
hat, geht sogar noch aus seinen letzten schriftlichen Verlautbarungen hervor.
Symptomatisch dafür sind zwei kurze Briefe, die N. am 3. Januar 1889 an Cosi-
ma Wagner richtete. Offenkundig bereits im Übergang zur geistigen Umnach-
tung bezeichnet N. hier mit einem Gestus hybrider Identifikation „Alexander
und Caesar" als „meine Inkarnationen [...]. Zuletzt war ich noch Voltaire und
Napoleon, vielleicht auch Richard Wagner ..." (KSB 8, Nr. 1241, S. 573). In sei-
nem Appell an Cosima Wagner setzt sich N. sogar an die Stelle Wagners und
offenbart zugleich einen soteriologischen Anspruch (KSB 8, Nr. 1242, S. 573):
„Dies breve an die Menschheit sollst du herausgeben, von Bayreuth aus, mit
der Aufschrift: Die frohe Botschaft." - Und noch in der „paralytischen
Nacht" horchte N. auf, wenn Wagner erwähnt wurde, und sagte: „Den habe
ich sehr geliebt" (Thomas Mann, Bd. IX, 373).
Ein besonders eindrucksvolles Zeugnis seiner einzigartigen Beziehung zu
Richard Wagner bietet die nostalgische Retrospektive, die N. 1882 (also noch
vor dem Tod des Komponisten) im Text 279 der Fröhlichen Wissenschaft entfal-
tet (KSA 3, 523, 27 - 524, 19): „Sternen-Freundschaft. - Wir waren Freun-
de und sind uns fremd geworden. Aber das ist recht so und wir wollen's uns
nicht verhehlen und verdunkeln, als ob wir uns dessen zu schämen hätten.
Wir sind zwei Schiffe, deren jedes sein Ziel und seine Bahn hat [...] Aber dann
trieb uns die allmächtige Gewalt unserer Aufgabe wieder auseinander, in ver-
schiedene Meere und Sonnenstriche und vielleicht sehen wir uns nie wieder
[...]. Dass wir uns fremd werden müssen, ist das Gesetz über uns: ebendadurch
sollen wir uns auch ehrwürdiger werden! Ebendadurch soll der Gedanke an
unsere ehemalige Freundschaft heiliger werden! [...] - Und so wollen wir an
unsere Sternen-Freundschaft glauben, selbst wenn wir einander Erden-Fein-
de sein müssten."
IV.4 Die Konzeption der Schrift Richard Wagner in Bayreuth
im Werkkontext
Mit UB IV WB knüpft N. in mehrfacher Hinsicht an seine Erstlingsschrift Die
Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik an, die er schon vier Jahre zuvor
ebenfalls unter dem Eindruck Wagners verfasst hatte. Eine Anschlussstelle bil-
det das Ende der Tragödienschrift. Ohne direkt auf Bayreuth Bezug zu nehmen,
W<agner>, Sie wissen es, ist die sympathischste Frau, der ich im Leben begeg-
net bin. - Aber zu allem Verkehren und gar zu einem Wiederanknüpfen bin
ich ganz untauglich. Es ist zu spät" (KSB 6, Nr. 2, S. 5-6).
Dass die Freundschaft mit Wagner - trotz des Bruchs mit ihm und mehr
als fünf Jahre nach seinem Tod - dauerhaft tiefe Spuren in N. hinterlassen
hat, geht sogar noch aus seinen letzten schriftlichen Verlautbarungen hervor.
Symptomatisch dafür sind zwei kurze Briefe, die N. am 3. Januar 1889 an Cosi-
ma Wagner richtete. Offenkundig bereits im Übergang zur geistigen Umnach-
tung bezeichnet N. hier mit einem Gestus hybrider Identifikation „Alexander
und Caesar" als „meine Inkarnationen [...]. Zuletzt war ich noch Voltaire und
Napoleon, vielleicht auch Richard Wagner ..." (KSB 8, Nr. 1241, S. 573). In sei-
nem Appell an Cosima Wagner setzt sich N. sogar an die Stelle Wagners und
offenbart zugleich einen soteriologischen Anspruch (KSB 8, Nr. 1242, S. 573):
„Dies breve an die Menschheit sollst du herausgeben, von Bayreuth aus, mit
der Aufschrift: Die frohe Botschaft." - Und noch in der „paralytischen
Nacht" horchte N. auf, wenn Wagner erwähnt wurde, und sagte: „Den habe
ich sehr geliebt" (Thomas Mann, Bd. IX, 373).
Ein besonders eindrucksvolles Zeugnis seiner einzigartigen Beziehung zu
Richard Wagner bietet die nostalgische Retrospektive, die N. 1882 (also noch
vor dem Tod des Komponisten) im Text 279 der Fröhlichen Wissenschaft entfal-
tet (KSA 3, 523, 27 - 524, 19): „Sternen-Freundschaft. - Wir waren Freun-
de und sind uns fremd geworden. Aber das ist recht so und wir wollen's uns
nicht verhehlen und verdunkeln, als ob wir uns dessen zu schämen hätten.
Wir sind zwei Schiffe, deren jedes sein Ziel und seine Bahn hat [...] Aber dann
trieb uns die allmächtige Gewalt unserer Aufgabe wieder auseinander, in ver-
schiedene Meere und Sonnenstriche und vielleicht sehen wir uns nie wieder
[...]. Dass wir uns fremd werden müssen, ist das Gesetz über uns: ebendadurch
sollen wir uns auch ehrwürdiger werden! Ebendadurch soll der Gedanke an
unsere ehemalige Freundschaft heiliger werden! [...] - Und so wollen wir an
unsere Sternen-Freundschaft glauben, selbst wenn wir einander Erden-Fein-
de sein müssten."
IV.4 Die Konzeption der Schrift Richard Wagner in Bayreuth
im Werkkontext
Mit UB IV WB knüpft N. in mehrfacher Hinsicht an seine Erstlingsschrift Die
Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik an, die er schon vier Jahre zuvor
ebenfalls unter dem Eindruck Wagners verfasst hatte. Eine Anschlussstelle bil-
det das Ende der Tragödienschrift. Ohne direkt auf Bayreuth Bezug zu nehmen,