402 Richard Wagner in Bayreuth
ler bestimmt Schopenhauer das Erhabene durch ein charakteristisches Span-
nungsverhältnis, durch das es sich vom Schönen unterscheidet: Angesichts ei-
nes Objekts, das den Menschen durch feindliche Übermacht bedroht oder
durch unermessliche Größe zum Nichts verkleinert, ist „ein bewußtes und ge-
waltsames Losreißen von den als ungünstig erkannten Beziehungen des selben
Objekts zum Willen" erforderlich, um eine ästhetische Kontemplation auch des
Erhabenen zu ermöglichen (WWV I, § 38, Hü 238). Vgl. dazu Neymeyr 1996a,
365-385. - N. selbst bringt das Erhabene in der Geburt der Tragödie mit Wagner
in Verbindung, auch weil dieser der ,erhabenen' Tragödie des Aischylos beson-
dere Wertschätzung entgegenbrachte. Im „Vorwort an Richard Wagner", das N.
der Geburt der Tragödie voranstellte, bezeichnet er den Komponisten im Hin-
blick auf die Kunstmetaphysik als seinen „erhabenen Vorkämpfer" (KSA 1, 24,
17). Ihm widmet er abschließend sein Erstlingswerk.
441, 29-30 das giebt dem Denkenden zu denken] N. verwendet hier die Figura
etymologica als rhetorisches Mittel, um eine Akzentuierung zu erzielen.
441, 32-33 Mitleiden, Schrecken und Verwunderung] Hier nimmt N. auf zentra-
le Aspekte der Aristotelischen Poetik Bezug: Aristoteles definiert die Tragödie
im 6. Kapitel seiner Poetik als Nachahmung einer edlen Handlung mit dem
Ziel, Jammer (eAeog) und Schauder (cpoßoc;) in den Zuschauern zu evozieren
und ihnen dadurch eine emotionale Reinigung, die Katharsis (KaOapoiq), zu
ermöglichen. Lessing greift in seiner Hamburgischen Dramaturgie auf diese wir-
kungsästhetische Konzeption des Aristoteles zurück. Er korreliert Mitleid und
Furcht als Reaktionen der Zuschauer auf die Tragödie, wenn er im 75. Stück der
Hamburgischen Dramaturgie die These vertritt: „Furcht ist das auf uns selbst
bezogene Mitleid". Diese Definition begründet Lessing damit, dass die Furcht,
das Übel einer uns ähnlichen Dramenfigur könne auch uns selbst zustoßen,
Mitleid erwecke.
441, 34 - 442, 1 bei Deutschen, dem eigentlichen Lern-Volke] Diesen Ausdruck
hat N. aus Bogumil Goltz' Buch Die Deutschen. Ethnographische Studie (1860)
übernommen. Vgl. ebd., 249: „Die Deutschen sind ihrer Natur zufolge ein Lehr-
und Lern-Volk, eine prädistinirte Kultur-Rage; sie sind nicht nur dieses,
sondern die auserwählten Kulturträger, Kultivatoren, Schulmeister und Philo-
sophen des Menschen-Geschlechts, also können sie keine Virtuosen der That,
keine politischen Schablonen-Menschen [...] sein, wie die Engländer und Fran-
zosen."
442, 3-4 eines entwurzelt und unstät scheinenden, vom friedlosen Wahne kreuz
und quer geführten Lebens] Abweichend von der heute primären Wortbedeu-
tung von ,Wahn' ist hier nicht in spezifischem Sinne ein pathologischer Zu-
ler bestimmt Schopenhauer das Erhabene durch ein charakteristisches Span-
nungsverhältnis, durch das es sich vom Schönen unterscheidet: Angesichts ei-
nes Objekts, das den Menschen durch feindliche Übermacht bedroht oder
durch unermessliche Größe zum Nichts verkleinert, ist „ein bewußtes und ge-
waltsames Losreißen von den als ungünstig erkannten Beziehungen des selben
Objekts zum Willen" erforderlich, um eine ästhetische Kontemplation auch des
Erhabenen zu ermöglichen (WWV I, § 38, Hü 238). Vgl. dazu Neymeyr 1996a,
365-385. - N. selbst bringt das Erhabene in der Geburt der Tragödie mit Wagner
in Verbindung, auch weil dieser der ,erhabenen' Tragödie des Aischylos beson-
dere Wertschätzung entgegenbrachte. Im „Vorwort an Richard Wagner", das N.
der Geburt der Tragödie voranstellte, bezeichnet er den Komponisten im Hin-
blick auf die Kunstmetaphysik als seinen „erhabenen Vorkämpfer" (KSA 1, 24,
17). Ihm widmet er abschließend sein Erstlingswerk.
441, 29-30 das giebt dem Denkenden zu denken] N. verwendet hier die Figura
etymologica als rhetorisches Mittel, um eine Akzentuierung zu erzielen.
441, 32-33 Mitleiden, Schrecken und Verwunderung] Hier nimmt N. auf zentra-
le Aspekte der Aristotelischen Poetik Bezug: Aristoteles definiert die Tragödie
im 6. Kapitel seiner Poetik als Nachahmung einer edlen Handlung mit dem
Ziel, Jammer (eAeog) und Schauder (cpoßoc;) in den Zuschauern zu evozieren
und ihnen dadurch eine emotionale Reinigung, die Katharsis (KaOapoiq), zu
ermöglichen. Lessing greift in seiner Hamburgischen Dramaturgie auf diese wir-
kungsästhetische Konzeption des Aristoteles zurück. Er korreliert Mitleid und
Furcht als Reaktionen der Zuschauer auf die Tragödie, wenn er im 75. Stück der
Hamburgischen Dramaturgie die These vertritt: „Furcht ist das auf uns selbst
bezogene Mitleid". Diese Definition begründet Lessing damit, dass die Furcht,
das Übel einer uns ähnlichen Dramenfigur könne auch uns selbst zustoßen,
Mitleid erwecke.
441, 34 - 442, 1 bei Deutschen, dem eigentlichen Lern-Volke] Diesen Ausdruck
hat N. aus Bogumil Goltz' Buch Die Deutschen. Ethnographische Studie (1860)
übernommen. Vgl. ebd., 249: „Die Deutschen sind ihrer Natur zufolge ein Lehr-
und Lern-Volk, eine prädistinirte Kultur-Rage; sie sind nicht nur dieses,
sondern die auserwählten Kulturträger, Kultivatoren, Schulmeister und Philo-
sophen des Menschen-Geschlechts, also können sie keine Virtuosen der That,
keine politischen Schablonen-Menschen [...] sein, wie die Engländer und Fran-
zosen."
442, 3-4 eines entwurzelt und unstät scheinenden, vom friedlosen Wahne kreuz
und quer geführten Lebens] Abweichend von der heute primären Wortbedeu-
tung von ,Wahn' ist hier nicht in spezifischem Sinne ein pathologischer Zu-