362 Richard Wagner in Bayreuth
Wunderwelt öffnet sich [...] Was an das Bayreuther Unternehmen heranzuzie-
hen ist, was danach zu folgen hat, das alles ist in Deiner Schrift [...] zusammen-
geschaut; was sein muss, das nothwendige Leben zu dem nothwendigen
Kunstwerke, ist leuchtend gezeichnet" (KGB II 6/1, Nr. 799, S. 364-365). - Und
Paul Ree erklärt am 22. Juli 1876 enthusiastisch: „Welchen Dienst haben Sie
uns, ja der ganzen Menschheit geleistet! Denn leider glaube ich annehmen zu
müssen, daß viele dem Bayreuther Festspiel so barbarisch gegenüberstan-
den, - wie ich; daß sie die unermeßliche Bedeutung desselben für die Cultur
eines ganzen, großen Volkes bis jetzt nur undeutlich verstanden. Aber, wer
Ihre Stimme gehört hat, müßte schon geistig taub sein, wenn sie ihm nicht bis
in das innerste Herz dringt! er muß verstehen, lieben, bewundern! [...] jede ins
Einzelne gehende Zergliederung würde die volle Empfindung schädigen, da
auch Ihr Buch nicht vor das Forum des theoretischen Menschen gehört; es will
wie Bilder, Statuen, Musik empfunden werden, um verstanden zu werden!"
(KGB II 6/1, Nr. 802, S. 367-368). Damit ordnet Paul Ree UB IV WB dem Bereich
ästhetischer Erfahrung zu - analog zur Selbsteinschätzung N.s, der neun Jahre
später behauptet, er habe UB IV WB „weniger geschrieben als gemalt": in
einem „verwegenen Alfresco" (NL 1885, 35 [48], KSA 11, 534-535).
Neben diesen euphorischen Reaktionen aus N.s persönlichem Umfeld gab
es auch moderatere oder sogar kritische Äußerungen von Rezensenten zu
UB IV WB. Eduard Hanslick, ein damals sehr bekannter und einflussreicher
Musik-Kritiker und Musik-Theoretiker (vgl. NK 433, 8-11 und NK 497, 8-12),
zählte UB IV WB im Hinblick auf die Eröffnung der Bayreuther Festspiele zu
den „mit der Peitsche vorbereitenden' Flugschriften" (Hanslick 1880, 254-255,
zitiert nach Hauke Reich 2013, 517-518). Mit spöttischem Unterton kritisiert
Hanslick das religiöse Pathos sowie die forcierte Inszenierung einer weihevol-
len Aura durch N., den er „als eine Art Ober-Priester" des „Gottes" Wagner
beschreibt (ebd.): „Der Philologe Friedrich Nietzsche, durch Talent und Bil-
dung wol der hervorragendste, in seinen Uebertreibungen zugleich der aben-
teuerlichste unter Wagner's Kämpen, betrachtet diesen gar nicht als Tondich-
ter - er scheint sich für Musik kaum zu interessiren - sondern als großen,
neben Goethe gestellten Dichter, als nationalen Helden, als Stifter einer neuen
erlösenden Religion und Philosophie, mit Einem Wort, als einen Messias, an
dem zu zweifeln Frevel ist. [...] Seine Sorge ist nur, ,ob die, welche das Festspiel
erleben, seiner würdig sein werden'. Es fehlt nur, daß die Zuhörer verhalten
würden, früher das Altarssacrament zu empfangen, um ,im Stande der Gnade'
Alberich und den Rheinnixen entgegenzutreten. Herrn Nietzsche sind wirklich
die Besucher des Wagner-Theaters ,geweihte Zuschauer [...]'. Und weiter heißt
es: ,Lernt es, selbst wieder Natur zu werden, und laßt euch dann mit und in
ihr durch meinen Liebes- und Feuerzauber verwandeln! Es ist die Stimme der
Wunderwelt öffnet sich [...] Was an das Bayreuther Unternehmen heranzuzie-
hen ist, was danach zu folgen hat, das alles ist in Deiner Schrift [...] zusammen-
geschaut; was sein muss, das nothwendige Leben zu dem nothwendigen
Kunstwerke, ist leuchtend gezeichnet" (KGB II 6/1, Nr. 799, S. 364-365). - Und
Paul Ree erklärt am 22. Juli 1876 enthusiastisch: „Welchen Dienst haben Sie
uns, ja der ganzen Menschheit geleistet! Denn leider glaube ich annehmen zu
müssen, daß viele dem Bayreuther Festspiel so barbarisch gegenüberstan-
den, - wie ich; daß sie die unermeßliche Bedeutung desselben für die Cultur
eines ganzen, großen Volkes bis jetzt nur undeutlich verstanden. Aber, wer
Ihre Stimme gehört hat, müßte schon geistig taub sein, wenn sie ihm nicht bis
in das innerste Herz dringt! er muß verstehen, lieben, bewundern! [...] jede ins
Einzelne gehende Zergliederung würde die volle Empfindung schädigen, da
auch Ihr Buch nicht vor das Forum des theoretischen Menschen gehört; es will
wie Bilder, Statuen, Musik empfunden werden, um verstanden zu werden!"
(KGB II 6/1, Nr. 802, S. 367-368). Damit ordnet Paul Ree UB IV WB dem Bereich
ästhetischer Erfahrung zu - analog zur Selbsteinschätzung N.s, der neun Jahre
später behauptet, er habe UB IV WB „weniger geschrieben als gemalt": in
einem „verwegenen Alfresco" (NL 1885, 35 [48], KSA 11, 534-535).
Neben diesen euphorischen Reaktionen aus N.s persönlichem Umfeld gab
es auch moderatere oder sogar kritische Äußerungen von Rezensenten zu
UB IV WB. Eduard Hanslick, ein damals sehr bekannter und einflussreicher
Musik-Kritiker und Musik-Theoretiker (vgl. NK 433, 8-11 und NK 497, 8-12),
zählte UB IV WB im Hinblick auf die Eröffnung der Bayreuther Festspiele zu
den „mit der Peitsche vorbereitenden' Flugschriften" (Hanslick 1880, 254-255,
zitiert nach Hauke Reich 2013, 517-518). Mit spöttischem Unterton kritisiert
Hanslick das religiöse Pathos sowie die forcierte Inszenierung einer weihevol-
len Aura durch N., den er „als eine Art Ober-Priester" des „Gottes" Wagner
beschreibt (ebd.): „Der Philologe Friedrich Nietzsche, durch Talent und Bil-
dung wol der hervorragendste, in seinen Uebertreibungen zugleich der aben-
teuerlichste unter Wagner's Kämpen, betrachtet diesen gar nicht als Tondich-
ter - er scheint sich für Musik kaum zu interessiren - sondern als großen,
neben Goethe gestellten Dichter, als nationalen Helden, als Stifter einer neuen
erlösenden Religion und Philosophie, mit Einem Wort, als einen Messias, an
dem zu zweifeln Frevel ist. [...] Seine Sorge ist nur, ,ob die, welche das Festspiel
erleben, seiner würdig sein werden'. Es fehlt nur, daß die Zuhörer verhalten
würden, früher das Altarssacrament zu empfangen, um ,im Stande der Gnade'
Alberich und den Rheinnixen entgegenzutreten. Herrn Nietzsche sind wirklich
die Besucher des Wagner-Theaters ,geweihte Zuschauer [...]'. Und weiter heißt
es: ,Lernt es, selbst wieder Natur zu werden, und laßt euch dann mit und in
ihr durch meinen Liebes- und Feuerzauber verwandeln! Es ist die Stimme der