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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0397
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370 Richard Wagner in Bayreuth

(vgl. dazu NK 242, 9-11). Zu N.s ,unzeitgemäßer' Kulturkritik gehören auch
Reflexionen, in denen er aus der zeitübergreifenden Metaperspektive der Zu-
kunft ein Verdikt über die Gegenwart formuliert. Vgl. dazu NK 364, 7-11 (mit
analogen Schopenhauer-Belegen) sowie NK 242, 9-11, NK 346, 12-14 und
NK 407, 29-31. Im 20. Kapitel „Ueber Urtheil, Kritik, Beifall und Ruhm" der
Parerga und Paralipomena II beispielsweise konstatiert Schopenhauer: „Die
ausgezeichneten Geister dringen selten bei Lebzeiten durch; weil sie im Grun-
de doch bloß von den ihnen schon verwandten ganz und recht eigentlich ver-
standen werden" (PP II, Kap. 20, § 242, Hü 505). Während die „gewöhnlichen"
Werke „dem Geiste der Zeit, d h. den gerade herrschenden Ansichten" entspre-
chen und „auf das Bedürfniß des Augenblicks berechnet" sind, bleiben die
„außerordentlichen Werke", die „Jahrhunderte zu leben" vermögen, „der Bil-
dungsepoche und dem Geiste ihrer eigenen Zeit fremd", weil sie „einer höhern
Bildungsstufe und einer noch fern liegenden Zeit" angehören" (PP II, Kap. 20,
§ 242, Hü 504). Solche Produkte einer intellektuellen oder künstlerischen
Avantgarde entsprechen N.s Konzept von ,Unzeitgemäßheit'. Im vorliegenden
Kontext von UB IV WB sieht er die kongenialen Rezipienten an diesem Sonder-
status des Künstlers partizipieren: Indem sie „das Bayreuther Fest begehen"
erweisen auch sie sich „als unzeitgemässe Menschen".
Dass sich N.s programmatische Intention auf eine philosophische ,Unzeit-
gemäßheit' bis in seine letzte Schaffensphase prolongiert und auch dann noch
eine konstitutive Bedeutung hat, geht aus einem Passus seiner Spätschrift Der
Fall Wagner hervor. Dort nutzt N. das rhetorische Stilmittel des Dialogismus,
um sein philosophisches Selbstverständnis emphatisch deutlich zu machen:
„Was verlangt ein Philosoph am ersten und letzten von sich? Seine Zeit in sich
zu überwinden, ,zeitlos' zu werden. Womit also hat er seinen härtesten Strauss
zu bestehn? Mit dem, worin gerade er das Kind seiner Zeit ist. Wohlan! Ich bin
so gut wie Wagner das Kind dieser Zeit, will sagen ein decadent: nur dass
ich das begriff, nur dass ich mich dagegen wehrte. Der Philosoph in mir wehrte
sich dagegen" (KSA 6, 11, 14-20).
433, 5 Parodie] Im vorliegenden Kontext wendet sich N. kritisch gegen die
parodistische Distanz der ,Gebildeten' gegenüber Wagner, die er als Indiz für
einen problematischen „Geist der Entfremdung und Feindseligkeit" bewertet
(433, 9-10). Nur ein Jahr nach UB IV WB erschien ein Kompendium der Invekti-
ven gegen Wagner, nämlich Wilhelm Tapperts Buch Ein Wagner-Lexicon. Wör-
terbuch der Unhöflichkeit, enthaltend grobe, höhnende, gehässige und verläum-
derische Ausdrücke, welche gegen den Meister Richard Wagner, seine Werke und
seine Anhänger von den Feinden und Spöttern gebraucht worden sind. Zur Ge-
müths-Ergötzung in müssigen Stunden gesammelt (1877). Zu den Parodien auf
 
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