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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0400
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Stellenkommentar UB IV WB 1, KSA 1, S. 433-434 373

Zusammenhang grenzt sich N. auch von Schopenhauers musikästhetischer
Willensmetaphysik ab, indem er erklärt, der „Ursprung der Musik" könne „nie
und nimmer im ,Willen' liegen", vielmehr ruhe er „im Schooße jener Kraft",
die „unter der Form des ,Willens' eine Visionswelt aus sich erzeugt" (ebd.).
Dann verweist N. auf den „Gegensatz des Dionysischen und des Apollinischen"
(ebd.), der für sein damals entstehendes Erstlingswerk Die Geburt der Tragödie
konstitutive Bedeutung hat, um abschließend die „Einsicht" zu formulieren,
„der künstlerische Mensch" müsse „die Musik sich durch die Symbolik der
Bilder und Affekte deuten" (NL 1871, 12 [1], KSA 7, 369).
433, 14-15 etwas durchaus Neues] Das Wort „durchaus" gebraucht N. hier wie
an anderen Stellen noch in dem älteren, im 19. Jahrhundert üblichen Sinn von
„gänzlich". Die Betonung des ,Neuen', ja einer ,neuen Kunst' (433, 24; 433, 31)
entspricht dem von Wagner in den theoretischen Schriften erhobenen An-
spruch, mit seinem Werk etwas musikästhetisch Innovatives zu bieten und da-
durch zu einer Erneuerung von Kunst und Kultur überhaupt beizutragen.
433, 21-22 den langen Weg zum Ziele und das Ziel selber wusste Keiner äusser
Wagner] N. versucht in UB IV WB einen teleologisch ausgerichteten Werdegang
Wagners zu rekonstruieren, zu dessen Darstellung er außer biographischen Do-
kumenten auch Wagners Schriften heranzieht.
433, 23 Es ist die erste Weltumsegelung im Reiche der Kunst] Durch diese Meta-
phorik analogisiert N. die künstlerischen Innovationen Wagners mit den Ent-
deckungen von Kolumbus oder Vasco da Gama. Dabei überträgt N. einen Ver-
gleich, den Wagner im Hinblick auf Beethoven verwendet hatte, auf ihn selbst.
Wagner hatte in seiner Schrift Das Kunstwerk der Zukunft Beethoven mit Ko-
lumbus verglichen. Dieser Vergleich war ihm so wichtig, dass er in einer An-
merkung seiner Schrift Oper und Drama noch einmal auf ihn zurückkommt:
„Schon in meinem ,Kunstwerk der Zukunft' verglich ich Beethoven mit Colum-
bus: ich muß diesen Vergleich hier nochmals aufnehmen [...]" (GSD III, 278). Zu
N.s Strategien experimentellen Denkens vor dem Horizont wissenschaftlicher
Paradigmenwechsel vgl. NK 396, 24 sowie NK 3/1, 382-384. Vgl. auch Volker
Gerhardt 1986, 45-61.
433, 27-29 die unsicheren, übel zusammenhängenden Erinnerungen an eine
wahre Kunst, die wir Neueren von den Griechen her hatten] Mit den unsicheren,
bruchstückhaften Reminiszenzen an eine ,wahre Kunst' meint N. die Überliefe-
rungen zum Ursprung und zum Wesen der Tragödie, die er in Wagners Musik-
drama ,wiedergeboren' glaubt. Vgl. dazu bereits sein Erstlingswerk Die Geburt
der Tragödie aus dem Geiste der Musik von 1872.
434, 3-4 wir, die Jünger der wiederauferstandenen Kunst] Anspielung auf die
biblische Vorstellung von der Auferstehung Christi, die den Jüngern' als Heils-
 
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