Stellenkommentar UB IV WB 5, KSA 1, S. 454 441
gens gerade in unseren Zeiten scheint mir in der immer konventionelleren Aus-
bildung der modernen Wortsprachen zu liegen [...] Von einer jedenfalls ganz
sinnlich subjektiv gefühlten Bedeutung der Worte aus entwickelte sich die
menschliche Sprache in einem immer abstrakteren Sinne in der Weise, daß
endlich eine nur noch konventionelle Bedeutung der Worte übrig blieb, welche
dem Gefühl allen Antheil an dem Verständnisse derselben entzog [...] Seitdem
nun die modernen europäischen Sprachen [...] mit immer ersichtlicherer Ten-
denz ihrer rein konventionellen Ausbildung folgten, entwickelte sich anderer-
seits die Musik zu einem bisher der Welt unbekannten Vermögen des Ausdru-
ckes. Es ist, als ob das durch die Kompression seitens der konventionellen
Civilisation gesteigerte rein menschliche Gefühl sich einen Ausweg zur Gel-
tendmachung seiner ihm eigenthümlichen Sprachgesetze gesucht hätte, durch
welche es, frei vom Zwange der logischen Denkgesetze, sich selbst verständlich
sich ausdrücken könnte. Die ganz ungemeine Popularität der Musik in unserer
Zeit [...] bezeugt [...], daß mit der modernen Entwickelung der Musik einem tief
innerlichen Bedürfnisse der Menschheit entsprochen worden ist" (GSD VII,
110-111).
454, 33-34 Diese Nothwendigkeit eben ist das Problem, auf welches Wagner
eine Antwort giebt.] Auf den folgenden Seiten referiert N. diese Antwort, die
Wagner in seinen theoretischen Schriften formuliert: besonders ausführlich,
aber oft auch mit einer gewissen Weitschweifigkeit in der Schrift Oper und Dra-
ma (1851), prägnanter in der Schrift „Zukunftsmusik" (1860). Deren Titel setzte
Wagner selbst in Anführungszeichen, weil der Begriff ,Zukunftsmusik' in der
musiktheoretischen und musikkritischen Literatur bereits kursierte und mitun-
ter auch ironisch verwendet wurde. Wagners Darstellung zufolge hatte der
deutsche Musik-Rezensent Bischoff den Neologismus ,Zukunftsmusik' auf der
Basis eines polemischen Missverständnisses kreiert (vgl. NK 481, 12). Vgl. in
NK 454, 17-20 auch das Zitat aus Wagners Schrift „Zukunftsmusik", in dem er
die „metaphysische Nothwendigkeit" für die Genese eines „ganz neuen Sprach-
vermögens" im Zeitalter „der immer konventionelleren Ausbildung der moder-
nen Wortsprachen" betont.
Die erste Hauptthese im Rahmen der „Antwort", die N. im vorliegenden
Kontext exponiert, zielt darauf, dass die Sprache durch Konventionalisierung
in der „Civilisation" ihre ursprüngliche Kraft und die Fähigkeit, Gefühle auszu-
drücken, verloren habe, weil sie in „Begriffen" und Abstraktionen verkümmert
sei. N. nimmt nicht nur Wagners Leitbegriffe „Civilisation" und „Convention"
auf (455, 2; 455, 27; 456, 13; 461, 24-25), sondern auch sein Plädoyer für „Ge-
fühl" (455, 7-8) und „Empfindung" (456, 4; 456, 13). Allerdings radikalisiert er
Wagners Verdikt über eine Sprache, die durch „Civilisation" und „Convention"
ihre gefühlshafte Intensität verloren habe, indem er sie sogar pathologisierend
gens gerade in unseren Zeiten scheint mir in der immer konventionelleren Aus-
bildung der modernen Wortsprachen zu liegen [...] Von einer jedenfalls ganz
sinnlich subjektiv gefühlten Bedeutung der Worte aus entwickelte sich die
menschliche Sprache in einem immer abstrakteren Sinne in der Weise, daß
endlich eine nur noch konventionelle Bedeutung der Worte übrig blieb, welche
dem Gefühl allen Antheil an dem Verständnisse derselben entzog [...] Seitdem
nun die modernen europäischen Sprachen [...] mit immer ersichtlicherer Ten-
denz ihrer rein konventionellen Ausbildung folgten, entwickelte sich anderer-
seits die Musik zu einem bisher der Welt unbekannten Vermögen des Ausdru-
ckes. Es ist, als ob das durch die Kompression seitens der konventionellen
Civilisation gesteigerte rein menschliche Gefühl sich einen Ausweg zur Gel-
tendmachung seiner ihm eigenthümlichen Sprachgesetze gesucht hätte, durch
welche es, frei vom Zwange der logischen Denkgesetze, sich selbst verständlich
sich ausdrücken könnte. Die ganz ungemeine Popularität der Musik in unserer
Zeit [...] bezeugt [...], daß mit der modernen Entwickelung der Musik einem tief
innerlichen Bedürfnisse der Menschheit entsprochen worden ist" (GSD VII,
110-111).
454, 33-34 Diese Nothwendigkeit eben ist das Problem, auf welches Wagner
eine Antwort giebt.] Auf den folgenden Seiten referiert N. diese Antwort, die
Wagner in seinen theoretischen Schriften formuliert: besonders ausführlich,
aber oft auch mit einer gewissen Weitschweifigkeit in der Schrift Oper und Dra-
ma (1851), prägnanter in der Schrift „Zukunftsmusik" (1860). Deren Titel setzte
Wagner selbst in Anführungszeichen, weil der Begriff ,Zukunftsmusik' in der
musiktheoretischen und musikkritischen Literatur bereits kursierte und mitun-
ter auch ironisch verwendet wurde. Wagners Darstellung zufolge hatte der
deutsche Musik-Rezensent Bischoff den Neologismus ,Zukunftsmusik' auf der
Basis eines polemischen Missverständnisses kreiert (vgl. NK 481, 12). Vgl. in
NK 454, 17-20 auch das Zitat aus Wagners Schrift „Zukunftsmusik", in dem er
die „metaphysische Nothwendigkeit" für die Genese eines „ganz neuen Sprach-
vermögens" im Zeitalter „der immer konventionelleren Ausbildung der moder-
nen Wortsprachen" betont.
Die erste Hauptthese im Rahmen der „Antwort", die N. im vorliegenden
Kontext exponiert, zielt darauf, dass die Sprache durch Konventionalisierung
in der „Civilisation" ihre ursprüngliche Kraft und die Fähigkeit, Gefühle auszu-
drücken, verloren habe, weil sie in „Begriffen" und Abstraktionen verkümmert
sei. N. nimmt nicht nur Wagners Leitbegriffe „Civilisation" und „Convention"
auf (455, 2; 455, 27; 456, 13; 461, 24-25), sondern auch sein Plädoyer für „Ge-
fühl" (455, 7-8) und „Empfindung" (456, 4; 456, 13). Allerdings radikalisiert er
Wagners Verdikt über eine Sprache, die durch „Civilisation" und „Convention"
ihre gefühlshafte Intensität verloren habe, indem er sie sogar pathologisierend