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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0392
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Überblickskommentar, Kapitel IV.7: Rezeption 365

Jünger würdiger und ehrenvoller seinen Meistern gedankt", um dann konkret
auf N.s Richard Wagner in Bayreuth einzugehen. Konsterniert betont Lessing
den extremen Hiat zwischen N.s Wagner-Bild in seiner Frühschrift UB IV WB
und seiner Spätschrift Der Fall Wagner, indem er mit konträren Superlativen
feststellt: „Und wenn wir die letzte der unzeitgemäßen Betrachtungen lesen,
dann begreifen wir kaum, wie dieser edelsten Lobschrift, die je auf Wagner
geschrieben wurde, vierzehn Jahre später im ,Fall Wagner' die maßloseste
Schmähschrift folgen konnte [...]. Woher kommt der Gärungsstoff, der eine so
ungeheuerliche seelische Umwälzung zuwege brachte?" (ebd., 272).
Wenn der Wagner-Enthusiast Thomas Mann im Essay Leiden und Größe
Richard Wagners (1933) in dessen Konzept des ,Gesamtkunstwerks' „etwas ei-
gentümlich Dilettantisches" erblickt (Thomas Mann 1990, Bd. IX, 375), dann
beruft er sich explizit auf N.s Erwägungen zum Aspekt des Dilettantismus: zur
„gefährliche[n] Lust an geistigem Anschmecken" (436, 9-10), die Wagners Inte-
resse an Malerei, Dichtkunst, Schauspielerei, Musik zunächst so erscheinen
ließ, als sei er „zum Dilettantisiren geboren" (436, 6-7). Diese in UB IV WB
skeptisch erwogene Hypothese übernimmt Thomas Mann affirmativ, indem er
mit „Bewunderung" erklärt, „Wagners Kunst" sei „ein mit höchster Willens-
kraft und Intelligenz monumentalisierter und ins Geniehafte getriebener Dilet-
tantismus" (Bd. IX, 376), wie die „ins kühn Dilettantische eingesprengten
Sprachgenialitäten" in Wagners Ring des Nibelungen und im Lohengrin zeigen
(Bd. IX, 377). Nach Thomas Mann setzt sich „das Genie Richard Wagners [...]
aus lauter Dilettantismen zusammen. / Aber aus was für welchen!" (Bd. IX,
381): „Sein Genie ist eine dramatische Synthesis der Künste" (Bd. IX, 377). Im
Hinblick auf ein Changieren zwischen exzentrischer „Leidenschaft" und Sehn-
sucht nach „Erlösung" attestiert Thomas Mann Wagner eine „brüderlich[e]"
Geistesverwandtschaft mit Schopenhauer (Bd. IX, 398), wie sie schon N. betont
(KSB 3, Nr. 4, S. 8; Nr. 60, S. 98). Ein „heroischer Lebenslauf" (Bd. IX, 398-399;
KSA 1, 373, 15) gemäß Schopenhauers Maxime (PP II, Kap. 14, § 172a, Hü 342)
kennzeichne beide. N.s Wagner-Essays sieht Thomas Mann als Einheit. Nach
der „wagnerfrommen" UB IV WB (Bd. IX, 375) erscheint ihm N.s spätere Wag-
ner-Kritik als „Panegyrikus mit umgekehrtem Vorzeichen", als Alternativform
„der Verherrlichung" (Bd. IX, 373), in der sich N.s „Wagnerpassion" (Bd. IX,
405) prolongiere: als „Liebeshaß, Selbstkasteiung" (Bd. IX, 373).
Karl Jaspers geht im Buch Nietzsche. Einführung in das Verständnis seines
Philosophierens (1936, 3. Aufl. 1950) auf die Freundschaft und Entfremdung
von N. und Richard Wagner ein (Jaspers 1950, 65-72) und berücksichtigt dabei
auch die positiven Perspektiven N.s auf Wagner sogar noch in den 1880er Jah-
ren. Zugleich beleuchtet Jaspers den besonderen Stellenwert von UB IV WB.
Den inneren Konflikt N.s charakterisiert er als ein „qualvolles, sich selbst wi-
 
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