Stellenkommentar UB IV WB 5, KSA 1, S. 458 453
doch so lebhaft bewegte Geisterwelt zu gestalten und sie mit Fleisch und Bein
zu bekleiden, also dieselbe in einem analogen Beispiel zu verkörpern. Dies ist
der Ursprung des Gesanges mit Worten und endlich der Oper" (WWV I, § 52,
Hü 309).
458, 10-11 meine Musik als die wiedergefundene Sprache der richtigen Empfin-
dung] Die hier durch N. referierte Musikauffassung Richard Wagners orientiert
sich wesentlich an der Musikästhetik Schopenhauers. In der Welt als Wille und
Vorstellung I beschreibt Schopenhauer die Musik als „überaus herrliche
Kunst", weil sie „als eine ganz allgemeine Sprache" sehr „mächtig auf das
Innerste des Menschen" wirkt (WWV I, § 52, Hü 302). Und wenig später erklärt
Schopenhauer: „Die Musik ist demnach, wenn als Ausdruck der Welt ange-
sehn, eine im höchsten Grad allgemeine Sprache, die sich sogar zur Allgemein-
heit der Begriffe ungefähr verhält wie diese zu den einzelnen Dingen" (WWV I,
§ 52, Hü 309). Zu Schopenhauers Musikästhetik vgl. auch NK 457, 31 - 458, 2,
NK 479, 12-14 und NK 485, 22-28.
458, 12 die Seele der Musik] Auch hier manifestieren sich Einflüsse Schopen-
hauers. In der Welt als Wille und Vorstellung beschreibt er die Verbindung von
Poesie und Musik im Lied oder in der Oper folgendermaßen: „alsbald zeigt an
diesen die Tonkunst ihre Macht und höhere Befähigung, indem sie jetzt über
die in den Worten ausgedrückte Empfindung, oder die in der Oper dargestellte
Handlung, die tiefsten, letzten, geheimsten Aufschlüsse giebt, das eigentliche
und wahre Wesen derselben ausspricht und uns die innerste Seele der Vorgän-
ge und Begebenheiten kennen lehrt, deren bloße Hülle und Leib die Bühne
darbietet. [...] Diese Musik aber, da sie mit Rücksicht auf das Drama komponirt
wurde, ist gleichsam die Seele desselben, indem sie, in ihrer Verbindung mit
den Vorgängen, Personen und Worten, zum Ausdruck der innern Bedeutung
und der auf dieser beruhenden, letzten und geheimen Nothwendigkeit aller
jener Vorgänge wird" (WWV II, Kap. 39, Hü 513-514).
Die „Seele der Musik" avanciert im vorliegenden Abschnitt von UB IV WB
zum zentralen Leitbegriff. So erblickt N. den „Mangel in unserer Erziehung"
darin, dass „ihr die bewegende und gestaltende Seele der Musik" fehlt (458,
24, 26-27). Und weil die Menschen der Gegenwart „bis jetzt die Seele der Musik
nicht in sich herbergen lassen, so haben sie auch die Gymnastik im griechi-
schen und Wagnerischen Sinne dieses Wortes noch nicht geahnt" (459, 1-4).
Nachdem N. „die von der Musik erfüllten Seelen" (457, 31) thematisiert hat,
wendet er sich kulturkritisch gegen die von äußerem Schein bestimmte moder-
ne Welt, in der die Oberflächlichkeit schauspielerischer Inszenierungen einen
hohen Stellenwert hat. Mit der „Seele der Musik" exponiert er ein Prinzip inten-
siver Empfindung, mithin eine Innerlichkeit, die eine wichtige Voraussetzung
doch so lebhaft bewegte Geisterwelt zu gestalten und sie mit Fleisch und Bein
zu bekleiden, also dieselbe in einem analogen Beispiel zu verkörpern. Dies ist
der Ursprung des Gesanges mit Worten und endlich der Oper" (WWV I, § 52,
Hü 309).
458, 10-11 meine Musik als die wiedergefundene Sprache der richtigen Empfin-
dung] Die hier durch N. referierte Musikauffassung Richard Wagners orientiert
sich wesentlich an der Musikästhetik Schopenhauers. In der Welt als Wille und
Vorstellung I beschreibt Schopenhauer die Musik als „überaus herrliche
Kunst", weil sie „als eine ganz allgemeine Sprache" sehr „mächtig auf das
Innerste des Menschen" wirkt (WWV I, § 52, Hü 302). Und wenig später erklärt
Schopenhauer: „Die Musik ist demnach, wenn als Ausdruck der Welt ange-
sehn, eine im höchsten Grad allgemeine Sprache, die sich sogar zur Allgemein-
heit der Begriffe ungefähr verhält wie diese zu den einzelnen Dingen" (WWV I,
§ 52, Hü 309). Zu Schopenhauers Musikästhetik vgl. auch NK 457, 31 - 458, 2,
NK 479, 12-14 und NK 485, 22-28.
458, 12 die Seele der Musik] Auch hier manifestieren sich Einflüsse Schopen-
hauers. In der Welt als Wille und Vorstellung beschreibt er die Verbindung von
Poesie und Musik im Lied oder in der Oper folgendermaßen: „alsbald zeigt an
diesen die Tonkunst ihre Macht und höhere Befähigung, indem sie jetzt über
die in den Worten ausgedrückte Empfindung, oder die in der Oper dargestellte
Handlung, die tiefsten, letzten, geheimsten Aufschlüsse giebt, das eigentliche
und wahre Wesen derselben ausspricht und uns die innerste Seele der Vorgän-
ge und Begebenheiten kennen lehrt, deren bloße Hülle und Leib die Bühne
darbietet. [...] Diese Musik aber, da sie mit Rücksicht auf das Drama komponirt
wurde, ist gleichsam die Seele desselben, indem sie, in ihrer Verbindung mit
den Vorgängen, Personen und Worten, zum Ausdruck der innern Bedeutung
und der auf dieser beruhenden, letzten und geheimen Nothwendigkeit aller
jener Vorgänge wird" (WWV II, Kap. 39, Hü 513-514).
Die „Seele der Musik" avanciert im vorliegenden Abschnitt von UB IV WB
zum zentralen Leitbegriff. So erblickt N. den „Mangel in unserer Erziehung"
darin, dass „ihr die bewegende und gestaltende Seele der Musik" fehlt (458,
24, 26-27). Und weil die Menschen der Gegenwart „bis jetzt die Seele der Musik
nicht in sich herbergen lassen, so haben sie auch die Gymnastik im griechi-
schen und Wagnerischen Sinne dieses Wortes noch nicht geahnt" (459, 1-4).
Nachdem N. „die von der Musik erfüllten Seelen" (457, 31) thematisiert hat,
wendet er sich kulturkritisch gegen die von äußerem Schein bestimmte moder-
ne Welt, in der die Oberflächlichkeit schauspielerischer Inszenierungen einen
hohen Stellenwert hat. Mit der „Seele der Musik" exponiert er ein Prinzip inten-
siver Empfindung, mithin eine Innerlichkeit, die eine wichtige Voraussetzung