Stellenkommentar UB IV WB 4, KSA 1, S. 449-450 427
über die hohe Reputation ärgerte, die der berühmte Komponist und Klaviervir-
tuose Felix Mendelssohn Bartholdy auch als Dirigent genoss, erklärt er in
seiner Schrift Über das Dirigiren mit polemischer Absicht: „Wie der Banquier
das Kapital, so brachte dieser die Gebildetheit mit. Ich sage: Gebildetheit,
nicht Bildung" (ebd.). Damit spielt Wagner auf die jüdische Provenienz der an-
gesehenen bürgerlichen Familie des Komponisten an: Felix Mendelssohn Bar-
tholdys Vater Abraham Mendelssohn, ein Sohn des bekannten Philosophen
Moses Mendelssohn, war Bankier. Allerdings erzogen Abraham und Lea Men-
delssohn ihre Kinder protestantisch und konvertierten 1822 schließlich auch
zum Christentum.
Die pejorative Wertung der ,Gebildetheit' führt Wagner in seiner Schrift
Über das Dirigiren im Sinne seiner antisemitischen Ressentiments fort, indem
er betont, ihm sei „kein Fall bekannt", in dem „selbst bei der glücklichsten
Pflege dieser Gebildetheit hier der Erfolg einer wahren Bildung [...] zum Vor-
schein gekommen wäre" (ebd.). In der zitierten Textpartie leitet Wagner an-
schließend zu dem damals bedeutenden Musikkritiker und Musiktheoretiker
Eduard Hanslick über, der ebenfalls jüdischer Herkunft war. Hanslick, den Ver-
di als den ,Bismarck der Musikkritik' bezeichnet hatte, stand der Musik Wag-
ners kritisch gegenüber. Von persönlicher Aversion motiviert, betont Wagner
daher in seiner Schrift Über das Dirigiren den „Unmuth", der den „deutschen
Musiker" befalle, „wenn er heut' zu Tage gewahren muß, daß diese nichtige
Gebildetheit sich auch ein Urtheil über den Geist und die Bedeutung unserer
herrlichen Musik anmaaßen will" (vgl. GSD VIII, 313-315). Zu Eduard Hanslick,
den N. mehrfach als „Feind" ins Visier nimmt, vgl. die detaillierteren Angaben
in NK 433, 8-11 und NK 497, 8-12.
Das vom Partizip Perfekt Passiv abgeleitete Substantiv ,Gebildetheit', das
auf das statische Resultat eines abgeschlossenen Vorgangs zielt, wird von N.
in eine Opposition zum Begriff ,Bildung' gebracht, den er tendenziell durch
eine lebendige, zukunftsoffene Dynamik gekennzeichnet sieht und insofern
prozessual versteht. Genuine ,Bildung' in diesem Sinne unterscheidet sich
nach N.s Auffassung grundlegend von der bloßen ,Gebildetheit' derer, die ihr
Bildungsgut wie einen sedimentierten Besitz begreifen. So diagnostiziert N. an
den ,Gebildeten' eine Tendenz zum Habitus selbstzufriedener Philistrosität,
den er in UB I DS konkret an David Friedrich Strauß beanstandet. Für die geis-
tige Stagnation der Bildungsphilister ist es laut N. charakteristisch, dass sie
„nichts Wesentliches an dem gegenwärtigen Stande der deutschen Gebildet-
heit geändert haben" wollen (KSA 1, 205, 11-17) und von der „Singularität der
deutschen Bildungsinstitutionen, namentlich der Gymnasien und Universitä-
ten, überzeugt" sind (KSA 1, 205, 18-20). Zudem glauben sie in illusionärer
Selbstüberschätzung, durch diese Institutionen zum „gebildetste[n] und ur-
über die hohe Reputation ärgerte, die der berühmte Komponist und Klaviervir-
tuose Felix Mendelssohn Bartholdy auch als Dirigent genoss, erklärt er in
seiner Schrift Über das Dirigiren mit polemischer Absicht: „Wie der Banquier
das Kapital, so brachte dieser die Gebildetheit mit. Ich sage: Gebildetheit,
nicht Bildung" (ebd.). Damit spielt Wagner auf die jüdische Provenienz der an-
gesehenen bürgerlichen Familie des Komponisten an: Felix Mendelssohn Bar-
tholdys Vater Abraham Mendelssohn, ein Sohn des bekannten Philosophen
Moses Mendelssohn, war Bankier. Allerdings erzogen Abraham und Lea Men-
delssohn ihre Kinder protestantisch und konvertierten 1822 schließlich auch
zum Christentum.
Die pejorative Wertung der ,Gebildetheit' führt Wagner in seiner Schrift
Über das Dirigiren im Sinne seiner antisemitischen Ressentiments fort, indem
er betont, ihm sei „kein Fall bekannt", in dem „selbst bei der glücklichsten
Pflege dieser Gebildetheit hier der Erfolg einer wahren Bildung [...] zum Vor-
schein gekommen wäre" (ebd.). In der zitierten Textpartie leitet Wagner an-
schließend zu dem damals bedeutenden Musikkritiker und Musiktheoretiker
Eduard Hanslick über, der ebenfalls jüdischer Herkunft war. Hanslick, den Ver-
di als den ,Bismarck der Musikkritik' bezeichnet hatte, stand der Musik Wag-
ners kritisch gegenüber. Von persönlicher Aversion motiviert, betont Wagner
daher in seiner Schrift Über das Dirigiren den „Unmuth", der den „deutschen
Musiker" befalle, „wenn er heut' zu Tage gewahren muß, daß diese nichtige
Gebildetheit sich auch ein Urtheil über den Geist und die Bedeutung unserer
herrlichen Musik anmaaßen will" (vgl. GSD VIII, 313-315). Zu Eduard Hanslick,
den N. mehrfach als „Feind" ins Visier nimmt, vgl. die detaillierteren Angaben
in NK 433, 8-11 und NK 497, 8-12.
Das vom Partizip Perfekt Passiv abgeleitete Substantiv ,Gebildetheit', das
auf das statische Resultat eines abgeschlossenen Vorgangs zielt, wird von N.
in eine Opposition zum Begriff ,Bildung' gebracht, den er tendenziell durch
eine lebendige, zukunftsoffene Dynamik gekennzeichnet sieht und insofern
prozessual versteht. Genuine ,Bildung' in diesem Sinne unterscheidet sich
nach N.s Auffassung grundlegend von der bloßen ,Gebildetheit' derer, die ihr
Bildungsgut wie einen sedimentierten Besitz begreifen. So diagnostiziert N. an
den ,Gebildeten' eine Tendenz zum Habitus selbstzufriedener Philistrosität,
den er in UB I DS konkret an David Friedrich Strauß beanstandet. Für die geis-
tige Stagnation der Bildungsphilister ist es laut N. charakteristisch, dass sie
„nichts Wesentliches an dem gegenwärtigen Stande der deutschen Gebildet-
heit geändert haben" wollen (KSA 1, 205, 11-17) und von der „Singularität der
deutschen Bildungsinstitutionen, namentlich der Gymnasien und Universitä-
ten, überzeugt" sind (KSA 1, 205, 18-20). Zudem glauben sie in illusionärer
Selbstüberschätzung, durch diese Institutionen zum „gebildetste[n] und ur-