374 Richard Wagner in Bayreuth
zeichen galt. Derartige pathetisch-religiöse Überhöhungen setzt N. strategisch
vor allem in Textpassagen ein, in denen er Wagners Schaffen als eine Art von
Kunstreligion zu exponieren versucht. In diesem Sinne erklärt N. in einem
Nachlass-Notat über Wagner, dass „die Religion der Musik um sein gan-
zes Wesen" liege (NL 1875, 11 [6], KSA 8, 192). Vgl. auch NK 434, 10-12 und
NK 463, 31 - 464, 1. Die Vorstellung einer Jüngerschaft spielt später auch in
N.s Werk Also sprach Zarathustra eine wesentliche Rolle.
434, 8 zum fünfjährigen pythagoreischen Schweigen] Wer in den Kreis des grie-
chischen Philosophen Pythagoras aufgenommen werden wollte, wurde in den
Probejahren eingehend geprüft und durfte während dieser Zeit nur schweigend
an den Verhandlungen des Pythagoreer-Bundes teilnehmen.
434, 8-10 Wer von uns hätte nicht an dem widerlichen Götzendienste der mo-
dernen Bildung Hände und Gemüth besudelt!] Seit der Geburt der Tragödie gehö-
ren Bildungsüberdruss und eine ausgeprägte Skepsis gegenüber dem Typus
des Gebildeten zu den zentralen Themen N.s, die in den Unzeitgemässen Be-
trachtungen besondere Bedeutung erhalten. Im vorliegenden Textzusammen-
hang kontrastiert er mit dem „Götzendienste der modernen Bildung" eine
durch Wagner vermittelte genuine Kunstreligion. Insofern verschiebt sich hier
die im Frühwerk N.s übliche Akzentsetzung: Denn gerade der Begriff ,Bildung',
der bei N. ansonsten positiver konnotiert ist und insofern von bloßer ,Gebildet-
heit' abgegrenzt wird, gerät hier ebenfalls in einen pejorativen Kontext. Die
Gegenüberstellung von ,Bildung' und ,Gebildetheit' übernahm N. von Richard
Wagner, der diese Opposition in seiner Schrift Über das Dirigiren von 1869
betont. Im Rahmen einer Polemik gegen den Komponisten, Pianisten und Diri-
genten Felix Mendelssohn Bartholdy kontrastiert Wagner hier die seines Erach-
tens „nichtige Gebildetheit" mit der „wahren Bildung"; anschließend attackiert
er auch den Musikkritiker Eduard Hanslick, der seiner Musik gegenüber kri-
tisch eingestellt war: Wagner weist ausdrücklich auf den „Unmuth" hin, der
den „deutschen Musiker" befalle, „wenn er heut' zu Tage gewahren muß, daß
diese nichtige Gebildetheit sich auch ein Urtheil über den Geist und die Bedeu-
tung unserer herrlichen Musik anmaaßen will" (vgl. GSD VIII, 313-315). Aus
Wagners Schrift Über das Dirigiren (GSD VIII, 387) zitiert N. in UB III SE sogar
wörtlich (KSA 1, 391, 30-33). Zur antisemitischen Motivation von Wagners Pole-
mik gegen Felix Mendelssohn Bartholdy und Eduard Hanslick vgl. ausführli-
cher NK 450, 8-13.
Schon in UB I DS kritisiert N. einen Habitus selbstzufriedener Philistrosität,
der dann entsteht, wenn die ,Gebildeten' ihre Bildung als eine Form des Besit-
zes missverstehen: In diesem Sinne wendet er sich entschieden gegen den „Bil-
dungsphilister" (KSA 1, 165, 6 - 168, 17 und KSA 1, 352, 27) sowie gegen eine
zeichen galt. Derartige pathetisch-religiöse Überhöhungen setzt N. strategisch
vor allem in Textpassagen ein, in denen er Wagners Schaffen als eine Art von
Kunstreligion zu exponieren versucht. In diesem Sinne erklärt N. in einem
Nachlass-Notat über Wagner, dass „die Religion der Musik um sein gan-
zes Wesen" liege (NL 1875, 11 [6], KSA 8, 192). Vgl. auch NK 434, 10-12 und
NK 463, 31 - 464, 1. Die Vorstellung einer Jüngerschaft spielt später auch in
N.s Werk Also sprach Zarathustra eine wesentliche Rolle.
434, 8 zum fünfjährigen pythagoreischen Schweigen] Wer in den Kreis des grie-
chischen Philosophen Pythagoras aufgenommen werden wollte, wurde in den
Probejahren eingehend geprüft und durfte während dieser Zeit nur schweigend
an den Verhandlungen des Pythagoreer-Bundes teilnehmen.
434, 8-10 Wer von uns hätte nicht an dem widerlichen Götzendienste der mo-
dernen Bildung Hände und Gemüth besudelt!] Seit der Geburt der Tragödie gehö-
ren Bildungsüberdruss und eine ausgeprägte Skepsis gegenüber dem Typus
des Gebildeten zu den zentralen Themen N.s, die in den Unzeitgemässen Be-
trachtungen besondere Bedeutung erhalten. Im vorliegenden Textzusammen-
hang kontrastiert er mit dem „Götzendienste der modernen Bildung" eine
durch Wagner vermittelte genuine Kunstreligion. Insofern verschiebt sich hier
die im Frühwerk N.s übliche Akzentsetzung: Denn gerade der Begriff ,Bildung',
der bei N. ansonsten positiver konnotiert ist und insofern von bloßer ,Gebildet-
heit' abgegrenzt wird, gerät hier ebenfalls in einen pejorativen Kontext. Die
Gegenüberstellung von ,Bildung' und ,Gebildetheit' übernahm N. von Richard
Wagner, der diese Opposition in seiner Schrift Über das Dirigiren von 1869
betont. Im Rahmen einer Polemik gegen den Komponisten, Pianisten und Diri-
genten Felix Mendelssohn Bartholdy kontrastiert Wagner hier die seines Erach-
tens „nichtige Gebildetheit" mit der „wahren Bildung"; anschließend attackiert
er auch den Musikkritiker Eduard Hanslick, der seiner Musik gegenüber kri-
tisch eingestellt war: Wagner weist ausdrücklich auf den „Unmuth" hin, der
den „deutschen Musiker" befalle, „wenn er heut' zu Tage gewahren muß, daß
diese nichtige Gebildetheit sich auch ein Urtheil über den Geist und die Bedeu-
tung unserer herrlichen Musik anmaaßen will" (vgl. GSD VIII, 313-315). Aus
Wagners Schrift Über das Dirigiren (GSD VIII, 387) zitiert N. in UB III SE sogar
wörtlich (KSA 1, 391, 30-33). Zur antisemitischen Motivation von Wagners Pole-
mik gegen Felix Mendelssohn Bartholdy und Eduard Hanslick vgl. ausführli-
cher NK 450, 8-13.
Schon in UB I DS kritisiert N. einen Habitus selbstzufriedener Philistrosität,
der dann entsteht, wenn die ,Gebildeten' ihre Bildung als eine Form des Besit-
zes missverstehen: In diesem Sinne wendet er sich entschieden gegen den „Bil-
dungsphilister" (KSA 1, 165, 6 - 168, 17 und KSA 1, 352, 27) sowie gegen eine