446 Richard Wagner in Bayreuth
liegenden Kontext von UB IV WB lassen N.s Aussagen vor allem Vorbehalte
gegenüber einem systematischen Philosophieren erkennen, das auf spezifische
Weise begrifflich formiert ist. Und in UB II HL wird N.s Abkehr vom cartesiani-
schen Prinzip „cogito, ergo sum" dadurch evident, dass er ihm seine eigene
Maxime „vivo, ergo cogito" entgegenhält (KSA 1, 329, 8-9) und den Primat des
Lebens gegenüber der Erkenntnis behauptet. Dabei ist N.s vitalistische Orien-
tierung von den Prämissen der Willensmetaphysik Schopenhauers geprägt.
Auch in späteren Werken und in nachgelassenen Notaten setzt er sich wieder-
holt mit dem erkenntnistheoretischen Grundprinzip Descartes' auseinander.
N.s Vorbehalt gegenüber einer Dominanz rationalistischer Prinzipien zielt
in besonderem Maße auf Descartes (1596-1650). In seinen Meditationes de pri-
ma philosophia (Meditationen über die Grundlagen der Philosophie) von 1641
gelangte Rene Descartes, der beim skeptischen Hinterfragen des eigenen Er-
kenntnisvermögens über die Problematik von Sinnestäuschungen und Traum-
phantasien nachdachte und angesichts solcher Erfahrungen ein ,unerschütter-
liches Fundament' (,fundamentum inconcussum') des Denkens suchte, in der
Zweiten seiner Meditationen zu der methodischen Einsicht: „Da es ja immer
noch ich bin, der zweifelt, kann ich an diesem Ich, selbst wenn es träumt oder
phantasiert, selber nicht mehr zweifeln." Descartes erklärt: „Wenn ich aber
zweifle, so kann ich selbst dann, wenn ich mich täusche, nicht daran zweifeln,
dass ich zweifle und dass ich es bin, der zweifelt, d. h. ich bin als Denkender
in jedem Fall existent. Der erste unbezweifelbare Satz heißt also: ,Ich bin, ich
existiere, das ist gewiß'." Die fundamentale Bedeutung dieser Erkenntnis, die
im lateinischen Originaltext „ego sum, ego existo, certum est" lautet, unter-
streicht Descartes, indem er ihr Gewissheitsstatus zuschreibt, und zwar durch
die „Feststellung, daß dieser Satz: ,Ich bin, ich existiere', sooft ich ihn ausspre-
che oder in Gedanken fasse, notwendig wahr ist" (Descartes: Meditationes de
prima philosophia. Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, 1977,
44-47). Das zweifelnde Ich charakterisiert Descartes als „res cogitans", also
als „denkendes" ,Ding' (vgl. ebd., 48-49).
Den berühmten Grundsatz „ego cogito, ergo sum" („Ich denke, also bin
ich"), der zumeist als „Cogito ergo sum" zitiert wird, formulierte Descartes
1644 im ersten Kapitel (Absatz 7) der Principia philosophiae (Die Prinzipien der
Philosophie): „Indem wir so alles nur irgend Zweifelhafte zurückweisen und
für falsch gelten lassen, können wir leicht annehmen, dass es keinen Gott,
keinen Himmel, keinen Körper gibt; dass wir selbst weder Hände noch Füße,
überhaupt keinen Körper haben; aber wir können nicht annehmen, dass wir,
die wir solches denken, nichts sind; denn es ist ein Widerspruch, dass das,
was denkt, in dem Zeitpunkt, wo es denkt, nicht bestehe. Deshalb ist die Er-
kenntnis: ,Ich denke, also bin ich' von allen die erste und gewisseste, welche
liegenden Kontext von UB IV WB lassen N.s Aussagen vor allem Vorbehalte
gegenüber einem systematischen Philosophieren erkennen, das auf spezifische
Weise begrifflich formiert ist. Und in UB II HL wird N.s Abkehr vom cartesiani-
schen Prinzip „cogito, ergo sum" dadurch evident, dass er ihm seine eigene
Maxime „vivo, ergo cogito" entgegenhält (KSA 1, 329, 8-9) und den Primat des
Lebens gegenüber der Erkenntnis behauptet. Dabei ist N.s vitalistische Orien-
tierung von den Prämissen der Willensmetaphysik Schopenhauers geprägt.
Auch in späteren Werken und in nachgelassenen Notaten setzt er sich wieder-
holt mit dem erkenntnistheoretischen Grundprinzip Descartes' auseinander.
N.s Vorbehalt gegenüber einer Dominanz rationalistischer Prinzipien zielt
in besonderem Maße auf Descartes (1596-1650). In seinen Meditationes de pri-
ma philosophia (Meditationen über die Grundlagen der Philosophie) von 1641
gelangte Rene Descartes, der beim skeptischen Hinterfragen des eigenen Er-
kenntnisvermögens über die Problematik von Sinnestäuschungen und Traum-
phantasien nachdachte und angesichts solcher Erfahrungen ein ,unerschütter-
liches Fundament' (,fundamentum inconcussum') des Denkens suchte, in der
Zweiten seiner Meditationen zu der methodischen Einsicht: „Da es ja immer
noch ich bin, der zweifelt, kann ich an diesem Ich, selbst wenn es träumt oder
phantasiert, selber nicht mehr zweifeln." Descartes erklärt: „Wenn ich aber
zweifle, so kann ich selbst dann, wenn ich mich täusche, nicht daran zweifeln,
dass ich zweifle und dass ich es bin, der zweifelt, d. h. ich bin als Denkender
in jedem Fall existent. Der erste unbezweifelbare Satz heißt also: ,Ich bin, ich
existiere, das ist gewiß'." Die fundamentale Bedeutung dieser Erkenntnis, die
im lateinischen Originaltext „ego sum, ego existo, certum est" lautet, unter-
streicht Descartes, indem er ihr Gewissheitsstatus zuschreibt, und zwar durch
die „Feststellung, daß dieser Satz: ,Ich bin, ich existiere', sooft ich ihn ausspre-
che oder in Gedanken fasse, notwendig wahr ist" (Descartes: Meditationes de
prima philosophia. Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, 1977,
44-47). Das zweifelnde Ich charakterisiert Descartes als „res cogitans", also
als „denkendes" ,Ding' (vgl. ebd., 48-49).
Den berühmten Grundsatz „ego cogito, ergo sum" („Ich denke, also bin
ich"), der zumeist als „Cogito ergo sum" zitiert wird, formulierte Descartes
1644 im ersten Kapitel (Absatz 7) der Principia philosophiae (Die Prinzipien der
Philosophie): „Indem wir so alles nur irgend Zweifelhafte zurückweisen und
für falsch gelten lassen, können wir leicht annehmen, dass es keinen Gott,
keinen Himmel, keinen Körper gibt; dass wir selbst weder Hände noch Füße,
überhaupt keinen Körper haben; aber wir können nicht annehmen, dass wir,
die wir solches denken, nichts sind; denn es ist ein Widerspruch, dass das,
was denkt, in dem Zeitpunkt, wo es denkt, nicht bestehe. Deshalb ist die Er-
kenntnis: ,Ich denke, also bin ich' von allen die erste und gewisseste, welche