Stellenkommentar UB IV WB 3, KSA 1, S. 441 401
„Wenn nun als die Tendenz und letzte Absicht des Trauerspiels sich uns
ergeben hat ein Hinwenden zur Resignation, zur Verneinung des Willens zum
Leben; so werden wir in seinem Gegensatz, dem Lustspiel, die Aufforderung
zur fortgesetzten Bejahung dieses Willens leicht erkennen" (WWV II, Kap. 37,
Hü 500).
Am Ende dieser Textpassage relativiert Schopenhauer dann allerdings die
Opposition zwischen Trauerspiel und Lustspiel, indem er zu letzterem das Fazit
formuliert: „Es besagt also, im Resultat, daß das Leben im Ganzen recht gut
und besonders durchweg kurzweilig sei. Freilich aber muß es sich beeilen, im
Zeitpunkt der Freude den Vorhang fallen zu lassen, damit wir nicht sehn, was
nachkommt; während das Trauerspiel, in der Regel, so schließt, daß nichts
nachkommen kann. Und überdies, wenn wir jene burleske Seite des Lebens
ein Mal etwas ernst ins Auge fassen, wie sie sich zeigt in den naiven Aeußerun-
gen und Geberden, welche die kleinliche Verlegenheit, die persönliche Furcht,
der augenblickliche Zorn, der heimliche Neid und die vielen ähnlichen Affekte
den [...] Gestalten der sich hier spiegelnden Wirklichkeit aufdrücken; - so kann
auch von dieser Seite, also auf eine unerwartete Art, dem nachdenklichen
Betrachter die Ueberzeugung werden, daß das Daseyn und Treiben solcher
Wesen nicht selbst Zweck seyn kann, daß sie, im Gegentheil, nur auf einem
Irrwege zum Daseyn gelangen konnten, und daß was sich so darstellt etwas
ist, das eigentlich besser nicht wäre" (WWV II, Kap. 37, Hü 500-501).
Letztlich konvergieren also die nur scheinbar widersprüchlichen Perspekti-
ven auf die Welt, die durch Tragödie und Komödie vermittelt werden: Was sich
für den kritischen Beobachter einer Lustspiel-Inszenierung, der die Oberfläche
bloßen Scheins zu durchdringen vermag, als nachträgliche Erkenntnis eher in-
direkt ergibt, präsentiert das Trauerspiel bereits durch das Bühnengeschehen
selbst - direkt und mit maximaler Anschaulichkeit. Insofern entsprechen letzt-
lich beide Dramentypen Schopenhauers Grundüberzeugung von der Negativi-
tät der Existenz. Zum besonderen Status des Trauerspiels im Rahmen von
Schopenhauers Ästhetik sowie zur systematischen Problematik im Spannungs-
feld von Kunst und Erhabenem vgl. Neymeyr 1996a, 387-424.
441, 25-29 Wie das Gefühl hiervon, das Eingeständniss einer grotesken Würde-
losigkeit ganzer Lebensstrecken auf den Künstler wirken musste, der mehr als
irgend ein anderer im Erhabenen und im Ueber-Erhabenen allein frei athmen
kann] Bereits seit dem 18. Jahrhundert gilt das ,Erhabene' als eine zentrale
Kategorie im Bereich der Ästhetik, in Deutschland vor allem durch Kants Kritik
der Urteilskraft und durch Schillers Schriften Vom Erhabenen und Über das
Erhabene, die von Kants Ästhetik nachhaltig geprägt sind. Ebenfalls unter dem
Einfluss Kants geht auch Schopenhauer in der Welt als Wille und Vorstellung
ausführlich auf das Erhabene ein. Ähnlich wie vor ihm bereits Kant und Schil-
„Wenn nun als die Tendenz und letzte Absicht des Trauerspiels sich uns
ergeben hat ein Hinwenden zur Resignation, zur Verneinung des Willens zum
Leben; so werden wir in seinem Gegensatz, dem Lustspiel, die Aufforderung
zur fortgesetzten Bejahung dieses Willens leicht erkennen" (WWV II, Kap. 37,
Hü 500).
Am Ende dieser Textpassage relativiert Schopenhauer dann allerdings die
Opposition zwischen Trauerspiel und Lustspiel, indem er zu letzterem das Fazit
formuliert: „Es besagt also, im Resultat, daß das Leben im Ganzen recht gut
und besonders durchweg kurzweilig sei. Freilich aber muß es sich beeilen, im
Zeitpunkt der Freude den Vorhang fallen zu lassen, damit wir nicht sehn, was
nachkommt; während das Trauerspiel, in der Regel, so schließt, daß nichts
nachkommen kann. Und überdies, wenn wir jene burleske Seite des Lebens
ein Mal etwas ernst ins Auge fassen, wie sie sich zeigt in den naiven Aeußerun-
gen und Geberden, welche die kleinliche Verlegenheit, die persönliche Furcht,
der augenblickliche Zorn, der heimliche Neid und die vielen ähnlichen Affekte
den [...] Gestalten der sich hier spiegelnden Wirklichkeit aufdrücken; - so kann
auch von dieser Seite, also auf eine unerwartete Art, dem nachdenklichen
Betrachter die Ueberzeugung werden, daß das Daseyn und Treiben solcher
Wesen nicht selbst Zweck seyn kann, daß sie, im Gegentheil, nur auf einem
Irrwege zum Daseyn gelangen konnten, und daß was sich so darstellt etwas
ist, das eigentlich besser nicht wäre" (WWV II, Kap. 37, Hü 500-501).
Letztlich konvergieren also die nur scheinbar widersprüchlichen Perspekti-
ven auf die Welt, die durch Tragödie und Komödie vermittelt werden: Was sich
für den kritischen Beobachter einer Lustspiel-Inszenierung, der die Oberfläche
bloßen Scheins zu durchdringen vermag, als nachträgliche Erkenntnis eher in-
direkt ergibt, präsentiert das Trauerspiel bereits durch das Bühnengeschehen
selbst - direkt und mit maximaler Anschaulichkeit. Insofern entsprechen letzt-
lich beide Dramentypen Schopenhauers Grundüberzeugung von der Negativi-
tät der Existenz. Zum besonderen Status des Trauerspiels im Rahmen von
Schopenhauers Ästhetik sowie zur systematischen Problematik im Spannungs-
feld von Kunst und Erhabenem vgl. Neymeyr 1996a, 387-424.
441, 25-29 Wie das Gefühl hiervon, das Eingeständniss einer grotesken Würde-
losigkeit ganzer Lebensstrecken auf den Künstler wirken musste, der mehr als
irgend ein anderer im Erhabenen und im Ueber-Erhabenen allein frei athmen
kann] Bereits seit dem 18. Jahrhundert gilt das ,Erhabene' als eine zentrale
Kategorie im Bereich der Ästhetik, in Deutschland vor allem durch Kants Kritik
der Urteilskraft und durch Schillers Schriften Vom Erhabenen und Über das
Erhabene, die von Kants Ästhetik nachhaltig geprägt sind. Ebenfalls unter dem
Einfluss Kants geht auch Schopenhauer in der Welt als Wille und Vorstellung
ausführlich auf das Erhabene ein. Ähnlich wie vor ihm bereits Kant und Schil-